Gebührenfrei, aber nicht kostenlos
31. Oktober 2002"Das Studium in Deutschland ist nicht kostenlos, sondern allenfalls gebührenfrei." So beschreibt der Kasseler Wirtschaftsjurist Prof. Dr. Bernhard Nagel die Situation in Deutschland im Gespräch mit DW-WORLD. "Trotz bestehender Förderungssysteme oder elterlicher Unterstützung tragen die Studierenden ein Drittel ihrer Studienkosten selbst." Der größte Teil davon resultiert aus entgangenem Arbeitseinkommen. "Mit ihrer abgeschlossenen Schulausbildung könnten Studierende auf dem regulären Arbeitsmarkt bereits hohe Einkommen erzielen", gibt Nagel zu bedenken.
In welchem Ausmaß Studiengebühren diese "Negativbilanz" erhöhen, belegt das US-amerikanische Bildungssystem. Dort korrespondieren immer höhere Gebühren mit einer unzureichenden öffentlichen Studienförderung. Zuschüsse würden immer mehr durch Darlehen ersetzt, erläutert Nagel. Die Folge: Für eine "vernünftige Ausbildung" müssten zunehmend höhere Schulden in Kauf genommen werden. Das belaste vor allem Bürger mit niedrigem Einkommen und schrecke "bildungsferne Schichten" ab, ein Studium aufzunehmen.
Furcht vor Verschuldung
Aber auch das "Australische Modell", hierzulande vielfach als sozialverträgliches Gebührenmodell gepriesen, könne nicht wirklich Garant für soziale Bildungsgerechtigkeit sein. Das im Jahre 1989 als HECS ("Higher Education Contribution Scheme") eingeführte System von Hochschulgebühren sieht die Stundung der Studiengebühren bis zum Eintritt in das Erwerbsleben vor. Wer weniger als 20.701 Australische Dollar (rund 11.800 Euro) im Jahr verdient, bekommt einen weiteren Aufschub. Für Studierende, die ihre Gebühren direkt begleichen, gibt es einen Barzahlungsrabatt von 25 Prozent.
Das "Australische Modell" wird von Gebührenbefürwortern als "innovative Lösung" zur Beseitigung bildungspolitischer Finanznöte gefeiert. So glaubt Frank Ziegele vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), dass die australische Gebührenvariante "niemanden vom Studium abschreckt". Eine Annahme, die Nagel für "nicht erwiesen" hält. Vielmehr sei zu vermuten, dass sich Studiengebühren auch in Australien selektiv auswirkten, weil gerade Familien mit niedrigem Einkommen vor Schulden zurückschreckten. Verstärkt werden könnte die Furcht vor Verschuldung durch den stetigen Anstieg der Gebühren.
Rückgang der Studierendenzahlen
Auch Europa ist schon längst keine gebührenfreie Zone mehr. Seit 2001 werden zum Beispiel in Österreich 726 Euro pro Studienjahr berechnet. Das hatte einen drastischen Rückgang der Studierendenzahlen um rund 20 Prozent zur Folge. Zugleich sank die Zahl der Ersteinschreibungen um gut 15 Prozent. Zum Vergleich: In den drei Jahren zuvor war die Zahl der Neueinschreibungen um je acht Prozent gestiegen.
Großbritannien und Schottland bitten ihre Studierenden bereits seit 1998 zur Kasse. Zunächst mit 1000 Pfund (rund 1585 Euro), bald jedoch schon mit 1100 Pfund (rund 1744 Euro) pro Jahr. Fast zeitgleich wurde die Studienförderung vom Zuschuss-System auf Darlehen umgestellt. Drastisch sinkende Studierendenzahlen veranlassten Schottland schon 1999 dazu, die Gebühren durch eine Akademikersteuer zu ersetzen. Schottische Akademiker zahlen derzeit 2050 Pfund (rund 3249 Euro) in die Staatskasse, wenn ihr Einkommen über 15.000 Pfund (rund 23.776 Euro) liegt.
Gebühren: In Europa nicht der "Normalfall"
Die Mehrzahl der europäischen Länder erhebt übrigens nach wie vor keine Studiengebühren. Darauf weist Stefanie Schwarz vom "Wissenschaftlichen Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung" auf Nachfrage von DW-WORLD hin.
Damit räumt sie das, von Gebührenbefürwortern immer wieder vorgebrachte, Argument aus, Studiengebühren seien in Europa längst üblich: "Völlig gebührenfrei ist das Studium zum Beispiel in Dänemark, Schweden, Finnland und Griechenland. In Frankreich, Irland, Portugal, Belgien und Spanien werden zwar Gebühren erhoben, sie betragen jedoch weniger als 50 Euro."