"Human Rights Filmfestival" startet in Nürnberg
2. Oktober 2019Wie Auszüge aus einem akademischen Seminarprogramm lesen sich die Kategorien des diesjährigen Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte (NIHRFF). Zuweilen klingen sie auch - und das nicht ungewollt - radikal politisch: Unter der Rubrik "Fight Nationalism", "Postcolonial" und "(No) Future" hat das Festival-Team um Leiterin Andrea Kuhn internationale Filme versammelt, die berühren und aufrütteln wollen.
"Zuerst sind die Filme da, dann werden die Kategorien gefunden", erklärt Kuhn im Interview mit der Deutschen Welle. Mit cineastischem Blick sichten sie Einreichungen genauso wie Beiträge auf anderen Festivals, die sie vorab besuchen. Die Themen reichen von weiblicher Genitalverstümmelung über die Klimaerwärmung bis hin zu den zunehmend nationalistischen Tendenzen in vielen Ländern der Erde.
Über die Auswahl der Filme hinaus greift das Festival in Diskussionsrunden und Ausstellungen auf, wie prekär sich die Situation für Menschen in Ländern entwickelt hat, die nicht so häufig im Fokus liegen, wie beispielsweise die USA.
So wird unter dem Titel "Demokratie am Abgrund" der Journalist Bruno Bimbi, ein exilierter LGBT-Aktivist, über Brasilien Auskunft geben. Bezüge zur österreichischen Tagespolitik verspricht die Lesung der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz aus ihrem aktuellen Roman "Flammenwand."
Starke Filme im Wettbewerb
Im Hintergrund steht der Gedanke, Menschen aus den Regionen der ausgewählten Filme selbst zu Wort kommen zu lassen. "Wir setzen uns ein für ein solidarisches Miteinander", sagt Festivalleiterin Kuhn. "Wir wollen den Blick dafür schärfen, wer spricht. Und dafür, wer wie worüber spricht."
In diesem Jahr werden rund 30 Filmschaffende aus 20 Ländern anreisen - unter anderem aus Afghanistan, Sudan und Thailand. Sie stehen nach der Präsentation ihrer Filme Rede und Antwort und nutzen mit ihrer Teilnahme die Chance zur Vernetzung mit Regisseuren und Filmemachern.
Highlight des Filmfestivals ist der Internationale Wettbewerb. Neun Filme hat die langjährige Leiterin mit ihrem Team aus dem Gesamtprogramm ausgewählt, die um den "Internationalen Nürnberger Filmpreis der Menschenrechte" konkurrieren. Der Dokumentarfilm "Talking About Trees" (2019) von Suhaib Gasmelbari über die Geschichte des sudanesischen Kinos ist einer von ihnen.
Die Protagonisten des Films sind aus dem Exil zurückgekehrte Filmregisseure, die in ihrer Heimat, dem Sudan, ein altes Kino wiederbeleben wollen. Trotz ihrer Erfahrungen, auch mit Verfolgung und Folter, träumen sie von einem Land, in dem die Kunst und das Denken frei sein können. Gasmelbaris Film wird das Festival am 2. Oktober 2019 eröffnen.
Verdrängte Geschichte Europas
In Konkurrenz zu "Talking About Trees" tritt im Wettbewerb um die Preisvergabe auch der Historienfilm "Angelo" (2018) an. Regisseur Markus Schleinzer verhandelt am Beispiel eines tatsächlich im 18. Jahrhundert nach Europa verschleppten Afrikaners Themen wie Identität, Zugehörigkeit und Fremdheit.
Mmadi-Make, wie der Sklave als Kind ursprünglich hieß, wird nach seiner Ankunft in Europa höfisch erzogen und auf den Namen Angelo getauft. Als Erwachsener arbeitet der in seiner neuen Umgebung exotisch Anmutende als Kammerdiener für einen Feldmarschall. Er wird dessen persönlicher Begleiter. In chronologischer Reihenfolge nimmt die dritte und letzte Episode des Films den gealterten Angelo in den Blick. Am Schluss zeigt sie ihn ausgestopft als menschliches Anschauungsobjekt im Museum, wo er nach seinem Tod endet.
Premiere feierte dieser Film über die körperliche und geistige Vereinnahmung des schwarzen Afrikaners Mmadi-Make bereits 2018 auf dem Toronto International Film Festival. Seither wurde "Angelo" auf vielen Filmfestivals gezeigt und für zahlreiche Preise nominiert. Ausgezeichnet wurde er bislang ausschließlich in Österreich, dem Heimatland des Regisseurs, u.a. für das "Beste Szenenbild".
Sonderschwerpunkt LGBTQI*
Auch wenn die Ausgangslage heutzutage eine andere ist als im vom Kolonialismus geprägten 18. Jahrhundert, die Themen, die Schleinzers Film adressiert, sind weiterhin aktuell. Sich fremd im eigenen Land fühlen oder später im Exil oder in dem Land, in das man flüchten musste, ist ein Schwerpunkt-Thema im Programm des Nürnberger Festivals.
Das "Queer Faces Migrant Voices" ist ein Radio-Projekt mit Geflüchteten, die eines eint: In ihrem Herkunftsland wurden sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität verfolgt. Diesem Hörerlebnis schließt sich eine Diskussion an, in der die Stimmen der Geflüchteten aus dem Iran, der Ukraine und Armenien ein Gesicht erhalten.
Humanes Denken und soziales Engagement
Nicht zum ersten Mal greift das Festival queere Themen auf. In diesem Jahr ist allerdings ein eigener Themenschwerpunkt dazu entstanden, der sich von den Protagonisten des Radio-Projekts entfernt. Außer im Dokumentarfilm "Shelter - Farewell to Eden" (2019) sind die Protagonistinnen und Protagonisten der Spiel- und Dokumentarfilme keine Geflüchteten.
Welcher Wettbewerbsbeitrag beim Nürnberger Filmfestival den Preis bekommen wird - ob "Angelo", "Talking About Trees" oder einer der anderen sieben - bestimmt eine unabhängige, internationale Jury. Es wird eine Produktion sein, die - so wollen es die Statuten - "die formale Qualität mit humanem Denken und sozialem Engagement verbindet
Der Gewinnerfilm wird am vorletzten Festivaltag gekürt (8.10.), das Preisgeld ist allerdings nicht hoch dotiert. Zu sehen ist der Sieger dann - wie die Gewinner zweier weiterer Kategorien (Publikumspreis und Preis der Open-Eyes-Jugendjury) - noch einmal zum Abschluss des renommierten Festivals.
Das "International Human Rights Film Festival" in Nürnberg dauert vom 2. bis 9. Oktober 2019.