Pakt mit Langzeitwirkung
Am Ende nahmen sich einige der Teilnehmer an die Hand, sie jubelten und lachten, es wurde geklatscht. Als im Juli nach jahrelangen zähen Verhandlungen im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York der UN-Migrationspakt beschlossen wurde, war die Stimmung nahezu ausgelassen. Aber was dort als internationaler Durchbruch gefeiert wurde, wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Die Gegner behaupten immer wieder, der Pakt würde die eigene nationale Souveränität gefährden. Der Bundestag hat eine Erklärung zum UN-Pakt verabschiedet, die noch einmal betont, dass der Pakt die Bundesrepublik rechtlich nicht bindet – doch so einfach ist das nicht.
Richtig ist, der Pakt schränkt tatsächlich nicht die Souveränität der Staaten ein - aber das Recht arbeitet auf vielen verschiedenen Ebenen. Zwar sind die Standards unverbindlich, dennoch können sie klare Folgen haben. Denn das Regelwerk gehört zum "Soft Law" – so der völkerrechtliche Begriff für zunächst nicht bindendes Recht.
Moralischer Befolgungsdruck
Dieses ist ein Instrument für Standards, die in der Zone zwischen verbindlichen Rechtsnormen und unverbindlichen Proklamationen liegen. Eine Art Absichtserklärung, bei der es keinerlei völkerrechtliche Sanktionen gibt, wenn ein Staat sich nicht an die Verabredungen hält. Aber auch wenn es rechtlich nicht durchsetzbar ist, ist es natürlich juristisch nicht irrelevant: "Soft Law" beinhaltet einen Befolgungsdruck. Staaten unterzeichnen solche Instrumente auch nur, wenn sie deren Inhalte befürworten, deswegen setzen Regierungen diese in der Regel innerstaatlich um – und gießen sie so in innerstaatliches Recht. Außerdem sehen Soft-Law-Dokumente Mechanismen vor, um eine gewisse Einhaltung sicherzustellen – oftmals muss man Bericht erstatten, gestützt auf diese Berichterstattung werden dann Rankings erstellt – es entsteht also auch moralischer Druck, die Standards auch umzusetzen.
Zudem kann Völkergewohnheitsrecht entstehen, wenn eine Rechtspraxis über Jahre hinweg befolgt wird. So kann es zu einer "Verrechtlichung" kommen. Zum Beispiel hat 1948 die Generalversammlung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen. Über die Jahre hinweg sind Staaten zu der Auffassung gekommen, dass es sich dabei um rechtlich verbindliche Normen handeln soll, und 1966 hat man dann zwei Menschenrechtspakte in der UNO angenommen, die rechtlich verbindlich sind. Aber das ist ein langer Prozess, es braucht diese Praxis, aber auch die Rechtsüberzeugung der Staaten, dass eine Regel rechtsverbindlich sein soll. Durch die Verabschiedung eines "Soft Law"-Gesetzes gibt ein Staat ja gerade zum Ausdruck, dass ein solches Regelwerk nicht verbindlich sein will - es braucht Jahre, bis so ein Prozess der "Verrechtlichung" stattfinden kann. Wenn sich alle Staaten lange genug daran halten, wird das politisch Verbindliche irgendwann auch rechtsverbindlich, doch das dauert meist Jahrzehnte. Aber auch hier wird es wieder kniffelig: Wenn sich die Mehrzahl der Staaten nicht an den UN-Pakt hält, dann entsteht auch kein Völkergewohnheitsrecht - also auch keine Verpflichtung für die Bundesrepublik.
Aber: Was in diesem Papier steht, ist für Deutschland nichts wirklich Neues – denn hier gilt ohnehin die Europäische Menschenrechtskonvention. Wenn der Straßburger-Gerichtshof urteilt, dass eine afghanische Familie unter bestimmten Umständen nicht aus Deutschland nach Italien abgeschoben werden darf, dann ist das bindendes Recht.
Das Beste, was erreicht werden konnte
Bisher konnte keiner der Kritiker des UN-Pakts auch nur im Ansatz aufzeigen, wie diese abstrakte Angst vor neuen Rechten konkret aus diesem Migrationspakt hervorgehen soll. Die Idee, dass dieser Migrationspakt die heimische Rechtsprechung aushöhlen könnte - im Gegensatz zum EU-Recht, der Menschenrechtskonvention und der Anti-Folter-Konvention - ist geradezu absurd. Migration ist ein klassisches grenzüberschreitendes Thema – und kann nur grenzüberschreitend behandelt werden. Weil Staaten aber immer mehr völkerrechtliche Verbindlichkeiten scheuen, ist der Migrationspakt derzeit das Beste, was erreicht werden konnte.
Cigdem Akyol ist freie Journalistin und hat an der Universität zu Köln Völkerrecht studiert.