Ngorongoro oder die Freiheit der Kunst
29. April 2018Ngorongoro II: So exotisch und gewagt wie dieses Wort erscheint auch die Gruppenausstellung in Berlin Weissensee, die sich zum zweiten Mal über das 6000 Quadratmeter große Ateliergelände des Malers Jonas Burgert erstreckt. Mehr als 300 Werke sind auf dem ehemaligen Fabrikgelände zu sehen, gezeigt in einer Mischung aus rauer Architektur, Atelierhallen, Außenanlagen und Kellergewölben.
Ngorongoro ist kein Phantasiewort. Es ist der Name eines Vulkankraters im zentralafrikanischen Tansania. Das ausgespiene fruchtbare Erdreich hat ihn in ein Paradies für wilde Tiere verwandelt. Nirgendwo in Afrika soll die Raubtierdichte höher sein. Artenvielfalt - das passt genau zu dem, was jetzt, was in Berlin zu sehen ist.
Baselitz, Burgert und Studenten
Jonas Burgert, der Fotograf Andreas Mühe und fünf weitere Kuratoren zeigen auf dem Ateliergelände 150 Künstler aus aller Welt während des Gallery Weekends in Berlin (27. bis 29.04). Darunter Altmeister wie Bill Viola oder Jungstars wie Julian Röder neben unbekannten Studenten. Zeichnungen nehmen es mit provokanten Leuchtinstallationen auf. Ohne ein festes kuratorisches Konzept haben die Kuratoren Künstler eingeladen, deren Arbeit sie spannend und richtungweisend finden. Dabei interessieren sie nicht Schulen oder große Namen. Allein das einzelne Werk zählt. "Wir wollen die Kunstwerke für sich wirken lassen", erklärt Jonas Burgert. Auch in seiner künstlerischen Karriere hat Burgert immer auf die eigene Kraft vertraut. Er startete mittellos in einer Garage und zählt heute mit seinen figürlichen Bildwelten in teils riesigen Formaten zu den erfolgreichsten deutschen Malern.
Fasziniert hat ihn zum Beispiel das Bild der jungen, noch unbekannten Französin Madeleine Roger-Lacan. Ein liegender Frauenkörper, ausgestreckt vor einem Bergmassiv. Der Betrachter kann sich der Imaginationskraft dieser gewagten Komposition kaum entziehen. Im gleichen Raum leuchtet blutrot eine Installation des britischen Künstlerpaars Sue Webster und Tim Noble (Artikelbild). Der Blick schweift weiter in den Hof auf die großen Keramikgefäße des deutschen Künstlers Anselm Reyle. Und nicht weit davon entfernt - direkt am Pool - hängt das von abstrakten Formen geprägte Gemälde seines Schülers Christian Achenbach.
Kunst in einer überwältigenden Fülle: Georg Baselitz, Gilbert und George, Alicja Kwade, Paul McCarthy, Martin Eder und viele mehr sind vertreten. Aber auch die junge Marie Steinmann, die in einem Slum in Nairobi Jugendliche nach ihrem Traumberuf fragte und sie dann in Kapitänsuniform, Fußballklamotten oder Ballettoutfit auf schlammigen Gehwegen inszenierte. Da stehen sie dann bewegungslos, viele lange Minuten, bevor sie sich umdrehen und langsam in der Menschenmenge verschwinden.
Die Macht der Ultras
Viel plakativer und aggressiver wirkt dagegen die Videoinstallation des Berliner Künstlerduos Wermke/Leinkauf. Beide waren durch einen Coup bekannt geworden, als sie auf der New Yorker Brooklyn Bridge heimlich weiße US-Flaggen hissten.
Hier, ganz unten in einem engen Kellerraum, sind sie mit einer Arbeit über die Ultras, also fanatische Fußballfans, vertreten. Man sieht und hört sie, ihre Sprechchöre und Gesänge. Das hat eine Wucht, auch gerade durch die perfekte Inszenierung im dunklen Kellerambiente.
Andreas Mühe, der sich mit aufsehenerregenden fotografischen Arbeiten wie dem Bilderzyklus "Obersalzberg" als Chronist des wiedervereinigten Deutschland einen Namen gemacht hat, ist auch mit einer Arbeit über Ultras vertreten. Er hat in Dresden die dortigen Fußballfans in die Semperoper "verpflanzt". Die Botschaft ist klar. Für ihn ist Fußball genauso Kultur wie Oper. Alle gehören dazu, keiner sollte ausgeschlossen werden, schon gar nicht in einer Stadt wie Dresden, in der die Pegida-Bewegung viele Anhänger hat.
Ngorongoro - eine Künstlerrepublik
Die Ausstellung wurde unabhängig von Sponsoren und Galerien entwickelt, dahinter verbirgt sich der Wunsch nach einem Gegenentwurf zum Kunstbetrieb. Eine Utopie, die Wirklichkeit geworden ist. Ngorongoro II, das könnte der Name einer eigenen Künstler-Republik sein. Doch nach fünf Tagen ist wieder alles vorbei. Dann wird der Kunst-Dschungel abgebaut und in Berlin zieht wieder so etwas wie der künstlerische Alltag ein.