Furcht vor Bürgerkrieg im Libanon
15. Februar 2005Die libanesischen Medien sind in Aufruhr. Während sich die Moderatoren des libanesischen Privatsenders LBC nach dem Anschlag am Montag (14.2.2005) bemühten, zwischen den verschiedensten Reaktionen, Spekulationen und Anschuldigen lokaler und regionaler Politiker zu navigieren, zeigte der TV-Kanal Zerstörungsbilder am laufenden Band: schwarze Rauchwolken, Autowracks und stark beschädigte Fassaden schicker Hotels an der Meerespromenade der Hauptstadt Beirut. Der Korrespondentin vor Ort verschlug es zeitweise die Sprache, denn dass so etwas nach einer langen Phase der relativen Ruhe im Libanon passiert, schürt Ängste vor einer Rückkehr des Bürgerkriegs.
"Ich war nie sehr optimistisch, was die Lage im Libanon angeht", sagte der libanesiche Politikwissenschaftler Gilber al-Ashkar der Deutschen Welle, "zumindest nicht so wie all jene, die das Kriegsbeil als für immer begraben und eine neue Seite für aufgeschlagen erklärten." Er glaube, dass man die politische Lage im Libanon nicht von der Lage im restlichen Nahen Osten trennen kann. "Und die lässt bekanntlich sehr zu wünschen übrig. Der Libanon wird meiner Einschätzung nach genau wie in der Vergangenheit ein Schauplatz bleiben, auf dem die verschiedensten regionalen Konflikte ausgetragen werden - von den lokalen Konflikten ganz abgesehen."
Am Tiefpunkt
Der Chefredakteur der liberalen libanesischen Zeitung "Al-Hayat", Abdel Wahed Badrakhan, sieht sein Land an einem Wendepunkt angelangt. In einer Zeit, so Badrakhan, in der sich in Ländern wie dem Irak oder den palästinensischen Gebieten eine Besserung abzeichne, sei der Libanon an einem Tiefpunkt angelangt.
Die Bedeutung des Attentats für den Frieden in Libanon hängt nach Meinung von Kennern des Landes vor allem von zweierlei ab: Ist eine Harmonie zwischen den traditionell verfeindeten religiösen und nationalen Gruppen im Libanon erreichbar. Und welche Bedeutung für die Bedrohung der Sicherheit haben so genannte externe Faktoren, nämlich die Nachbarn Israel und Syrien? Viel wurde in den Stunden nach dem Attentat über "zionistische Verstrickungen" und über die Rolle des israelischen Geheimdiensts Mossad gesagt, was für manche Ohren eher nach Verschwörungstheorie klingt. Die Äußerungen der libanesischen Hisbollah zum Beispiel gingen in diese Richtung.
Hauptverdächtiger: Syrien
Der syrische Präsident Bashar al-Assad meldete sich zwar prompt nach dem Anschlag zu Wort und verurteilte ihn aufs Äußerste. Dennoch ist für manche Syrien unbestreitbar der Hauptverdächtige. "Langsam zeichnet sich eine Politik der gezielten Tötung ab, und zwar all derer, die sich gegen die syrische Präsenz im Libanon aussprechen", meint der Politiologe Gilber al-Ashkar. "Und diese Politik will wohl auch beweisen, dass die Sicherheitslage im Libanon weiterhin gefährlich ist - und dass ein Abzug der syrischen Truppen, deren Präsenz ja angeblich zur Stabilisierung des Landes beigetragen hat, momentan nicht in Frage kommen dürfte."
Was al-Ashkars Verdacht verstärkt, ist die Tatsache, dass sich in den letzten Monaten der lokale und internationale Druck auf Syrien erheblich erhöht hat, seine seit Bürgerkriegszeiten im Nordosten des Landes stationierten 25.000 Mann endlich abzuziehen. Besonders seit dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs betrachten viele Politiker diese militärische Präsenz und die "schützende Hand", die der große Bruder Syrien partout nicht aufgeben will, als völkerrechtlich vollkommen inakzeptabel. Einer dieser Politiker war Rafik el Hariri.
Symbolfigur
"El Hariri hat sich seit seinem Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten zur Symbolfigur der Opposition entwickelt, der Opposition gegen die vorherrschenden Zustände und also auch des syrischen Einflusses auf die libanesische Politik", erläutert Gilbert al-Ashkar. "Man kann zurzeit nur spekulieren, wer hinter der ganzen Sache stecken könnte, aber das ist ja typisch für die libanesische Politik, in der immer ein verwirrendes Netzwerk von Akteuren - lokalen und internationalen - die Fäden zieht."
Die Botschaft, die aber direkt oder indirekt auch mitschwingt, wenn die libanesische Intelligenzija die Schuld bei den Nachbarländern sucht, sie ist folgende: Die Schiiten, Christen, Drusen und Sunniten des Libanon sowie palästinensische Flüchtlinge, die vorwiegend in Flüchtlingslagern hausen, lieferten sich zwar einen der blutigsten Bürgerkriege der Region über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren. Jetzt aber halten sie angeblich voller Überzeugung am Frieden fest.
Diese Botschaft mag zwar gut gemeint sein und auch wirken, um Panik unter der Bevölkerung zu verhindern. Sie bilden jedoch höchstens einen Teil der Realität eines Landes ab, in dem ein jahrelanger Bürgerkrieg tiefe Risse zwischen den verschiedenen religiösen und nationalen Gruppierungen hinterlassen hat.