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Wie weit ist die Kernfusion?

Fabian Schmidt10. Dezember 2015

Zum ersten Mal hat die Kernfusions-Experimentieranlage Wendelstein 7-X in Greifswald ein Plasma erzeugt - allerdings noch ohne Kernfusion. Hier ein Überblick über den Stand der Forschung.

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Deutschland Plasmagefäß für das Kernfusionsexperiment Wendelstein 7-X
Bild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald startete am Donnerstag um 12:00 Uhr das Kernfusionsexperiment Wendelstein 7-X. Für kurze Zeit wurde mit Hilfe einer Mikrowellenheizung ein Heliumplasma erzeugt, das eine Million Grad Celsius heiß war. Eine Kernfusion fand dabei noch nicht statt. Dafür wäre ein Fusionsbrennstoff nötig. Damit soll voraussichtlich im kommenden März experimentiert werden.

An der Kernfusion, also der Erzeugung von Energie durch die Verschmelzung von Atomkernen, wird bereits seit den 1960er Jahren geforscht. Der Traum: Kernenergie aus Wasserstoff gewinnen wie auf der Sonne, ohne dass dabei gefährliche Radioisotope als strahlender Abfall anfallen. Bisher gibt es aber noch keinen funktionsfähigen Reaktor, der dauerhaft soviel Energie erzeugen könnte, um eine Fusionsreaktion aufrechtzuerhalten. Daran arbeiten die Forscher intensiv.

Die künstliche Sonne in einem ringförmigen Plasma

Kernfusionsreaktoren basieren auf dem Prinzip, dass ein ringförmiges, freischwebendes, heißes Plasma erzeugt wird. Riesige Elektromagneten halten dieses Plasma an seinem Platz fest. Die eigentliche Kernfusion - also die Verschmelzung von Atomkernen, bei der Energie freigesetzt wird wie auf der Sonne, findet im Zentrum des Plasmas statt. In seinem Innersten herrschen Temperaturen um die 150 Millionen grad Celsius. Und damit ist es dort heißer als auf der Sonne. Als Brennstoff dienen Deuterium und Tritium. Beides sind Isotope des Wasserstoffs.

Das Plasmagefäß des Wendelstein 7-X während der Bauphase (Foto: dpa)
Das Plasmagefäß des Wendelstein 7-X während der BauphaseBild: picture-alliance/dpa/S. Sauer

Zwei Konstruktionstypen: Tokamak und Stellarator

Es gibt derzeit zwei verschiedene Konstruktionsprinzipien für die Elektromagneten, die das Plasma an seinem Ort halten. Beide basieren darauf, dass das Magnetfeld auf geschickte Weise verdrillt sein muss, damit das Plasma auf seiner Kreisbahn stabil bleibt. Beim "Tokamak" wird diese komplizierte Verdrillung dadurch erreicht, dass ein Strom im Plasma selbst fließt. Beim "Stellarator" erreicht man die Verdrillung des Magnetfeldes durch die etwas durcheinander anmutende Anordnung der Spulen außerhalb des Plasmas. Beim Tokamak gleicht das Plasma von der Form her einem aufgeblasenen Fahrradschlauch. Beim Stellarator hat es eine unebene Beschaffenheit - mal ist der Ring dicker, mal dünner. Er sieht eher aus wie ein verdrehter Feuerwehrschlauch.

Je größer Magnetfeld und Plasmavolumen, desto besser

Es gibt zwei grundlegende Bedingungen für Kernfusion, die auf der Sonne vorhanden sind, aber auf der Erde nicht: eine hohe Dichte und eine hohe Temperatur im Plasma. Die Dichte wird auf der Sonne durch die riesige Gravitation dieses Sterns gewährleistet. Auf der Erde muss man versuchen, die Dichte durch das Magnetfeld zu erzeugen.

Die Temperatur auf der Erde muss noch höher sein als auf der Sonne, weil selbst mit Elektromagneten die Dichte der Sonne nicht zu erreichen ist. Zudem gilt es zu vermeiden, dass das Plasma viel Energie verliert und dann erlischt. Dafür braucht es aber ein möglichst großes Volumen, weil es dann weniger schnell auskühlt.

Frankreich Baustelle ITER Reaktor in Saint-Paul-les-Durance (Foto: AFP)
ITER ist noch lange nicht fertig. So sah die Baustelle des Versuchsreaktors 2015 aus.Bild: Getty Images/AFP/B. Horvat

Versuchsreaktoren laufen nur kurz

Anfang der 1980er Jahre gingen die ersten Tokamak-Versuchs-Reaktoren, TFTR in Princeton (New Jersey, USA) und JET in Culham (Großbritannien), in Betrieb. Ziel beider Projekte war es zunächst, zündfähiges Plasma zu erzeugen. 1991 gelang am JET die erste künstliche Kernfusion. Sie dauerte zwei Sekunden und lieferte sogar Energie. Das Plasma-Volumen war allerdings zu klein, um den notwendigen Energiezustand für Fusion dauerhaft aufrechtzuerhalten.

Nachfolger des JET ist der Versuchsreaktor ITER im südfranzösischen Cadarache. Dieser Tokamak ist noch im Bau und soll frühestens 2023 in Betrieb gehen. Das Ziel hier: Eine Stunde lang Betrieb mit energiegewinnender Kernfusion. Beim Versuchsreaktor Wendelstein 7-X, der jetzt in Greifswald seinen Betrieb aufnimmt, geht es darum, die Tauglichkeit des Stellarator-Designs für die Energieerzeugung zu zeigen. Wendelstein 7-X soll später maximal eine halbe Stunde lang mit Deuterium und Tritium - also mit richtiger Kernfusion - laufen. Zunächst wird er aber nur testweise mit Helium betrieben. Neben Wendelstein 7-X gibt es noch eine weitere Stellarator-Versuchsanlage in Japan.

Supraleitende Elektromagneten

Um die nötigen Magnetfeldstärken zu erreichen, werden in Kernfusionsreaktoren supraleitende Elektromagneten eingesetzt. Bisher sind dies meist herkömmliche mit Helium gekühlte Supraleiter, etwa beim ITER oder auch beim Wendelstein 7-X. Diese müssen auf unter minus 269 Grad Celsius abgekühlt werden. Supraleitung bedeutet, dass die Leiter bei solchen sehr niedrigen Temperaturen keinen elektrischen Widerstand mehr haben. Dadurch lassen sich hohe Ströme und entsprechend starke Felder realisieren. Einen großen Fortschritt könnte das Reaktordesign durch den Einsatz moderner keramischer Hochtemperatur-Supraleiter erfahren. Diese erreichen bereits mit flüssigem Stickstoff ihre supraleitenden Fähigkeiten und müssen nur auf minus 196 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Die Ingenieure hoffen, mit dieser Technik in Zukunft deutlich kompaktere Bauformen realisieren zu können.

Infografik Das Fusionskraftwerk der Zukunft Deutsch

Die Entwicklungsperspektive der Kernfusion

Die Europäische Union hat sich in einer Roadmap vorgenommen, bis zum Jahr 2050 ein Demonstrationskraftwerk zu bauen, mit dem die Machbarkeit der Energieerzeugung durch Kernfusion gezeigt werden soll. Unterdessen gibt es immer wieder optimistische Pressemeldungen über vermeintliche Durchbrüche in der Forschung, die bereits deutlich früher zur kommerziellen Nutzung der Technologie führen könnten. So berichteten Forscher des Massachusetts Institute of Technology in diesem Sommer über ein neuartiges Tokamak-Design unter Nutzung von Hochtemperatur-Supraleitern, mit dem bereits in zehn Jahren kostengünstige Reaktoren auf den Markt kommen können sollen. Fachleute im Reaktorbau zweifeln aber an der praktischen Realisierbarkeit solcher rein theoretisch berechneten Modelle und verweisen auf Schwierigkeiten im Detail.