Recep Tayyip Erdogan hat den Putschversuch vom 15. Juli 2016, den sein früherer Weggefährte, der Prediger Fethullah Gülen, angeblich organisiert haben soll, unter Kontrolle bekommen. In zwei Jahren unter Notstandsrecht hat er jedes verfügbare Mittel genutzt, um alle potentiellen Hindernisse für seine ultimative Herrschaft aus dem Weg zu räumen. Dennoch hatte er noch nie so große Angst um seine Macht wie jetzt. Die neuesten Umfragen zeigen, dass er eine Präsidentschaftswahl derzeit nicht gewinnen könnte. Und es gibt Gründe, warum er an Unterstützung verliert. Es sind Fehler, an denen er in diesen fünf Jahren stur festgehalten hat. Fehler, wie sie Tyrannen machen.
Er war zu grausam
In der Folge des Putschversuchs startete Erdogan die größte Säuberungswelle in der politischen Geschichte der Türkei. Zehntausende - Militärs, Richter, Staatsanwälte, Beamte, Akademiker - verloren grundlos ihre Jobs und wurden durch unerfahrene Partei-Treue ersetzt. Journalisten, Autorinnen und Mitglieder der Zivilgesellschaft landeten im Gefängnis - ohne Aussicht, jemals wieder frei zu kommen. Seine Gegner unter den Politikern waren schon zuvor inhaftiert worden. In den fünf Jahren seit dem Putsch erklärte er jeden zum Terroristen oder zum ausländischen Agenten, der ihm in die Quere kam.
Er nutzte den Notstand auch, um kritische Medien auszuschalten. Dazu gehörte auch der Nachrichtenkanal für den ich selbst gearbeitet habe. Solche Grausamkeiten sind schwer zu akzeptieren, selbst für Anhänger des Erdogan-Regimes.
Er hat sich überschätzt
Erdogan hat seine außenpolitische Macht überschätzt - und das ganze Land muss die Konsequenzen tragen. Was hat er sich dabei gedacht, den amerikanischen Pastor Andrew Brunson festzunehmen und ihm vorzuwerfen, er habe Verbindungen zur Gülen-Bewegung? Für die Freilassung des Pastors verlangte er von Trump die Auslieferung von Fethullah Gülen, der in Pennsylvania lebt, an die Türkei. Stattdessen bekam die Türkei Zollerhöhungen und Sanktionen. Für einige Tage fiel die türkische Lira gegenüber dem US-Dollar um 40 Prozent.
Er wählte die falschen Leute
Erdogan scharte in seinem innersten Kreis nur Verwandte um sich, Freunde oder Menschen, die ihm ausschließlich das sagen, was er hören will. Also sprach ihn niemand auf seine Fehler an. Wer es wagte, wurde rausgedrängt. Und die Menschen in seinem Umfeld wiederum schufen eigene Netzwerke des Nepotismus. Die Geständnisse eines Mafiabosses haben einige der zwielichtigen Geschäfte zutage gefördert, die sich im Erdogan-Umfeld ausgebreitet haben. Darunter auch die Erpressung von Geschäftsleuten mit der Drohung, sie als Gülen-Anhänger zu diffamieren.
Er wiederholte seine Fehler immer wieder
Innerhalb von zwei Jahren hat Erdogan drei Direktoren der Zentralbank ersetzt, weil sie nicht hundertprozentig mit seiner Geldpolitik einverstanden waren. Obwohl ihn die Wirtschaftslage eines Besseren hätte belehren müssen, hielt Erdogan daran fest, dass hohe Zinsen eine galoppierende Inflation hervorrufen würden. Auch die Ernennung seines Schwiegersohns Berat Albayrak zum Finanzminister war keine gute Entscheidung. Er war dafür verantwortlich, dass die Zentralbank 128 Milliarden US-Dollar verkaufte, um die türkische Lira zu stützen - das verhinderte allerdings den Absturz der Währung nicht. Am Ende reagierten die Finanzmärkte erleichtert auf Albayraks Rücktritt. Da war es dann allerdings schon zu spät für die Wiederbelebung der türkischen Lira.
Seine Intoleranz wurde noch größer
Wie bei allen Tyrannen begegnet Erdogan jeder Form von Diversität mit Wut, Gewalt oder bestenfalls mit Ignoranz. Ob es um eine abweichende politische Meinung geht, die pro-kurdische Partei, eine Regenbogenfahne, Studierende, Feministinnen - er wies Polizei und Justiz immer wieder an, brutal gegen sie vorzugehen.
Erdogan nannte den Putschversuch einmal ein "Geschenk Gottes", weil er dachte, er gebe ihm die Chance, den Staat komplett zu übernehmen. Aber leider hat er einen weiteren Fehler gemacht, den alle Tyrannen machen. Sie halten sich ab einem gewissen Punkt für unbesiegbar, bis ihnen klar wird: Tyrannei ist ein von der Bevölkerung losgelöstes, endliches System. Seine Beschaffenheit garantiert sein Ende und seine Zerstörung. So wie ein schwarzes Loch, das immer weiter schrumpft, bis es verschwunden ist. Erdogans Haltung nach dem gescheiterten Putschversuch hat diesen Prozess noch beschleunigt. Es scheint, dass er den Punkt erreicht hat, von dem aus es keine Wiederkehr gibt für die Tyrannei, die im schwarzen Loch verschwindet.
Die türkische Journalistin und Fernsehmoderatorin Banu Güven schreibt für verschiedene deutsche und türkische Medien. Seit 2018 lebt und arbeitet sie in Deutschland.