Fußball und Einwanderung
24. Juni 2013"Ich muss mich aus der Liga der Verdammten herausspielen. Und ich werde mich aus der Liga der Verdammten herausspielen", sagt Arda Toprak, das fußballerische Jahrhunderttalent in der Aufführung von "Liga der Verdammten", gespielt von Hasan Tasgin. Im Mai 2013 wurde das Stück im Theater Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg uraufgeführt (Artikelfoto: Ensemble). Es geht um den bislang erfolgreichsten Migrantenverein im deutschen Fußball: Türkiyemspor Berlin wurde vor 35 Jahren von türkischen Freizeitkickern gegründet, damals noch als "Kreuzberg Gencler Birligi" ("Junge Union"). Es war keineswegs der erste Migrantenclub, von denen viele schon in den 1960 Jahren durch Gastarbeiter in Deutschland gegründet wurden. Türkiyemspor Berlin ist aber der einzige, der sich bis Anfang der 1990er Jahre fast ganz nach oben spielte und sogar vor dem Aufstieg in den deutschen Profifußball, der 2. Bundesliga, stand.
Neco Celik, Regisseur von "Liga der Verdammten", sagt: "Es gibt keinen Amateurclub türkischer Herkunft, der in kürzester Zeit so erfolgreich war." Er selbst liebt Fußball und den Verein Galatasaray Istanbul. Türkiyemspor Berlin kennt er nur zu gut, sein Sohn trainiert dort seit fünf Jahren, und als der Club Insolvenzprobleme bekam, wurde Celik Ende 2012 für einige Monate in den Aufsichtsrat berufen. Mit dem Theaterstück "Liga der Verdammten" richtet Celik den Blick hinter die Kulissen eines türkischen Fußballvereins, es erzählt aber auch deutsche Einwanderungsgeschichte. Imran Ayata, Autor und ebenfalls fußballvernarrt, hat dafür Interviews mit früheren und heutigen Akteuren von Türkiyemspor Berlin geführt.
"Erhobenen Hauptes geht man montags zur Arbeit"
"Diese Migrantenvereine waren wichtig, weil sie sichtbar waren und Präsenz gezeigt haben. Sie haben das Selbstwertgefühl der Einwanderer gesteigert, indem sie in einem Sport gesiegt haben, der in Deutschland unglaublich wichtig ist", sagt Celik, dessen Familie aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist. "Die Generation unserer Eltern war ansonsten stumm, weil viele kein Deutsch konnten. Und es zog sie auch nicht in die Öffentlichkeit." Trainerfigur Komünist Yusuf sagt im Theaterstück: "Wir sind der Beweis, dass Kanaken in Almanya selber etwas schaffen können. Erhobenen Hauptes geht man montags zur Arbeit, weil wir am Wochenende gewonnen haben."
In "Liga der Verdammten" wird noch eine Besonderheit von Migrantenvereinen deutlich: "Wir haben elf ausländische Spieler auf dem Feld und drei auf der Ersatzbank. Der DFB hat damals aber nur zwei Ausländer pro Mannschaft in der Profiliga erlaubt", sagt Trainerfigur Yusuf. Dass es zunehmend Fußballernachwuchs in deutschen Vereinen gab, die keinen deutschen Pass hatten, erreichte Anfang der 90er Jahre auch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) als reelles Problem. Er schuf daraufhin den Begriff des "Fußballdeutschen": Spieler, die eine Mindestzahl an Jahren in deutschen Fußballvereinen aktiv waren, zählten in der Profiliga nun als deutsche Spieler, unabhängig von der Staatsangehörigkeit.
Robert Claus vom Mediateam Türkiyemspor sagt: "Türkiyemspor Berlin war Teil des Öffnungsprozesses der Nationalmannschaft für Spieler wie Mesut Özil." Wer als deutscher Spieler gilt und wie viele davon mitspielen müssen, beschäftigt den Profifußball bis heute. Die Debatte um die deutsche und doppelte Staatsbürgerschaft dreht sich seit langem um ähnliche Fragen.
Vorreiter beim Mädchenfußball
Die einst erfolgreiche Herrenmannschaft von Türkiyemspor spielt heute nur noch in der Berlin-Liga. Der Verein war aber auch Vorreiter beim Mädchenfußball. 2004 wurde die Frauenabteilung in Kreuzberg aufgebaut, 2005 meldete Türkiyemspor seine erste D-Mädchenmannschaft an. "Mit dem Mädchenfußball hat sich Türkiyemspor in Berlin profiliert. Insgesamt ist die Jugendarbeit des Vereins über die Jahre sehr stabil", sagt Gerd Liesegang, Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). "Die Umstände für Frauen und Mädchen in Kreuzberg und Berlin Fußball zu spielen, waren schlecht. Das hatte auch mit der konservativen türkischen Community zutun", sagt Claus von Türkiyemspor Berlin.
"Um über Frauen- und Männerbilder zu reden, nicht nur unter Moslems und im Fußball, haben wir Anfang des Jahres die Hatun-Sürücü-Tage organisiert." Dabei wurde auch an die 23-jährige Hatün Sürücü erinnert, die von ihrem Bruder 2005 in Berlin erschossen wurde, weil sie sich von ihrer türkischen Familie getrennt hatte. "Unser Selbstverständnis als Verein ist nicht auf den Platz beschränkt", sagt Claus. Bis vor kurzem habe es auch Hausaufgabenhilfe für jugendliche Mitglieder gegeben. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten des Vereins und der laufenden Insolvenz habe man aber einiges einstellen müssen.
Im Theaterstück lässt Regisseur Celik eine Mutterfigur zu Wort kommen, deren Tochter seit drei Monaten in der Mädchenmannschaft spielt. "Ines hat mir erzählt, dass ihre türkischen Mitspielerinnen nicht über ihre Menstruation sprechen. Ja wo leben wir eigentlich?", sagt die Mutterfigur Angela Brand. "Ob ich türkische Freunde habe? Also, zu den Leuten im Verein halte ich ganz bewusst Abstand." Den Namen würde sie trotzdem gerne umbenennen in "Multikulti".
"Der Hitler-Gruß gehört im Stadion ja schon dazu wie der Ball"
Das Stück thematisiert auch, in welcher Form Migrantenvereine auf alltäglichen Rassismus treffen. Auf der Bühne lässt Regisseur Celik einen Filmausschnitt laufen, in dem ein Spieler unter "Ausländer-raus"-Rufen von der Tribüne einen Elfmeter schießen muss. Die Figur des Schiedsrichters Jonas Licht sagt sachlich, "der Hitler-Gruß gehört im Stadion ja schon dazu wie der Ball." Auch ein Lied der wohl bekanntesten Neonazi-Band "Landser" wird vom Ensemble gesungen: "Wieder mal kein Tor für Türkiyemspor." Im echten Leben erschien das Lied, in dem Spieler rassistisch beleidigt werden, auf einem "Landser"-Album im Jahr 2000, das kurz darauf verboten wurde. Die Bandmitglieder wurden 2003 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung verurteilt. "Das Lied wird leider heute noch im Stadion gesungen", sagt Claus von Türkiyemspor.
Gewalt im Stadion ist ebenfalls Thema auf der Bühne, wenn im Stück der Schiedsrichter erst als Nazi, dann als Kanake beschimpft wird und danach eine Getränkedose an den Kopf geworfen bekommt. "Ich will eigentlich nach Brasilien", sagt er und rennt die schräge Rückwand der Bühne hoch, rutscht herunter und versucht es erneut. Die anderen Figuren - Trainer, Nachwuchstalent, Mutter - machen es ihm nach, ebenso vergeblich. "Alle wollen raus aus der 'Liga der Verdammten'", sagt Regisseur Celik. Es gebe zwar in jedem Fußballverein dieses Panoptikum an Figuren, aber Türkiyemspor heißt auf Türkisch "Meine Türkei". Vergessen ist die alte Heimat nicht.
Wer braucht eigentlich noch Migrantenclubs?
Andere Fußballclubs, die einst von Migranten gegründet wurden, sind inzwischen einen anderen Weg gegangen: So heißt "Galatasaray-Berlin" seit Anfang 2012 "Rixdorfer SV" und "Karadenizspor" bzw. "Samsunspor" haben sich 2011 in "FC Kreuzberg" umbenannt. Wie sich das Thema Fußball und Migration über die Jahre entwickelt hat, lässt sich in dem Buch "Der Ball ist bunt" (Verlag Brandes & Apsel 2010) nachschlagen.
"In ein paar Jahren gibt es diese Migrantenvereine so nicht mehr", sagt Liesegang vom Berliner Fußball-Verband. "Für die Spieler heute ist es vor allem wichtig, in welchem Kiez sie groß geworden sind und wo sie leben." Regisseur Celik ist skeptischer: "Solange die Politik nicht signalisiert, dass die Herkunft eines Menschen nebensächlich ist, werden auch die Migrantenvereine gebraucht. Die Menschen wollen in ihrem Gefühl sicher sein, dass sie irgendwo dazugehören." Vom großen Aufstieg zum Fußballstar träumen die Spieler in jedem Fall, nicht nur auf der Theaterbühne.