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Pyrotechnik - Spagat zwischen Fankultur und Sicherheit

David Vorholt | Steffen Focke (Interviews)
24. November 2023

Faszination gegen Gefahr, Ultras gegen Verbände - kaum ein Fan-Thema polarisiert im deutschen Fußball so sehr wie Pyrotechnik. Der Hamburger SV will einen Beitrag zur möglichen Legalisierung von Pyro leisten.

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Fans des FC Bayern München zünden während des Auswärtsspiels in der Champions League bei Paris St. Germain Pyrotechnik im Prinzenparkstadion
Fans des FC Bayern zünden während des Champions-League-Spiels bei Paris St. Germain PyrotechnikBild: Revierfoto/dpa/picture alliance

Kaum ein Spieltag vergeht im deutschen Fußball, ohne dass das Thema Pyrotechnik präsent ist. Von der Bundesliga bis hin zu niederklassigen Spieltagen - für viele Fußballfans, allen voran die Ultras der Klubs, gehört das Abbrennen von Pyrotechnik wie bengalischen Feuern oder Rauchtöpfen zur Fußballkultur dazu. Das Problem dabei: Pyrotechnik ist in deutschen Stadien illegal und sehr gefährlich, besonders wenn sie wie aktuell unkontrolliert, unvorhersehbar und auf engstem Raum abgebrannt wird.

Trotzdem vergeht kein Spieltag, an dem nicht in einem der Fanblöcke Feuerwerkskörper abgebrannt werden. Nicht selten müssen die Mannschaften dann einige Zeit warten, bis der Rauch sich verzogen hat, während per Stadiondurchsage mit mahnenden Worten darauf hingewiesen wird, dass das Abbrennen von Pyrotechnik zu unterlassen hat. Wiederholen sich die Zwischenfälle, muss der Schiedsrichter die Teams in die Kabine führen. Geht es danach immer noch weiter, wird das Spiel abgebrochen. So sieht es der Leitfaden des Deutschen Fußballbundes (DFB) zum Spielabbruch vor.

Kontrollierte Pyrotechnik

Für den Verband ist der Einsatz von Pyrotechnik ein schwerwiegender Verstoß. Geldstrafen für die Vereine sind die Folge, eine detaillierte Ermittlung der Verantwortlichen ist aus verschiedenen Gründen (Aufwand, Vermummung etc.) aber oft schwierig. Klar ist: Die ewige Spirale von illegaler Pyrotechnik und Kollektivstrafen führt zu nichts - auf keiner der beiden Seiten. Deswegen wird seit längerem über die Möglichkeit eines legalen und kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik diskutiert. Auch der DFB verschließt sich diesem Ansatz nicht grundsätzlich. 

Die Idee: Fans können ihre Pyroshow zu einem festgelegten Ort und Zeitpunkt (meist vor dem Spiel) unter Auflagen und in Kooperation mit Polizei und Feuerwehr durchführen. 2020 hat es dafür den ersten vom DFB genehmigten Einsatz von kontrollierter Pyrotechnik im deutschen Profifußball gegeben. Vor dem Heimspiel gegen den Karlsruher SC hatten Fans des Zweitligisten Hamburger SV eine Choreografie mit farblich passenden Rauchschwaden garniert.

 

Februar 2020: HSV-Fans starten vor dem Spiel gegen den KSC eine genehmigte Pyro-Show
Februar 2020: HSV-Fans starten vor dem Spiel gegen den KSC eine genehmigte Pyro-ShowBild: Sudheimer/Eibner/IMAGO

"Aus meiner Sicht kann man sehr wohl sagen, dass dieser Versuch ein voller Erfolg war", sagt Cornelius Göbel, der an dem Versuch beteiligt war, gegenüber der DW. Der Leiter der Fanbeauftragten beim HSV ist eine der treibenden Kräfte hinter der Idee von kontrolliertem Einsatz von Pyrotechnik.

Göbel ist selbst begeistert von der Atmosphäre. Pyrotechnik sei in Deutschland seit langem ein emotionalisierender und elementarer Teil der aktiven Fanszene, sagt Göbel: "Für uns ist es wichtig, dass Pyrotechnik als Teil von Choreografien, wirklich als Stilmittel eingesetzt wird." 

Pyro-Legalisierung - vertretbar oder nicht? 

Göbel und der HSV bringen das Thema nun mit einem Vorstoß erneut auf die Agenda und schlagen laut einem Bericht des "Hamburger Abendblatt" ein Pilotprojekt zur Legalisierung und zum kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik vor. Nach dem Plan des Zweitligisten soll die Pyrotechnik für eine bestimmte Zeit an verschiedenen Standorten wie dem Hamburger Volksparkstadion eingesetzt werden dürfen. 

Mit Sicherheitsabständen, unter Brandschutzauflagen und vor allem mit wissenschaftlicher Begleitung, die mögliche Gefahren für andere Stadionbesucher untersucht - zum Beispiel durch das Einatmen von Rauchgasen. Nach dem Ende des Pilotprojekts soll auf der Grundlage dieser Untersuchungen bewertet werden, ob eine Pyro-Legalisierung in den Stadien vertretbar ist oder nicht.

Denn an dieser Frage scheiden sich im Fußball die Geister. Ob in Klubs, Verbänden oder unter Fans - überall gibt es Befürworter und Gegner von Pyrotechnik im Fußballstadion. Kontrolliert oder nicht, für Dr. Tom Smith ist Pyrotechnik im Stadion undenkbar. "Diese Dinger sind nicht dafür gedacht, in nächster Nähe von anderen Menschen benutzt zu werden", sagte der Pyrotechnik-Experte der DW. Smith hat 2016 im Auftrag des europäischen Fußballverbands UEFA eine Studie zum Thema erstellt.

Er lehnt den Einsatz von Pyrotechnik in Stadien kategorisch ab. Er habe schon mit dem Gedanken an "sichere Pyrotechnik" ein echtes Problem, denn sie sei immer eine Gefahr in einem voll besetzten Stadion, egal unter welchen Umständen.

Gefahrenausschluss - möglich oder nicht?

"Pyrotechnik ist immer dann problematisch, wenn pyrotechnische Erzeugnisse die Hand verlassen, Personen gefährdet werden und man grundsätzlich die Art des Einsatzes nicht richtig kontrollieren und einschätzen kann", erklärt Cornelius Göbel und weist damit auf das zweite große Thema neben der Frage nach Pyrotechnik im Fanblock selber hin: Feuerwerkskörper, die auf den Platz oder sogar in den gegnerischen Fanblock geworfen werden, so wie es zuletzt vor zwei Wochen beim Spiel zwischen dem FC Augsburg und der TSG Hoffenheim der Fall war.

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Pyrotechnik, die geworfen wird, ist eine der größten Gefahrenquellen in FußballstadienBild: Johan Nilsson/AFP

"Können Sie sich die finanziellen Folgen vorstellen, wenn ein Torwart einen geworfenen Pyro-Gegenstand in die Hand nimmt, der dann explodiert?", fragt Tom Smith. "Er verliert zwei Finger und seine Karriere ist vorbei." Aus Sicht des Experten ist eine vollständige Kontrolle von Pyrotechnik im Stadion schlicht nicht möglich. Dem widerspricht Cornelius Göbel: "Man kann es so organisieren, dass die Gefahr ausgeschlossen ist", sagt er.

Kontrollierter Einsatz bedeute nicht nur, dass Zeitpunkt, Ort und Absprachen zwischen Fans und Sicherheitspersonal sichergestellt werden müssen, sondern auch die Verantwortung eines jeden Einzelnen, vereinbarungsgemäß und verantwortungsvoll mit Pyrotechnik umzugehen. Der HSV-Fanbeauftragte und sein Klub glauben an diesen Weg. "Unser Ziel ist es, neue Wege zu definieren, gleichzeitig eine hohe Sicherheit im Stadion zu gewährleisten und dabei unser höchstes Gut - die Fankultur - zu wahren", sagt Cornelius Göbel.

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion