Trugbilder des Gaza-Krieges
22. Juli 2014Kriegsbilder sind Trugbilder und keine Realbilder. Wie fast alle Bilder täuschen Kriegsbilder ein Sein vor. Sie zeigen aber nur den Schein. Die Bilder vom Gazakrieg zeigen viele erschossene palästinensische Zivilisten. Das empört die Zuschauer. Zu Recht. Ja, diese Zivilisten sind unschuldig.
Wer ist schuld an ihrem Tod? Das aus den Bildern abgeleitete Urteil lautet: "Israel". Ja, das ist der Schein. Das Sein, der wahre Kern, ist anders. Die meisten unschuldigen palästinensischen Zivilisten sind Opfer der palästinensischen Hamas.
Wie das? Ganz einfach. Man muss nur das Wesen des Guerillakrieges kennen und verstehen. Die Hamas ist militärisch der kleine David, Israel der Riese Goliath. Militär gegen Militär wäre die Hamas sofort besiegt. Deshalb nutzt die Hamas, wie alle Davids gegen alle Goliaths die Guerilla-Strategie. Guerilla-Strategie bedeutet an allen Orten dieser Welt und in allen Epochen der Weltgeschichte: Die Guerilla nutzt die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschild und damit letztlich als Geisel.
Verheerende Bilder für Israel
Raketen und andere Waffen werden aus Kindergärten, Krankenhäusern, Wohnhäusern oder Moscheen auf israelische Soldaten und Zivilisten gefeuert. Das wollen die Ärzte und Patienten so wenig wie die Kinder und Kindergärtnerinnen, wahrscheinlich auch nicht die Geistlichen in den Moscheen. Doch sie werden nicht gefragt. Sie müssen sich der Guerilla fügen. Wenn nicht, werden sie ermordet. Also schießt die Guerilla vom eigenen Zivil aus. Das ist das Gesetz des Guerillakrieges. Auch des Krieges zwischen Hamas und Israel.
Das beschossene israelische Militär hat nun, wie jedes Militär, zwei Möglichkeiten. Zurückschießen oder nicht. Wird es nicht getan, geht der Beschuss aufs israelische Militär und Zivil weiter. Also wird zurückgeschossen. Das wiederum bringt für Israel, wie für jeden Goliath, politisch und psychologisch im wahrsten Sinne des Wortes verheerende Bilder.
Abschreckende Bilder oder der Tod eigener Soldaten und Zivilisten. Das ist die Alternative, vor der Israel, wie jedes gegen eine Guerilla kämpfende Militär steht. Im Klartext: Guerillagruppen, also auch die Hamas, missbrauchen die eigene Zivilbevölkerung als Geisel. Auf diese Weise wird der militärisch Überlegene, hier: Israels Soldaten und alle Bürger Israels, psychologisch und moralisch verunsichert. Die Guerilla aber, hier die Hamas, erobert durch die Schreckensbilder das Herz der fernsehschauenden Welt. Diese Bilder sind von hohem politischen Wert. Sie sind von der Hamas, wie von allen Guerillagruppen zu allen Zeiten, gewollt. Das ist die Strategie der Guerilla. Sonst geht auch sie unter. Sonst gäbe es auch keinen politischen Druck auf ihren Feind, also auf Israel.
Journalisten als Instrument der Hamas
Diejenigen, die die Bilder machen und kommentieren, also die Journalisten, werden somit, gewollt oder nicht, doch ahnungslos, weil kenntnislos, zum Instrument der Guerilla. Die Zuschauer verlassen sich natürlich auf die Bilder und die Kommentare der Berichterstatter. Fertig ist das Bild. Die Zuschauer haben alles gesehen und nichts verstanden. Sie "haben Augen und sehen nichts". Sie haben Ohren und verstehen nichts.
Sie verstehen erst recht nicht die Tragödie des palästinensischen Volkes. Diese besteht unter anderem darin, dass sich die Palästinenser-Führung seit jeher, seit mehr als 100 Jahren, selten ums Wohl der Menschen sorgte und stattdessen mehr um sich selbst. Präsident Abbas ist eine Ausnahme, die Hamas entspricht dieser tragischen Regel. Wenn das so weitergeht, haben die Palästinenser noch in tausend Jahren keinen eigenen Staat. Und die ahnungslosen Zuschauer meinen zu wissen, Israel wäre schuld. Schein und Sein sind eben nicht identisch und Bilder trügerisch.
Michael Wolffsohn ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er lehrte bis 2012 an der Bundeswehruniversität München. Wolffsohn veröffentlichte unter anderem die Titel "Wem gehört das Heilige Land?", "Juden und Christen", "Über den Abgrund der Geschichte hinweg".