Ungarns Hetzer bleibt an der Macht
Ungarn hat sich entschieden. Weit über 60 Prozent haben eine rechtsextreme und eine noch rechtsextremere Partei gewählt. Es ist bei diesen Parteien müßig, sich lange mit der Frage aufzuhalten, welche radikaler ist.
Ungarn hat sich entschieden. Viktor Orban soll Ministerpräsident des Landes bleiben. Damit haben die Wähler und Wählerinnen erneut einen Mann an die Macht gebracht, der in seinem Wahlkampf gegen Menschen gehetzt hat - Menschen islamischen Glaubens und Menschen jüdischen Glaubens. So etwas nennt man Islamophobie und Antisemitismus. Dass Orban und die seinen auch weitere Standards demokratischer Rechtsstaaten auf ihre Art interpretieren - also mit der Einschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit sowie dem Umbau dessen, was wir Rechtsstaat nennen - kommt hinzu.
Motivation für alle Antidemokraten
Mit dieser Wahlentscheidung werden zugleich die Regierungen Europas gestärkt und motiviert, die nach ähnlichen Prinzipien regieren. Ganz vorne Polen. Die Visegrád-Staaten insgesamt. Aber auch in westeuropäischen Ländern wie Österreich regiert eine Koalition mit der rechtsextremistischen FPÖ. Die Europäische Union ruht einerseits auf der Säule der Ökonomie, mit den Früchten des freien, grenzüberschreitenden Handels und dem daraus hervorgegangenen Wohlstand. Fundamental aber ist auch die Säule der demokratischen und rechtsstaatlichen Werte. Jedes neue Mitgliedsland unterschreibt die EU-Grundrechtecharta, die jegliche Diskriminierung, ob rassischer, religiöser oder sexueller Art, verbietet.
Rechtsstaatlichkeit als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie und die Demokratie selbst ist die identitätsstiftendende Begründung für den engen Zusammenschluss der Länder Europas. Doch seit Jahren ist zu beobachten, dass diese zentralen Werte mit Füßen getreten werden. Seit Jahren ist zu beobachten, dass mehr und mehr Länder von Parteien regiert werden, die die Grundwerte der Europäischen Union, die grundlegenden Menschenrechte überhaupt verlachen und sogar aktiv bekämpfen. Seit Jahren werden wir Zeugen der gesellschaftspolitischen Veränderungen in diesen EU-Staaten. Doch seit Jahren passiert - nichts.
Wie lange will die EU noch zusehen?
Spätestens mit der erneuten Wiederwahl von Viktor Orban stellt sich die Frage, wie lange die Europäische Union nach dem Prinzip der drei Affen - ich höre nichts, ich sehe nichts, ich sage nichts - dieser Pervertierung der europäischen Werte noch zusehen will. Wer nicht reagiert, nicht sanktioniert, mit den Regierungen dieser Länder nicht Tacheles redet, wer Angst vor dem Konflikt hat, stärkt diese Bewegungen und schwächt die eigene Glaubwürdigkeit als Wächter der demokratischen Werte.
Business as usual geht nicht! Man kann nicht einerseits zu Recht den Rassismus des türkischen Präsidenten Erdogan verurteilen und andererseits freundlich lächelnd beim nächsten EU-Gipfel neben Herrn Orban stehen, als wäre nichts geschehen. Man kann nicht in Sonntagsreden vom Beispiel der Europäischen Union für die demokratische Idee sprechen, während eine Reihe von Mitgliedsstaaten genau diese Demokratie Stück für Stück demontieren. Man kann nicht Rassismus und Antisemitismus im eigenen Land zu Recht verurteilen und sanktionierten und sogar einen Antisemitismusbeauftragten ernennen, sich aber zugleich mit Regierungschefs zusammensitzen, die von genau diesem Antisemitismusbeauftragten öffentlich gebrandmarkt werden müssten.
Es werden nicht weniger, sondern mehr Länder, die sich nach Orbans Wahlsieg mit noch stärkeren und selbstbewussteren rechtsextremen und populistischen Parteien werden auseinandersetzen müssen. Die Europäische Union und ihre Idee ist an vielen Stellen verwundbar und verletzbar. Eine weitere Entdemokratisierung von noch mehr Mitgliedern wäre ihr Todesstoß.
Michel Friedman ist Jurist, Publizist und Fernsehmoderator. An der Frankfurt University of Applied Sciences ist er Professor für Immobilien- und Medienrecht. Außerdem leitet er dort ein Forschungszentrum für Europafragen und ist einer von vier Direktoren des 2016 gegründeten "Centers for Applied European Studies". Bei der Deutschen Welle moderiert er die Talk-Formate "Conflict Zone" und "Auf ein Wort... mit Michel Friedman".