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Neue Instrumente für ein neues Europa

Italien Europaabgeordneter Brando Benifei APP PROVISORISCH
Brando Benifei
27. August 2015

Das Projekt Europa ist nicht gescheitert. Aber die Eurokrise wird nur dann ein Ende finden, wenn die EU sich entscheidet, was sie in Zukunft sein möchte, meint der italienische EU-Abgeordnete Brando Benifei.

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Außenansicht der Europäischen Kommission in Brüssel (Foto: DW)
Bild: picture-alliance/dpa/D. Kalker

Die schmerzhafte Einigung über die Verlängerung der Rettungsmaßnahmen für Griechenland hat das jüngste Kapitel der seit 2011 vermeintlich nicht enden wollenden Eurokrise geschlossen. Zunächst. Das Ende der Geschichte ist allerdings noch offen. Denn solange entscheidende Fragen über das Wesen Europas unbeantwortet bleiben, wird es keine endgültige Lösung der Krise geben.

Die allererste für die europäische Zukunft wichtige Frage betrifft den Prozess der europäischen Integration. Soll Europa ihn fortführen oder nicht? Das ist keine rhetorische Frage mehr. Viele Menschen und Parteien in Europa glauben, dass das Projekt Europa gescheitert ist. Oder dass es zumindest radikal reduziert werden sollte. Ich teile diese Auffassung nicht. Im Gegenteil. Ich denke, einer der Hauptgründe für die Krise ist die Unfähigkeit, den Integrationsprozess voranzutreiben. Das Fehlen einer tatsächlichen Fiskalunion sowie einer gemeinsamen Industrie- und Investitionspolitik auf europäischer Ebene hat die Folgen der Krise im Zusammenspiel mit den kontraproduktiven Sparmaßnahmen verschlimmert und verlängert. Und dadurch auch die Natur der Krise selbst verändert.

Radikale Reformen nötig

Womit wir es derzeit zu tun haben, sind die Konsequenzen all jener Fehler, die beim Aufbau der institutionellen Architektur der EU gemacht wurden, insbesondere bei der Währung. Um strukturellen Ungleichgewichten entgegenzuwirken, fehlt es dem Euro vor allem an politischen Instrumenten. Die Überzeugung, dass sich Märkte spontan der Situation anpassen könnten, ist falsch. Der erste Schritt für eine tiefer gehende europäische Integration müsste daher sein, neue Instrumente für eine gemeinsame Fiskalpolitik zu entwickeln. Dies bedeutet nicht allein weitere verbindlichere Regeln. Im Fokus sollte auch eine stärkere Verpflichtung auf Wachstum und Investitionen stehen. Und auch die Budget-Regeln sollten vor diesem Hintergrund beleuchtet werden.

Die flexiblere Neuregelung der EU-Kommission bei der Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts stellt ebenso wie der Juncker-Plan ein neues Element eines positiven Wandels dar. Es reicht aber bei Weitem nicht aus. Tiefer gehende und radikalere Reformen sind nötig.

"Europa der zwei Geschwindigkeiten" als realistischer Weg

Unglücklicherweise ist der zuletzt veröffentlichte Bericht der fünf Präsidenten alles andere als zufriedenstellend. Insbesondere wenn man ihn mit dem ehrgeizigen Beitrag der italienischen Regierung vergleicht. Oder mit der von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Zusammenarbeit mit Ratspräsident Donald Tusk, Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und EZB-Präsident Mario Draghi veröffentlichten Analyse, die die Diskussionen über die Zukunft der EU und der Eurozone neu eröffnet hat.

Was kann getan werden, um ein derart ehrgeiziges und zugleich so notwendiges Reformprojekt zu erreichen? Wir sollten akzeptieren, dass eine vertiefte europäische Integration nur von einer kleinen Zahl von Ländern in Bewegung gebracht werden kann. Ich glaube, dass ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" der einzig realistische Weg ist, diesen Prozess einzuleiten. Besonders, weil es derzeit so schwer scheint, in den Mitgliedsstaaten den notwendigen Konsens für radikale Beschlüsse zu erreichen.

Stärkere europäische Parteien

"Das andere Europa" sollte einen deutlichen Budget-Zuwachs, ein stärkeres Mandat für die Europäische Zentralbank und einen europaweiten Investitionsplan bekommen. Das Europäische Parlament und die EU-Kommission sollten eine stärkere Rolle spielen. Es sollte eine echte "europäische Öffentlichkeit" und stärkere europäische Parteien geben. [Anm. d. Red.: Die gemeinsam im EU-Parlament über Landesgrenzen hinaus arbeiten.]

Populistische und nationalistische Bewegungen fordern ganz Europa heraus. Die einzig mögliche Antwort darauf ist ein einheitliches Europa. Ein Europa, das stark genug ist, dieser Kritik zu begegnen. Ein Europa, das weniger Distanz zu den Menschen und mehr Demokratie aufweist. Ein Europa, das in der Lage ist, die alltäglichen Probleme der Bevölkerung besser zu lösen, ist essentiell, um das Misstrauen der Bürger zu beseitigen.

Solide Hilfe für junge Menschen

In der Vergangenheit hat man Europa als Faktor für Fortschritt und Wohlstand betrachtet. Dieses Bild kann wiederaufleben. Als passendes Beispiel einer guten europäischen Politik könnte man etwa die sogenannte EU-Jugendgarantie nehmen. Arbeitslosigkeit ist ein Problem für Millionen Menschen in Europa. Die Jugendgarantie ist eine solide Hilfe für junge Menschen und vermittelt ein besseres Bild von Europa.

Im größeren Maßstab kann einzig ein einheitlicheres Europa ein Motor für Investitionen und Wachstum sein und zugleich für die wahre Bedeutung der europäischen Staatsbürgerschaft werben, die auf Chancengleichheit, Offenheit und Wohlstand basiert. Auf diese Weise können sowohl auf ökonomischer als auch auf symbolischer Ebene die vielfach vereinfachten und anachronistischen Vorschläge von Populisten und Nationalisten jeglicher Couleur in Europa gekontert werden.

Brando Benifei ist italienischer Europa-Abgeordneter der Demokratischen Partei (PD). Mit 29 Jahren gehört er zu den jüngsten Mitgliedern des EU-Parlaments.

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