Geächtete Waffen im Ukraine-Krieg
2. Mai 2024Chlorpikrin ist eine giftige, ölige Flüssigkeit mit einem extrem penetranten Geruch. Kommen Menschen mit dem Stoff in Kontakt, kann er Hautblasen, Augenreizungen und Atembeschwerden hervorrufen. Besonders gefährlich ist, dass sein Dampf beim Einatmen die Blutgefäße in den Lungen angreift. Die Folge: ein Lungenödem mit rasselnden Atemgeräuschen und schaumig-rotem Auswurf, das schlimmstenfalls zum Tod führen kann. Bereits im Ersten Weltkrieg war man sich der Wirkung des Stoffes bewusst. Ursprünglich war Chlorpikrin als Pestizid entwickelt worden. Doch die russische Armee entwickelte daraus einen Kampfstoff. Auch die deutsche Armee setzte es ab 1916 in Gasgranaten an der französischen Front ein.
Chemiewaffen in der Ukraine?
Nun, mehr als ein Jahrhundert später, soll die russische Armee den Stoff erneut eingesetzt haben. Das zumindest wirft das US-Außenministerium Moskau vor. Auch andere Reizgase sollen die russischen Truppen verwendet haben. Ziel, so das Pentagon, sei es, die ukrainischen Streitkräfte aus befestigten Positionen zu verdrängen, um so taktische Fortschritte auf dem Schlachtfeld zu erzielen.
Sollte sich dies bewahrheiten, wäre das eine Verletzung der internationalen Chemiewaffenkonvention. Diese war 1997 in Kraft getreten und verbietet die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und den Einsatz chemischer Waffen. Außerdem regelte das Abkommen, dass sämtliche bestehenden Chemiewaffenarsenale deklariert und bis 2012 unter internationaler Aufsicht vernichtet werden mussten. Dass dies nicht flächendeckend geschehen ist, wurde etwa im Syrienkrieg deutlich, wo die Armee von Machthaber Baschar al-Assad noch 2018 einen Giftgasangriff in einem Vorort von Damaskus durchgeführt haben soll.
Russland besaß einst das größte Chemiewaffenarsenal der Welt, gehört aber auch zu den Unterzeichnerstaaten der Chemiewaffenkonvention. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) bestätigte im Jahr 2017, dass sämtliche russischen Chemiewaffenbestände mittlerweile vernichtet seien. Der Kreml wies den Einsatz chemischer Waffen in der Ukraine denn auch umgehend zurück. Dennoch zeigen nicht zuletzt die Anschläge auf Sergei Skripal und Alexej Nawalny, dass in Russland auch weiterhin chemische Kampfstoffe existieren - und auch zum Einsatz kommen.
Streubomben auf russischer und ukrainischer Seite
Eindeutiger dokumentiert ist, dass seit dem Ausbruch des Krieges im Februar 2022 wiederholt Streubomben eingesetzt wurden. Human Rights Watch zufolge sollen russische Streitkräfte seit ihrem Einmarsch mindestens sechs Arten von Streumunition benutzt haben. Erst in dieser Woche soll Russland die Schwarzmeerstadt Odessa unter anderem mit Streubomben angegriffen haben.
Aber auch die ukrainische Armee nutzt Streumunition. Im Juli 2023 hatte US-Präsident Joe Biden die Lieferung von Streubomben an Kiew erlaubt. Diese Bomben explodieren in der Luft und geben dabei hunderte kleinerer Bomben frei, die sich auf besonders weite Regionen verteilen und nicht alle sofort explodieren. Dadurch können sie noch Jahre später zur tödlichen Gefahr werden. Auch Streubomben sind laut des Übereinkommens über Streumunition seit 2010 geächtet. Jedoch haben weder die USA, noch Russland oder die Ukraine das entsprechende Abkommen unterschrieben.
Massenhafter Einsatz von Minen in der Ukraine
Die Ukraine ist das verminteste Land der Welt. Mehrere Millionen Sprengsätze sollen mittlerweile vergraben worden sein - auf einer Gesamtfläche, die doppelt so groß sein soll wie Österreich. Seit über einem Jahr hat sich der Konflikt im Osten des Landes zu einem Stellungskrieg entwickelt. Die Front hat sich in der Zeit nur geringfügig verschoben. Um ihre Verteidigungsstellungen zu sichern, setzen beide Seiten auf Anti-Panzer- und Anti-Fahrzeug-Minen, die in breiten Gürteln beidseits der Front verlegt werden.
Um eine Räumung zu erschweren, werden dazwischen jedoch auch immer wieder Anti-Personen-Minen verlegt - die aber sind seit 1997 international geächtet. Die Ukraine ist dem Vertrag zusammen mit 163 weiteren Ländern seinerzeit beigetreten, Russland jedoch nicht.
Besonders dramatische Folgen hatte die Sprengung des Kachowka-Staudammes östlich von Cherson im Sommer 2023. Denn die dadurch freigesetzten Wassermassen haben auch zahlreiche Minen freigespült und mitgerissen. Wie viele dies sind und wo genau sie sich heute befinden, ist weitestgehend unbekannt.
Phosphorbomben auf Mariupol und Bachmut?
Phosphorbomben bestehen aus weißem Phosphor und einer Mischung aus Rohbenzin und Kautschuk und werden unter anderem als Brandbombe eingesetzt. Sie entzünden sich bei Luftkontakt selbst und werden bis zu 1300 Grad heiß. Die Explosion einer Phosphorbombe setzt hunderte brennender Kügelchen frei. Bereits geringste Mengen können zu schwersten Verbrennungen führen, zudem sind die Dämpfe des weißen Phosphors hochgiftig.
Der Einsatz von Phosphorbomben ist laut Genfer Konvention gegen Zivilpersonen und in städtischen Gebieten verboten - nicht jedoch im Allgemeinen. Die Ukraine wirft der russischen Armee vor, Phosphorbomben bei den Kämpfen um das Asow-Stahlwerk in Mariupol sowie in Bachmut eingesetzt zu haben. Moskau bestreitet das.
Aber auch die Ukraine hatte in der Vergangenheit von ihren Unterstützerländern die Lieferung von Phosphor-Brandwaffen zur Landesverteidigung gefordert, diese jedoch nicht erhalten.
Urangeschosse für Kiew
Geliefert haben die USA der Ukraine panzerbrechende Uranmunition. Dabei handelt es sich um mit abgereichertem Uran ummantelte Geschosse, die einen Panzer durchschlagen können. Der im Fahrzeuginneren freigesetzte Uranstaub entzündet sich bei Luftkontakt und verbrennt dann die gesamte Fahrerkabine. Es gibt keine internationale Konvention, die die Verwendung von Uranmunition ächtet.
Dennoch warnen Experten vor gesundheitlichen Langzeitfolgen durch den schwach radioaktiven Uranstaub. Während des Irakkrieges 2003 waren hunderte Tonnen Uranmunition verschossen worden. Dort soll es einem Bericht der Organisation Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) zufolge in den Regionen, in denen massiv Uranmunition eingesetzt wurde, zu einem deutlichen Anstieg von Missbildungen, Krebserkrankungen und anderen Folgeschäden gekommen sein. Eine erhöhte Gefährdung für die Zivilbevölkerung konnte durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) jedoch bislang nicht bestätigt werden.