G7-Gipfel in Elmau - nur Show?
26. Juni 2022"Alle gegen die G7" steht in gelber Schrift auf einem lila Banner, auf dem eine große geballte Faust zu sehen ist, der fünf kleine Fäuste gegenüberstehen. "Ihr System bringt Krieg und Krise" ist an anderer Stelle zu lesen und: "Den Imperialismus treffen wir hier". Rund 900 entschiedene Gegner der G7 haben sich in Garmisch zu einer Demonstration versammelt.
Das Bündnis "Stop G7 Elmau" kritisiert die Machtfülle der sieben Staats- und Regierungschefs, die mit ihren Entscheidungen großen Einfluss auf das Schicksal der gesamten Welt haben. In den sieben reichen Industrienationen, die sich Mitte der 70er-Jahre informell zu den G7 zusammengeschlossen haben, leben nur zehn Prozent der Weltbevölkerung. Ihre Entscheidungen, auch wenn sie rechtlich nicht bindend sind, betreffen aber auch die übrigen 90 Prozent.
Kämpferische Demonstranten
"Der globale Süden hat hier keine Stimme", kritisiert der Aktivist Christopher Olk. Indien, Indonesien, Argentinien, Senegal und Südafrika, die zum zweiten Gipfeltag eingeladen sind, seien nur deswegen dabei, weil sie Rohstoffe zu bieten hätten und im reichen Norden die Energie knapp wird. "Afrika darf nicht zum Plan B für die energiehungrigen G7 werden", ruft eine Aktivistin aus Uganda von einer großen Bühne, die auf dem Bahnhofsplatz in Garmisch aufgebaut ist.
Andere Redner warnen vor einer Eskalation des Kriegs in der Ukraine und vor dem Klimawandel. "Wir lassen nicht zu, dass sie unseren Planeten und unsere Zukunft zerstören", ruft eine Klimaaktivistin. Später formieren sich die Demonstranten zu einem Zug und ziehen - bewacht von hunderten Polizisten in Kampfmontur - mit lautstarken Rufen durch die Innenstadt.
G7 signalisieren Einigkeit
20 Kilometer weiter, im oberhalb von Garmisch in einem schwer zugänglichen Tal gelegenen Elmau haben die Staats- und Regierungschefs der sieben großen Industrienationen unterdessen ihre Gespräche aufgenommen. Zum Auftakt sprechen sie über die Weltwirtschaft und eine globale Infrastruktur-Initiative. 600 Milliarden Dollar sollen aufgebracht werden, um Investitionen etwa für Klimaschutz, im Energiesektor und im Gesundheitsbereich zu ermöglichen.
"Dies zeigt die Einheit der G7", sagt Bundeskanzler Olaf Scholz bei der gemeinsamen Präsentation der Initiative, die draußen vor dem Schloss in der malerischen Kulisse der Bergwelt stattfindet. Einigkeit und Geschlossenheit, das ist das Signal, das von diesem Gipfel ausgehen soll. Vor allem auch mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Aus Kiew kommt an diesem ersten Gipfeltag die Nachricht, dass Russland die Stadt mit Raketen beschossen hat. Der Kontrast zwischen der kriegszerstörten Ukraine und dem idyllischen Elmau - er könnte nicht größer sein. Die Bilder vom Gipfel im Schloss sollen der Ukraine dennoch Solidarität vermitteln und gleichzeitig ein Signal der Stärke und Geschlossenheit an den Kriegstreiber Wladimir Putin in Moskau sein. "Wir müssen zusammenbleiben", sagt auch US-Präsident Joe Biden.
G7-Gipfel: Dekadent und abgehoben?
Doch rechtfertigt eine solche Botschaft ein so aufwändiges Gipfeltreffen wie das in Elmau? Für 48 Stunden sind die Spitzenpolitiker mit jeweils riesigem Begleittross eingeflogen, erst mit ihren Regierungsmaschinen nach München, dann im Hubschrauber ins Fünf-Sterne-Hotel Schloss Elmau, wo sie abgeriegelt von der Außenwelt wohnen und arbeiten. 18.000 Polizisten sorgen für die Sicherheit des Gipfels, das kostet mehr als 180 Millionen Euro.
Alles ist präzise geplant und vorbereitet, der Gipfel läuft wie eine gut geölten Maschinerie. Garmisch ist ebenfalls eine Sicherheitszone und erinnert mit seinen abgesperrten Straßen in weiten Teilen an eine Geisterstadt. Viele Bewohner sind geflohen, andere zeigen sich nur noch genervt von der "Show", die hier abgezogen werde, hört man in Gesprächen. Das sei nicht mehr zeitgemäß und ein Beispiel dafür, wie abgehoben, ja dekadent die Politik inzwischen sei.
Vegetarisches und veganes Catering
In Garmisch sind neben den Polizisten die rund 3000 angereisten Journalisten untergebracht, aber auch die Vertreter zahlreicher Nicht-Regierungsorganisationen. Mit vielen weißen Zelten und Containern ist ein Medienzentrum errichtet worden, das einer eingezäunten Stadt gleicht. Von hier starten auch die Shuttlebusse, die jene nach Elmau fahren, die fotografieren oder vor der Kulisse des Schlosses ihre TV-Beiträge machen. Die anderen erleben den Gipfel vor allem am Bildschirm, orchestriert vom Dröhnen der Hubschrauber, die unablässig hin und her fliegen oder kreisen. Das Catering ist fast ausschließlich vegetarisch und vegan - da präsentiert man sich jedenfalls zeitgemäß.
Am Nachmittag des ersten Gipfeltags laden vier Organisationen, die sich vor allem mit Armutsbekämpfung, Gesundheits- und Klimaschutz beschäftigen, im Medienzentrum zu einer Pressekonferenz ein. Global Citizen, Oxfam, World Vision und ONE gehören zu den Kritikern der G7, stellen im Gegensatz zu den Demonstranten die Existenz der Runde aber nicht in Frage. Im Gegenteil. "Es ist gut und wichtig, dass die Staats- und Regierungschefs miteinander reden und verhandeln, aber sie müssen ihre Versprechen auch einhalten", sagt Scherwin Saedi von ONE Deutschland.
So viele Probleme wie noch nie
Vor allem die Zusage, 500 Millionen Menschen bis 2030 vom Hunger zu befreien. Gegeben wurde 2015 beim letzten G7-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft. "Was wir sehen ist, dass die Zahlen seit 2017 trotzdem steigen", sagt Saedi. "2022, haben wir über 150 Millionen Menschen mehr als noch damals, die an Unterernährung leiden. Das ist quasi eine Entwicklung in die gegenteilige Richtung."
Krieg, Hunger, Klima, Corona - noch nie musste ein G7-Gipfel mit so vielen Problemen gleichzeitig umgehen. Der Krieg und das Ausbleiben der russischen Energielieferungen lässt weltweit Preise steigen und verschärft den Hunger. Der Klimawandel verliert dadurch an Aufmerksamkeit und zeigt doch mit Dürren und Temperaturrekorden, wie unerbittlich er auf dem Vormarsch ist.
Vorwürfe gegen den Bundeskanzler
Wie können Lösungen gefunden werden, ohne die eine gegen die andere Krise auszuspielen? Die Organisation Global Citizen wirft dem Bundeskanzler vor, er wolle Vereinbarungen zum internationalen Klimaschutz verwässern. Deutschland versuche wegen der Energiekrise, die Selbstverpflichtung rückgängig zu machen, bis Ende 2022 aus der öffentlichen Finanzierung fossiler Brennstoffe auszusteigen, klagt Friederike Meister von Global Citizens.
Das wäre ein "fatales Signal" an den Rest der Welt, das dazu führen könnte, Fortschritte bei der Klimakonferenz Ende des Jahres in Ägypten zu blockieren, sagt Meister, die von den G7 ein Bekenntnis zum internationalen Kohleausstieg bis 2030 fordert. Außerdem müssten sie ihr Versprechen einhalten, besonders vom Klimawandel betroffene Staaten finanziell zu unterstützen.
Bei diesem Gipfel werde sich niemand "mit warmen Worten abspeisen" lassen, heißt es bei ONE. Beim letzten deutschen G7-Gipfel seien viele Versprechungen gemacht worden, rausgekommen sei am Ende wenig. "Das dürfen wir den G7 nicht durchgehen lassen."