1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Beginn eines kalten Friedens

György Dalos Autor Ungarn
György Dalos
6. Mai 2020

Die Anti-Hitler-Koalition hielt nicht lange über die Kapitulation der deutschen Wehrmacht hinaus und Europa wurde geteilt. 75 Jahre später befindet sich der Kontinent wieder einmal auf dem Prüfstand, meint György Dalos.

https://p.dw.com/p/3bkvd
Bildergalerie Zweiter Weltkrieg | Schlacht um Berlin, 1945
Tanzender sowjetischer Soldat am Kriegsende in Berlin Bild: picture-alliance/akg-images

Der 9. Mai 1945 war der erste Tag ohne Kämpfe, der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende. Weil starke Einheiten der Wehrmacht dem zwei Tage zuvor vollzogenen Kapitulationsakt von Reims weiter trotzten, einigte sich die Anti-Hitler-Koalition anstatt des eigentlich vorgesehenen 8. Mai auf diesen Zeitpunkt als "Tag des Sieges".

Gleichzeitig wüteten noch die Kämpfe im Fernen Osten zwischen Japan und den Vereinigten Staaten mit unveränderter Intensität. Erst die beiden US-Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki sowie der Einmarsch der UdSSR in der Mandschurei im Nordosten Chinas führten zur bedingungslosen Kapitulation des japanischen Kaiserreichs am 2. September - der Schlussakt fast auf den Tag sechs Jahre nach dem Ausbruch des Weltenbrandes.

Winston Churchill
Winston Churchill führte als Premierminister von 1940 bis 1945 Großbritannien durch den Zweiten WeltkriegBild: Imago/ZUMA/Keystone

Warnung vor der "kommunistischen Gefahr"

Allerdings zeigten sich mitten in der Friedenseuphorie bald die ersten Risse unter den Alliierten. Als Beginn der neuen, offenen Konfrontation wird Winston Churchills Rede vom 5. März 1946 betrachtet. Der bereits nicht mehr aktive britische Staatsmann warnte während seiner Reise in die Vereinigten Staaten in Anwesenheit des US-Präsidenten Harry Truman die westliche Welt vor Stalins Politik: "Von Stettin an der Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria ist ein 'Eiserner Vorhang' über den Kontinent gezogen. Hinter jener Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten Zentral- und Osteuropas: Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia. Alle diese Städte liegen in der Sowjetsphäre und alle sind sie in dieser oder jener Form nicht nur dem sowjetrussischen Einfluss ausgesetzt, sondern auch in ständig zunehmendem Maße der Moskauer Kontrolle unterworfen."

Zwar brachte der britische Ex-Premier in der Ansprache auch seine "hohe Achtung und Bewunderung für das tapfere russische Volk" und den "Kameraden aus der Kriegszeit, Marschall Stalin" zum Ausdruck. Aber vor allem forderte er eine stärkere Konfliktbereitschaft der Westmächte gegenüber den Sowjets, die "nichts so sehr bewundern wie die Kraft und Macht, und nichts so sehr verachten wie militärische Schwäche". Für die Teilung der Welt entlang der von Churchill beschriebenen Grenze prägte der britische Autor George Orwell in seinem Aufsatz "Sie und die Atombombe" den Begriff "Kalter Krieg".

Bau der Berliner Mauer, 1961
Das kommunistische DDR-Regime beschließt den Bau der Berliner Mauer (August 1961)Bild: Getty Images/Keystone

Ein "kaltes Friedensangebot"

Die Metapher vom "Eisernen Vorhang" materialisierte sich in dem sogenannten "technischen Sperr- und Festungssystem", mit dem sich der Ostblock von den Weststaaten abriegelte. Allein zwischen Ungarn und Österreich wurde ein Stacheldrahtverhau mit einem 243 km langen, zweireihigen Zaun und drei Millionen Tretminen aufgebaut. Selbst innerhalb des eigenen geographischen Raums der "realsozialistischen" Länder entstanden Monster wie die Berliner Mauer oder die 170.000 Bunker für den propagandistisch stets beschworenen "Ernstfall" in Albanien.

György Dalos Autor Ungarn
György Dalos ist ungarischer Schriftsteller und HistorikerBild: picture-alliance / APA/picturedesk.com

Churchills Rede in Fulton war nicht der Auslöser der lang anhaltenden Auseinandersetzung der Sieger von 1945. Sie hielt nur fest, was bereits während des Krieges, bei den Planspielen für eine Nachkriegsordnung, an denen Churchill persönlich beteiligt war, offenkundig war. Mitten im Krieg musste es den Westalliierten klar geworden sein, dass die Sowjetunion aufgrund ihres überproportionalen Einsatzes und Opfers eine entsprechende Entschädigung und zukünftige territoriale Schutzzone beanspruchen und durchaus imstande sein würde, ihren Forderungen militärischen Nachdruck zu verleihen.

Churchills Sorge richtete sich darauf, wie man Moskau seine Machtsphäre überlassen und zugleich seine Expansionslust eindämmen könnte. In diesem Sinne enthielt die Rede neben der kalten Kriegserklärung auch ein diskretes, ebenfalls kaltes Friedensangebot. In diesem "Kalten Frieden", dem Gleichgewicht des Schreckens und der nuklearen Parität wuchsen ganze Generationen auf. Kein Wunder, dass diese gute 40 Jahre später mit Begeisterung auf Grenzöffnung und dem Fall der Mauer reagierten - ganz so, als wären durch diese Ereignisse alle Kriege beendet und ein Frieden ohne Sieger und Besiegte erreicht, eine Heimkehr vollzogen. Das Zauberwort hieß "Gemeinsames Haus Europa".

Europa erneut auf dem Prüfstand

Der Triumph der Anti-Hitler-Koalition sicherte, trotz der darauffolgenden Spaltung sowie einem Wechselfieber von Phasen der Spannung und Entspannung, unserem geschundenen Erdteil Europa eine relative Stabilität und Frieden. Anderswo - im Nahen Osten, in Afrika und Asien, und seit einigen Jahren auch wieder in der Ukraine - fanden stets und finden bis heute bewaffnete Konflikte statt, deren Folgen uns auch in Gestalt von Flüchtlingen alltäglich erreichen.

Wie geht es weiter nach der Corona-Krise in Europa?
Wie geht es weiter in Europa nach der Corona-Krise?Bild: picture-alliance/HMB Media/Oliver Mueller

Selbst die eigene Ruhe ist sehr relativ: Der 1989 eingeleitete europäische Integrationsprozess verläuft keineswegs reibungslos. In fast allen Ländern sind Europa-skeptische oder Europa-feindliche Parteien entstanden, einige haben sogar die Macht gewonnen. Die aktuelle Pandemie von globalem Ausmaß bedeutet nun eine neue Herausforderung: nicht nur für den solidarischen Kampf gegen den monströsen Erreger, sondern auch für das Nachdenken über die Zeit danach. Gewissermaßen befindet sich Europa schon wieder auf dem Prüfstand.

Der Schriftsteller und Historiker György Dalos wurde 1943 in Budapest geboren. Studium der Geschichte an der Lomonossow-Universität in Moskau. Nach Schreib- und Publikationsverbot 1977 Mitbegründer der demokratischen Opposition in Ungarn. Lebte seit 1987 als freier Publizist in Wien, heute in Berlin.