Demokratien vereinigt euch!
11. Dezember 2019In der gegenwärtigen Zeit erscheint es unerhört, für eine neue multilaterale Institution zu werben. Geht der Trend geht doch in die andere Richtung: Überall auf der Welt propagieren sogenannte "starke Männer" die Rückkehr zu einem Recht des Stärkeren über den Schwächeren. Für diese Populisten bedeutet das, dass regelbasierte, internationale Abkommen sowie die Institutionen, die sich um ihre Einhaltung und Weiterentwicklung kümmern, keine Daseinsberechtigung mehr haben. Sie schimpfen auf eine sogenannte "Elite", die ihrerseits - verunsichert durch den Zulauf, den die Autokraten genießen - durch Stillstand die Institutionen lähmen und damit indirekt die Behauptung der Populisten untermauern, dass diese multilateralen Einrichtungen den "normalen Menschen" nichts nützten.
So ist die Europäische Union geschwächt durch politische Kräfte, die den Untergang des Bündnisses von innen, zum Beispiel aus dem Parlament heraus, betreiben. Einzelne nationale Regierungen gehen in ihrer Ablehnung der europäischen Werte inzwischen so weit, dass ihr Verbleib in der EU eigentlich unmöglich geworden ist. Die Gemeinschaft hält sie aber, weil man davon ausgeht, dass man den Gegner möglichst nahe an sich halten, als ihn vor die Türe setzen sollte.
Kinder des Kalten Krieges
Auch die NATO steckt in einer Krise: Der französische Präsident Macron hat an ihr den "Hirntod" diagnostiziert; ihm wurde heftig widersprochen. Aber der Konflikt hat offengelegt, dass keineswegs Einigkeit über Gegenwart und Zukunft des Verteidigungsbündnisses besteht. Beide Staatenbünde, die NATO und die EU, wurden in der Zeit des Kalten Krieges geschaffen und reflektieren in ihrem Aufbau und in dem Narrativ, der sie und ihre Glieder zusammenhält, den Geist und den Konflikt jener Zeit. Mit dem Wegfall der gemeinsamen Bedrohung, der UdSSR, hätten sich die beteiligten Nationen gemeinsam daran machen müssen, die Institutionen zu reformieren und fit für die neue Zeit zu machen.
Von dem Ende der bi-polaren Welt sind auch die Vereinten Nationen betroffen. Hier verlaufen die Linien heute nicht mehr zwischen freier und kommunistischer Welt, sondern zwischen den Ländern, deren Ordnung auf der Anerkennung der Menschenrechte fußt, und jenen, in denen eben diese Menschenrechte fortlaufend mit Füßen getreten werden. Russland und China haben in dieser Weltversammlung die Macht, alles Konstruktive zu torpedieren und auf Dauer alle anderen Akteure, die gut arbeiten wollen, zu demoralisieren. Die gegenwärtige Zeit braucht daher eine neue Institution: eine Vereinigung aller Demokratien, die in der Diplomatie schon "likeminded countries" genannt werden, denen aber bisher ein organisiertes Zuhause fehlt.
Die Menschen in Deutschland, Kanada, Neuseeland, Taiwan, Südkorea, der Mongolei, Uruguay und Südafrika verbindet mehr als sie trennt: Ihre Nationalstaaten ruhen auf der Anerkennung der Menschenrechte und einem Rechtssystem, das auf diesen Rechten aufbaut. Die Legitimation dieser Staaten beruht in eben dieser Anerkennung der Freiheit des Menschen und seiner Unversehrtheit. Sie spiegelt sich in der Auffassung, dass jedem Menschen bürgerliche und soziale Rechte zukommen. Im Einzelnen mag es verschiedene Auffächerungen dieser Überzeugung geben. Aber generell gilt, dass ein Spanier, der nach Japan fährt, oder ein Taiwanese, der nach Deutschland kommt (und umgekehrt), in den jeweiligen Ländern die gleichen Rechte und den gleichen Schutz genießt. Das ist nicht der Fall in der Volksrepublik China, Russland oder der Türkei. Hier kann es zu Willküraktionen einer regierenden Partei oder des Staatsapparates kommen, ohne dass die Betroffenen Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren in unserem Sinne hätten.
Freiheit ist Souveränität
Die Nationalisten, die den Wegfall von Souveränität beklagen, irren: Subjekt jeder Verfassung ist der einzelne Mensch. Dessen Souveränität hat sich in der liberalen Weltordnung, in der wir heute - noch - leben, in einem Maße vergrößert, das sich unsere Vorfahren nicht hätten ausmalen können. Gerade die EU als Verbund von Nationalstaaten macht deutlich, was alles möglich ist, wenn das Recht auf der gleichen Grundlage und die Anerkennung der Menschenrechte über die Zeit harmonisiert wird. Dabei fallen gerade die nationalen Eigenheiten - Sprache, Kultur, Religion, Lebensart - nicht unter den Tisch, sondern können gleichberechtigt neben der denen der anderen existieren und das Zusammenleben bereichern. Es ist vielleicht die größte Läge der lautstarken Brexit-Befürworter, zu behaupten, dass der Bruch mit der EU den Bürgern des Vereinigten Königreiches Souveränität zurückbringe. Das Gegenteil ist der Fall: viele ihrer Freiheiten werden durch den Austritt wieder eingeschränkt.
Es ist wichtig, den Kontakt und den Dialog auch mit Ländern aufrecht zu erhalten, welche die Menschenrechte nicht anerkennen und damit ihre Bürgerinnen und Bürger quälen, so wie Russland, die Türkei und die Volksrepublik China. Am Ende dient dieser Kontakt über die Zeit dazu, die Menschen in diesen Autokratien aus der finsteren Faust ihrer Peiniger zu befreien. Das gelingt am besten, wenn die demokratischen Länder untereinander in bestem Austausch stehen, voneinander lernen und so als Beispiel die anderen überzeugen. Es wird Zeit für eine solche Einrichtung. Es ist eigentlich fatal, dass sie nicht schon existiert.
Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hongkong.