Fußball-Romantik in Rio
29. Juni 2014Letzte Nacht bot Rios Maracana-Stadion einen Anblick, der die Herzen der Brasilianer warm ums Herz werden ließ: Eine Mannschaft in Gelb, die - inspiriert von einer vor Spielfreude sprühenden Nummer 10 - mitreißend Fußball spielte, beendete die WM für das zynische Uruguay. Der einzige leichte Wermutstropfen für die zahlreichen Brasilianer, die ins Stadion gekommen waren, war, dass es sich nicht um die brasilianische, sondern um die kolumbianische Mannschaft handelte. Die "Tri" glänzen bei der WM, während sich die Gastgeber eher abmühen. Und in der nächsten Runde prallen die beiden Nationen in einem Spiel aufeinander, das den gesamten Kontinent erschüttern wird.
Stürmische Affäre
Im Stadion gestern schaute jedoch noch niemand voraus auf die Viertelfinalspiele oder wetzte die Messer gegen den künftigen Gegner. Stattdessen war das Publikum - darunter nur eine Handvoll Anhänger Uruguays - verzückt von jedem Ballkontakt der Kolumbianer, von jedem Ballgewinn, jedem gelungenen Pass, jedem parierten Schuss und jeder herausgespielten Chance. Es war die pure Fußballromantik, dirigiert von "Amor" Jose Peckerman an der Außenlinie und James Rodriguez auf dem Platz. Der 22-Jährige betört die WM und versetzte das gesamte Maracana mit seinem Angriffsspiel in der ersten Halbzeit in eine kollektive Ekstase. Die einzige Frage ist nur, wie lang diese stürmische Affäre anhalten kann.
Sieg des Idealismus über den Pragmatismus
Wenn man sieht, mit welcher Euphorie die Kolumbianer Rio seit dem ersten WM-Tag überflutet haben, ist es schwer vorzustellen, dass sie sich in der nächsten Runde verabschieden werden. Für mich haben sie bereits die Auszeichnung als beste Fans verdient. Ich wäre mittlerweile begeistert, wenn ich sie den Titel gewinnen sähe, selbst auf Kosten der Gastgeber. Gegen Uruguay vollbrachte Kolumbien das größte Kunststück: Den Sieg des Idealismus über den Pragmatismus. Und allein deswegen kann ich mir gut ein oder zwei Brasilianer vorstellen, die mit Freude das falsche Team in Gelb feiern, wenn dieses im Viertelfinale gewinnen sollte.