An einem Sommerabend Mitte Juli vergangenen Jahres wurde der kleine Fluss Kyll in der Nähe der deutsch-belgischen Grenze plötzlich zu einer reißenden Flut. Das sonst sanfte Sommer-Rinnsal schwoll von einem Kubikmeter pro Sekunde plötzlich zu mehr als 50 Kubikmetern pro Sekunde an.
Das Wasser überschwemmte die Städte entlang des Flussbettes. Andere kleine Flüsse in der Region traten ebenfalls über die Ufer. Es war eines der schlimmsten Flutdesaster in der Geschichte Deutschlands. Mehr als 220 Menschen fielen den Fluten zum Opfer. Der Schaden wird auf 40 Milliarden US-Dollar geschätzt - die teuerste Naturkatastrophe, die Deutschland bislang erlebt hat.
Ursache Klimawandel
Viele machten die Klimakrise für den Rekordregen verantwortlich, der die Flüsse in der Eifel und den Ardennen zum Überfluten brachte. "Wir müssen uns sputen im Kampf gegen den Klimawandel", sagte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, als sie die Verwüstung besichtigte.
Merkel hatte Recht. Der Starkregen war beispielslos. Doch es gibt noch einen weiteren, versteckten Faktor, der die Fluten begünstigt hat: Veränderungen in der Bodennutzung innerhalb Europas zerstören natürliche Schwämme wie Feuchtgebiete, Weideland und Wälder. Ihre Kapazität schweren Regen aufzusaugen wird immer geringer, was dazu führt, dass sich Regen, wenn er flussabwärts durch Entwässerungskanäle, harte Oberflächen und kahlen Boden fließt, zu Flüssen entwickelt.
Das ist der Grund, warum die kleine Kyll innerhalb weniger Stunden von einem ruhigen Nebengewässer zu einem reißenden Fluss wurde.
Natürliche Schwämme wiederherstellen
Deutschland hat 30 Milliarden Euro bereitgestellt, um die Schäden der Juli-Flut zu reparieren. Doch wenn versäumt wird, die höher gelegenen Gebiete mit Schwamm-Funktion auf dem Kontinent zu reparieren, wird es noch viele solcher Nächte geben.
Einst konnten diese Ökosysteme nach heftigem Regen große Volumen an Wasser speichern und dieses dann über mehrere Tage und Wochen hinweg verteilt wieder in die Flüsse ablassen. Doch Trockenlegungen für die Landwirtschaft und die kommerzielle Fortwirtschaft sowie die Landgewinnung in Feuchtgebieten, die Konstruktion moderner Gebäude und undurchlässige Oberflächen wie Asphalt haben die Saugfähigkeit dieser Schwämme radikal verringert.
Das Land in den oberen Flussbereichen der Kyll in den Höhenlagen der Eifel ist dafür ein gutes Beispiel: Es wurde umfangreich trockengelegt. Ein holländischer Hydrologe des Büros Stroming hat herausgefunden, dass die Gebiete, die am weitesten stromaufwärts liegen, am meisten zu den Wassermengen der Flut beigetragen haben.
Selbst die Straßen spielen dabei eine Rolle: Wenn Asphaltpisten auf dem Land überflutet werden, spülen sie im Schnellverfahren Wasser in die umliegenden Flüsse. "Straßen scheinen die häufigsten Abflusssysteme während dieser intensiven Sommerregen zu sein," schlussfolgerte der Hydrologe.
Das Desaster eindämmen
Es ist jetzt zwei Jahrzehnte her, dass der damalige Umweltminister Jürgen Trittin anlässlich der Elbe-Flut versprochen hat, "unseren Flüssen mehr Raum zu geben, weil sie sich diesen sonst selber nehmen werden".
Doch die Bemühungen haben sich bisher nur darauf konzentriert, in den unteren Teilen der großen Flüsse wieder natürliche Überschwemmungsgebiete zu schaffen. Wichtige hochgelegene Schwämme wurden in den Flussbettplänen zum Großteil vergessen, wie zum Beispiel im Programm "Rhein 2040", das darauf abzielt, ein Wassereinzugsgebiet zu kreieren, das nachhaltig bewirtschaftet wird und resilient gegen die Effekte des Klimawandels ist. Das muss sich ändern.
Die Lösung zum Schutz vor Überflutungen liegt nicht darin, Beton zu verbauen, damit Flüsse in ihren Bahnen bleiben. Wichtig ist vielmehr Wasserabläufe zu blockieren, intensive Bebauung zu reduzieren, Böden und Feuchtgebiete wiederherzustellen und Flüsse wieder mit ihren Überschwemmungsgebieten zu verknüpfen.
Die Studie des Stroming-Büros schätzt, dass es ausreichen würde, die Hälfte der Schwämme entlang der oberen Kyll wiederherzustellen, um den Höchststand der Wasserentladung in die Flüsse um bis zu 35 Prozent zu verringern. Das wäre genug gewesen, um die Zerstörung in einer ganzen Reihe von Städten und Dörfern zu verhindern. Damit ließe sich auch der Pegelstand in Flüssen bis zur Mündung ins Meer senken.
Wir bei Wetlands International schätzen, dass die Wiederherstellung der Schwämme in den oberen Flussgebieten die Hochwassergefahr auf einer Fläche 125.000 Quadratkilometern in Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg reduzieren könnte.
Ortschaften und Biodiversität zugleich schützen
Und es gibt noch weitere Vorteile: Wiederhergestellte Schwämme und Feuchtgebiete bewahren die Biodiversität, speichern Kohlenstoff und bleiben länger feucht, womit Flussläufe auch in Trockenzeiten noch Wasser führen würden.
Doch unsere Feuchtgebiete verschwinden erschreckend schnell - dreimal schneller als die Wälder. In den vergangenen 50 Jahren haben wir 35 Prozent der Feuchtgebiete auf der Welt verloren - damit sind sie das am meisten gefährdete Ökosystem. Feuchtgebiete schützen unsere Ortschaften vor dem Klimawandel, ihr Zerfall gefährdet Menschenleben.
Natürlich müssen wir den Klimawandel bekämpfen. Aber extreme Wetterereignisse müssen nicht zwangsläufig zu solch extremen Flutkatastrophen führen. Während wir daran arbeiten, das Klima zu retten, sollten wir uns deshalb auch um unsere Landschaft kümmern.
Jane Madgwick ist Ökologin und Umweltschützerin. Sie leitet die Organisation Wetlands International, die in mehr als 100 Ländern daran arbeitet, Feuchtgebiete wiederherzustellen und zu schützen.