Gefährliche Rückkehrer
8. August 2014Die Melodie, die der junge Mann singt, ist eingängig. Der Text voller großer Worte. Und Drohungen: "Drum kommt in unsere Reihen. Des islamischen Staates. Ein Leben im Gehorsam. Voller Ehre und Zufriedenheit und ein Schrecken für Kufar."(Menschen, die nicht dem Islam angehören - Anm. d. Red.). Die Aussage dieses Videos der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) ist klar: Wer nicht bereit ist, sich zum Islam zu bekennen und sich den Regeln ihrer Auslegung zu unterwerfen, wird bestraft. Überbringer dieser "frohen Botschaft", wie es darin heißt, ist Silvio K. Der 27-Jährige ist das deutsche Gesicht des IS. Geboren in Sachsen, gehörte er erst in Essen und dann in Solingen zum verbotenen Salafisten-Verein "Millatu Ibrahim". Momentan soll er sich in Syrien aufhalten, von wo aus er westliche Muslime zum bewaffneten Kampf für ein Großkalifat unter der Herrschaft des IS aufruft. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Ob er seine eigenen Verse wirklich verinnerlicht hat, darf man infrage stellen - der gesenkte Blick beim Singen verrät, dass der Extremist vom Blatt abliest.
Silvio K. ist bei Ermittlern bekannt. "Er ist ein Star der dschihadistischen Szene und findet Gehör bei 5000 bis 10.000 Salafisten in Deutschland", sagt der Terrorexperte Guido Steinberg. Der Islamist gilt als gefährlich und unberechenbar. In der Vergangenheit hatte K. mit einem Attentat auf Bundeskanzlerin Angela Merkel gedroht. Nun hat er deutsche und amerikanische Sicherheitsbehörden erneut mit einer Terrordrohung in Alarmbereitschaft versetzt. Im dem Schreiben, das über das Internet verbreitet wird, ruft Silvio K. offen zu Anschlägen in Deutschland auf. Der Funke Mediengruppe liegt dieses Schreiben vor. Als "Krieger Allahs" fordert K. darin zum Kampf gegen Ungläubige in Deutschland auf. "Verpasst ihnen einen Schlag, den sie niemals vergessen werden", heißt es konkret.
Bundesinnenministerium bestätigt Terrordrohung
Angesichts der Vielzahl von K.s Anhängern nehmen Sicherheitsbehörden diese Drohung sehr ernst. Auch wegen der sehr konkreten Angaben zu den Anschlagszielen. So soll das US-Atombombenlager auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz im Visier der Islamisten sein. Laut der Funke Mediengruppe wurde der Sicherheitsgürtel rund um die Anlage deswegen verstärkt. In den Bunkern sollen bis zu 20 taktische Atombomben gelagert sein. Auch der amerikanische Luftwaffenstützpunkt Ramstein wird nach Angaben des LKA Rheinland-Pfalz strenger bewacht. Zudem stehen öffentliche, private und kirchliche Einrichtungen, Ämter und Behörden, sowie Transportwege und Verkehrsmittel auf der Anschlagsliste des Extremisten.
Hetze in HD-Qualität zieht potenzielle Rekruten an
Etwa 320 Ausreisen von deutschen Dschihadisten nach Syrien zählte der deutsche Verfassungsschutz seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 inzwischen. Eine Zahl, die vor allem seit 2013 angestiegen ist. Silvio K., der Islamist aus Sachsen, war einer von ihnen. Ahmet Senyurt, Islamismus-Experte, erklärt den Zulauf der jungen Männer mit ihrem Wunsch "Teil einer revolutionären Avantgarde" sein zu wollen. "Das islamische Kalifat des IS ist ein gesellschaftlicher Gegenentwurf zu unserer westlichen orientierten Gesellschaftsordnung." Und dieses gelte es zu verteidigen. "Die Ideologie der Anhänger des "Islamischen Staates" (IS) mag in unseren Augen mittelalterlich sein, aber sie bedienen sich hochmoderner Kommunikations- und Medienstrategien", so Senyurt im DW-Interview. Damit erreichen sie vor allem die, die in der deutschen Gesellschaft nie richtig angekommen sind.
Syrien-Rückkehrer sind europäisches Problem
Sicherheitsexperten warnen vor der Gefahr, die von den Dschihadisten ausgeht, wenn sie eines Tages nach Deutschland zurückkehren. Radikaler als vorher und mit einer militärischen Ausbildung. Der Islamismus-Experte Ahmet Senyurt sieht noch keinen Grund zur Panik. "Aber es sprechen alle Fakten dafür wachsam und vorbereitet zu sein." Möglich seien Selbstmordanschläge oder Angriffe, wie im Mai in Brüssel geschehen: Vier Menschen wurden dort durch die Schüsse eines vermutlichen jungen Islamisten getötet. Es gilt als sicher, dass der Mann sich zuvor am "Heiligen Krieg" in Syrien beteiligt hatte.
Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sieht in dem Brüsseler Anschlag ein konkretes Zeichen dafür, dass die Rückkehr von Syrienkämpfern zu einem europäischen Problem geworden sei. Diese Dimension stelle eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar, so Maaßen. Dabei sollten die Behörden ihre Ermittlungen nicht mehr nur auf Männer konzentrieren. Anfang August wurde bekannt, dass der bayerische Verfassungsschutz eine Frau festgenommen hat. Sie war aus Syrien zurückgekehrt, wo sie sich dem Kampf der Islamisten gegen das Assad-Regime angeschlossen hatte. Mitgenommen ins Kampfgebiet hatte sie ihre zwei Kinder.