Gauck in Tschechien: Ein Besuch zwischen Geschichte und Gegenwart
4. Mai 2014Vor rund zwei Jahren bereiste Joachim Gauck das Nachbarland bereits - und setzte Zeichen. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt besuchte er tschechische Dörfer, die von den Nationalsozialisten zerstört worden waren. Vor einer Bronzestatue für die ermordeten Kinder von Lidice legte er einen Kranz nieder. Auch für einen Brief zum 70. Gedenktag der Gräueltaten an den damaligen Präsidenten Vaclav Klaus, in dem er sich zur historischen Verantwortung Deutschlands bekannte und "tiefe Betroffenheit und Scham" äußerte, erntete er Lob. So erklärte der außenpolitische Experte der oppositionellen tschechischen Sozialdemokraten, Lubomir Zaoralek, damals: "Es ist für unser Nachbarschaftsverhältnis mit Deutschland unglaublich wichtig, dass wir dieser Ereignisse gemeinsam gedenken können." Der Historiker Pavel Suk sprach sogar von einem "Durchbruch": "Das ist eine der menschlichsten Äußerungen der deutschen Seite nach 70 langen Jahren."
Nun hat sich Gauck am Sonntag (04.05.2014) abermals auf den Weg nach Tschechien gemacht. Dies könnte ein Vorgeschmack auf kommende Reisen in die östlichen Nachbarländer sein. Denn laut der "Sächsischen Zeitung" plant das deutsche Staatsoberhaupt von Juni an eine sogenannte "Freiheitstournee" durch Osteuropa. In diesem Jahr wird nämlich ein Ereignis gefeiert, das Gauck als ehemaligem DDR-Bürgerrechtler besonders am Herzen liegen dürfte: Die friedliche Revolution vor 25 Jahren. Die damalige Tschechoslowakei spielte ein wichtige Rolle bei der Wiedervereinigung: Mehrere tausend Ostdeutsche hatten 1989 die Botschaft in Prag besetzt, um auf ihre Ausreise in die Bundesrepublik zu warten."Die Opposition gegen den Staatssozialismus und die friedliche Revolution sind natürlich Gaucks Themen", sagt Christiane Brenner vom Collegium Carolinum, einer Forschungsstelle mit Sitz im Sudetendeutschen Haus in München, der DW.
Ehemaliges Aufreger-Thema verblasst
Drei Tage wird er sich im Zehn-Millionen-Einwohner-Land aufhalten. Zusammen mit Präsident Zeman will er auch das frühere nationalsozialistische Konzentrationslager Theresienstadt besuchen, in dem bis 1945 etwa 33.000 Menschen den Tod fanden. Auf der Agenda steht dieses Mal vermutlich noch ein anderes brisantes Thema der deutsch-tschechischen Vergangenheit: Die Vertreibung der Sudetendeutschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten rund drei Millionen Sudetendeutsche ihre Heimat in der damaligen Tschechoslowakei verlassen. Das ehemalige Aufreger-Thema scheint aber mittlerweile aus Expertensicht keines mehr zu sein. "Diese großen Streitpunkte, die vor allem aus der deutsch-tschechischen Geschichte kommen, haben keine große Bedeutung mehr", glaubt Jennifer Schevardo von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Ein kurzer Abriss: 1938 marschierten Hitlers Truppen in das Sudetengebiet ein, 1939 wurde der restliche Teil Böhmens und Mährens besetzt und zum "Protektorat" gemacht. Die Tschechen wurden unter der deutschen Besetzung politisch und kulturell unterdrückt. Die Gräueltaten von Lidice gehören zu den schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen auf tschechischem Boden - die Männer des Dorfes wurden erschossen, Frauen und Kinder verschleppt. Nach dem Ende der Nazi-Diktatur mussten die Deutschen das Gebiet verlassen, was teilweise sehr gewaltsam ablief. In Aussig, dem heutigen Ústí nad Labem, wurden nach deutschen Angaben bis zu 2700 Deutsche innerhalb weniger Stunden getötet. Insgesamt wurden 2,9 Millionen Menschen ausgesiedelt oder vertrieben oder sind geflüchtet. Die Vertreibung wurde nachträglich durch den aus dem Exil zurückgekehrten tschechischen Politiker Edvard Beneš durch verschiedene Gesetze legitimiert - sie gingen später als die Beneš-Dekrete in die Geschichte ein und belasteten über Jahrzehnte das Verhältnis beider Staaten.
Aufarbeitung in Büchern und Filmen
"Mein Eindruck ist, dass das Thema nicht mehr so relevant ist in den deutsch-tschechischen Beziehungen - es hat auf jeden Fall jegliche Explosivität verloren", sagt Schevardo. Sie ist sich sicher: Auch diesmal wird Gauck positiv in der Presse besprochen. "Heutzutage kann man auch in Tschechien die Vertreibung kritisieren – und sagen, was damals geschehen ist, ist auch ein Unrecht", sagt sie.
Diese Sicht teilt auch Christiane Brenner vom Collegium Carolinum. "Wir sind gerade an einem Punkt, wo das Thema nur noch sehr wenige Leute interessiert." Intensiv wurde es in den vergangenen Jahren behandelt. Auch Romane und Kinofilme widmeten sich diesem Teil der Geschichte, die deutsch-österreichisch-tschechische Produktion "Habermann" von 2009 erzählt zum Beispiel das Schicksal einer sudetendeutschen Unternehmer-Familie.
Enges und gute Verhältnis
"Deutschland und Tschechien haben ein sehr gutes Verhältnis", sagt Schevardo. Besonders seitdem in beiden Ländern Sozialdemokraten in der Regierung sind, gebe es gegenseitige Sympathiebekundungen: So soll der tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek seinen deutschen Amtskollegen Steinmeier duzen. Neben viel Geschichte dürfte deshalb auch die Gegenwart die Gespräche Gaucks beherrschen: Der Umgang mit der Krise in der Ukraine und die Wirtschaftskooperationen beider Länder.
So wickelt Tschechien laut dem Auswärtigen Amt knapp ein Drittel seines Außenhandels mit Deutschland ab, die Bundesrepublik ist damit mit Abstand wichtigster Handelspartner für das Land. Seit 1993 hat Deutschland auch kräftig in das Land, das sich vor allem auf seine Automobilwirtschaft stützt, investiert: Fast 20 Milliarden Euro flossen ins das südöstliche Nachbarland. Vor allem die grenznahen Bundesländer Bayern und Sachsen arbeiten eng mit Tschechien zusammen. Auch im Bereich der Außenpolitik wird eng kooperiert. Und im gemeinsamen Kampf gegen die Droge Crystal Meth, die im immer größeren Stil über die tschechisch-deutsche Grenze geschmuggelt wird, haben sich auch Zoll und Staatsanwaltschaften zusammengetan.