Geduldet: wenig Rechte, viele Pflichten
14. August 20068 Uhr morgens im Amt für Ausländerangelegenheiten in Essen. Es ist noch ruhig auf den Fluren. Fayssal Saado (19) und sein Bruder Sami (17) sind müde. Sie sind hier, um ihre Duldung zu verlängern. Die Sachbearbeiterin tippt routiniert, druckt neue Duldungsaufkleber aus, stempelt ab. Alle drei Monate muss Fayssal seine Duldung verlängern. Normalerweise wartet er dann vor der Tür. Heute darf er mit ins Büro von Karl Rothvoß, dem stellvertretenden Leiter der Behörde. Rothvoß findet, dass die Saados bislang nicht genug unternommen haben, um ihre Identität zu beweisen.
"Die Mutter müsste uns klar die Familienstrukturen darlegen, und auch sagen, was sie unternommen hat, welche Möglichkeiten vielleicht noch bestehen, oder wo es vielleicht auch Misserfolge gegeben hat", sagt er, "und wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass hier in zumutbarer Weise nichts unternommen werden kann, dann würden wir auch den Aufenthaltstitel erteilen."
Unter Generalverdacht
Bei Familie Saado ist aber vieles noch unklar. In ihrer Akte steht, sie seien mit gefälschten Reisepässen nach Deutschland gekommen, die Familie bestreitet das. Fayssals Vater hatte außerdem einen so genannten Staatenlosenpass, der im Libanon ausgestellt worden war. Das bedeutet, dass Fayssals Vater irgendwann einmal in den Libanon eingewandert ist. Wann und woher weiß Fayssal nicht. Der Vater ist vor 15 Jahren gestorben, die Mutter beteuert, im Libanon geboren und aufgewachsen zu sein. Karl Rothvoß würde dafür gerne Beweise sehen.
Die Saados gehören in Essen zu fast 1500 Flüchtlinge aus dem Libanon, deren Status heute ungeklärt ist. Sie sind Anfang der 1980er Jahre wegen eines Bürgerkriegs im Libanon nach Deutschland gekommen. Die meisten nur mit Reisedokumenten. Die deutschen Behörden waren damals großzügig und vergaben dennoch Aufenthaltsgenehmigungen. Einige Jahre später wurden bei einigen Flüchtlingen, die sich als Libanesen bezeichnet hatten, türkische oder syrische Pässe gefunden. Sie wurden abgeschoben und der Rest der Flüchtlinge stand unter Generalverdacht. Ihr Aufenthaltsstatus wurde in eine Duldung umgewandelt. Vor zwei Jahren auch bei Familie Saado.
Kaum Perspektiven
Für Fayssal und seine sechs Geschwister bedeutet das viele Pflichten und nur wenige Rechte. Sie dürfen keinen Führerschein machen, Nordrhein-Westfalen nicht verlassen und haben es sehr schwer, einen Ausbildungsplatz oder überhaupt einen Job zu bekommen. Auch wenn sie wie Fayssal gerne arbeiten würden. Er hat ein Praktikum in einem Supermarkt gemacht. Einzelhandelskaufmann würde er gerne lernen. "Ich hätte mich da auch bewerben können", sagt er, aber ich habe das nicht gemacht wegen meines Duldungsstatus. Ich wusste sowieso, ich habe keine Chance. Der Chef hat mir auch gesagt, mit dem Duldungsstatus hast Du keine Chance."
Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite, welche Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung Fayssal noch hat:
Vor einem Jahr hat Fayssal die Hauptschule abgeschlossen. Seitdem hat er viel freie Zeit. Fast täglich ist er im Jugendzentrum der Arbeiterwohlfahrt in Essen-Schonnebeck. Stefan Hoeps leitet das Zentrum. Er kennt viele Kinder und Jugendliche, die die gleichen Probleme haben wie Fayssal - Perspektivlosigkeit: "Die haben enormen Frust. Die sagen, was soll ich mich in der Schule anstrengen, es bringt doch nichts, ich sehe das an meinem großen Bruder, der bekommt auch keinen Job. Und die Grundmotivation fehlt dann."
Dennoch nutzt Fayssal seine wenigen Chancen. Er will sich für ein Arbeits- und Beschäftigungsprojekt der Jugendberufshilfe anmelden. Solche Projekte sind gut - aber sie packen das Problem nicht an der Wurzel. Langfristig fehlt geduldeten Jugendlichen dennoch die Perspektive.
Und das nur, weil seine Mutter keine Dokumente vorlegen kann, die ihre libanesische Herkunft bestätigen, sagt Stefan Hoeps vom Jugendzentrum und nimmt die Ausländerbehörde gleichzeitig in Schutz. Die könne aufgrund der Rechtslage auch nicht anders handeln. "Irgendwann sind auch dem wohlwollensten Mitarbeiter da die Hände gebunden. Und das ist genau der Punkt. Es ist einfach ein Teufelskreis: es gibt keine Papiere, es gibt keine Chancen", sagt Hoeps.
Sprachtest statt Stammbaum
Fayssal wohnt mit Mutter, Schwester und zwei Brüdern in einer 3,5 Zimmer-Wohnung in einer alten Bergarbeitersiedlung. Sie leben von 700 Euro Sozialhilfe im Monat. Der Fernseher läuft, Al Dschasira, Nachrichten aus Nahost. Fayssals Mutter Terkia spricht kaum Deutsch, seine Schwester Zeinab übersetzt: "Wir können nichts vorlegen, weil wir keine Papiere im Libanon haben. Wir sind Flüchtlinge und wir haben nichts mitgebracht. Wir haben ja versucht, Papiere zu bekommen, aber da ist halt nichts zu machen. Mein Onkel war im Libanon und hat es versucht, aber es ging nicht. Und wir können ja keine gefälschten Papiere vorlegen oder so."
In ganz Deutschland leben rund 5500 Menschen libanesischer Herkunft, deren Status ungeklärt ist. Die meisten in Berlin, Hamburg und Essen. Bernd Brack von Pro Asyl Essen ärgert sich über die rechtlichen Regelungen in Deutschland. Es sei tragisch, dass die Behörden so weit zurückgingen in der Familiengeschichte, um festzustellen, wo die Personen hergekommen. Kaum ein Deutscher wisse, wo vier Generationen zuvor seine Vorfahren gelebt hätten.
Brack schlägt einen Sprachtest vor, um zu klären, ob die Flüchtlinge wirklich aus dem Land kommen, das sie angeben. Und zumindest die Kinder der Flüchtlinge, die in Deutschland aufgewachsen und geboren seien, sollten ein Bleiberecht bekommen. er setzt seine Hoffnungen auf die anstehende Innenministerkonferenz im November. Und Fayssal könnte den Ministern auch genau sagen, warum er ein Bleiberecht bekommen soll: "Weil ich mich hier angepasst habe, integriert habe, weil ich hier nicht straffällig geworden bin und weil ich ein normaler Mensch bin wie die anderen auch. Warum soll ich kein Aufenthaltsrecht haben?"