Bosnien Islamisten
4. November 2011Unter den Kennern des Islam gelten bosnische Muslime als liberal, tolerant und weltgewandt. Sie sind mehrheitlich Sunniten und gehören der hanafitischen Rechtsschule an, die als besonders offen und dialogbereit angesehen wird. In Bosnien gibt es eine jahrhundertealte Tradition des multikonfessionellen Lebens. Die muslimische Bevölkerungsgruppe hat unter der osmanischen Herrschaft mit katholischen und orthodoxen Christen sowie mit sephardischen Juden in guter Nachbarschaft gelebt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts prägte die tolerante Verwaltung durch die katholische Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie den Islam in Bosnien. Mustafa Klanco, langjähriger Haupt-Imam der Bosniaken in Deutschland, erläutert: ”Bosniakische Muslime haben ein Modell gefunden, wie sie ihren Glauben, ihre Kultur und ihre Traditionen beibehalten können. Sie haben herausgefunden, wie sie ihren Glauben auch in einem säkularen Staat leben können.” So war der Wahhabismus, die konservativ-dogmatische Ausrichtung des Sunnitentums, der etwa in Saudi-Arabien vorherrscht, in Bosnien nie verwurzelt.
Mit dem Krieg in Bosnien-Herzegowina Anfang der neunziger Jahre kam es zu einer neuen Entwicklung. Unter dem Eindruck von Verfolgung und Belagerung setzte bei einigen Bosniaken ein Prozess der Radikalisierung an. Gleichzeitig begann der Zuzug fundamentalistischer Muslime aus dem Ausland. Damals kamen etwa 2.000 Kämpfer aus verschiedenen arabischen Ländern nach Bosnien, unter ihnen auch solche mit Verbindungen zu Osama bin Laden. Nach dem Friedensabkommen von Dayton vom Winter 1995 und dem Ende des Krieges beschlossen einige dieser Islamisten, in Bosnien zu bleiben und bekamen bosnische Pässe. Sie rekrutierten junge Menschen für den religiösen Nachwuchs, sie bauten mit Hilfe saudischer Stiftungen neue Moscheen und widmeten sich der Verbreitung der wahhabitischen Richtung des Islam zu verbreiten. Als Hochburgen der Fundamentalisten gelten heute einige Dörfer in Ostbosnien und die pompöse, mit dem Geld aus Saudi-Arabien gebaute König-Fahd-Moschee in Sarajevo.
Die Wahhabiten – eine politische Bewegung
Der Wahhabismus oder Salafismus, laut Resid Hafizovic von der Islamwissenschaftlichen Fakultät in Sarajevo im Wesentlichen dasselbe, zeichnet sich durch eine sehr rigide und konservative Auslegung des Korans aus und setzt sich für die konsequente Anwendung der Scharia, des traditionellen islamischen Rechts ein. Allerdings, so Hafizovic, "diejenigen, die sich heute in Bosnien und Herzegowina Wahhabiten oder Salafisten nennen, sind sehr militant und befürworten Werte, die mit dem Islam nichts zu tun haben." Der Islamwissenschaftler aus Sarajevo ist besorgt über ihren Einfluss, denn "sie sind heute nicht so sehr eine religiöse als vielmehr eine politische Bewegung."
Darüber, wie viele Wahhabiten sich unter den rund 2,5 Millionen Muslimen in Bosnien-Herzegowina befinden, gibt es keine offiziellen Angaben, Innenminister Ahmetovic meinte unlängst, es seien "nicht mehr als 5.000." Offizielle Organisationen wie Vereine, Verbände oder Parteien haben sie nicht, und eher selten treten Wahhabiten bei öffentlichen Veranstaltungen auf. Mit der Öffentlichkeit kommunizieren sie am liebsten über ihre Web-Portale. Innerhalb ihrer in sich geschlossenen Gemeinden sind die Wahhabiten sehr aktiv, es werden zahlreiche Vorträge über den "wahren Glauben", über die "wahre Lehre des Korans" und über den "richtigen islamischen Weg" gehalten.
Internationale Vernetzung
Dabei werden auch neue Anhänger angeworben, allerdings wohl nicht nur durch spirituelle Üerzeugungskraft: In der bosnischen Presse ist schon mehrmals über finanzielle Anreize für Konvertiten zum Wahhabismus geschrieben worden. So behauptet beispielsweise das Internet-Portal "Vesti", dass einige neue Wahhabiten 400 US-Dollar monatlich dafür bekommen hätten, zu dieser radikalen Richtung des Islam überzutreten und seine strenge Kleiderordnung zu beachten. Das Geld, so eine verbreitete Überzeugung in Bosnien, komme aus Saudi-Arabien.
Bekannt sind auch die Kontakte der bosnischen Wahhabiten in die nähere Nachbarschaft, beispielsweise in die Region Sandzak in Serbien. Hier leben viele Angehörigen der bosniakischen Minderheit, radikale Islamisten sind dort sehr aktiv. Auch der Angreifer von Sarajevo kam aus dieser Gegend. Enge Kontakte sollen zu Islamisten in Österreich und Deutschland bestehen. Die Wiener Moschee "Sahab" gilt als Zentrale der aus Bosnien stammenden Extremisten, deutschen Salafisten aus dem Verein "Einladung zum Paradies" werden Verbindungen zu den bosnischen Wahhabiten nachgesagt.
Liberale Muslime als "Ungläubige"
Auch wenn die manchmal beschworene Bedrohung durch "Gotteskrieger auf dem Balkan" als übertrieben erscheinen mag, so ist die Gefahr eines militanten Islamismus in Bosnien-Herzegowina nicht von der Hand zu weisen. Der Fall des 23-jährigen Mevlit Jasarevic, der Ende Oktober dieses Jahres mit einer Kalaschnikow auf die US-Botschaft in Sarajevo schoss und dabei einen Polizisten schwer verletzte, ist kein Einzelfall. Im Juni vergangenen Jahres detonierte vor der Polizeistation in der Kleinstadt Bugojno in Zentralbosnien eine Bombe, ein Polizist starb, sechs weitere wurden schwer verletzt. Als Täter wurde Haris Causevic verhaftet, ein Wahhabit aus der Umgebung. Und in einem internen NATO-Bericht von 2009 über die Gefahr durch Islamisten in Europa wird unter anderem die von Saudi-Arabien und dem Iran finanzierte und in Bosnien tätige Gruppe "Active Islamic Youth" (AIO) erwähnt. "Mudschaheddin mit bosnischer Staatsbürgerschaft trainieren AIO-Angehörige im Töten (Kehle durchschneiden), in terroristischen Techniken und bei der Nutzung von Sprengstoffen", heißt es in der Studie. Abgesehen vom militanten Potential der bosnischen Wahhabiten muss Sorge bereiten, dass diese nicht nur die Anhänger anderer Religionen oder Atheisten als ihre Feinde betrachten. Auch die liberalen Muslime in Bosnien gelten ihnen als "Ungläubige", und dabei insbesondere die bosnischen Imame - die nämlich predigen Toleranz im Umgang mit Christen.
Autor: Zoran Arbutina
Redaktion: Hans Spross