Spiel mit dem islamistischen Feuer
17. Mai 2017Am Abend des 9. Mai versammelten sich in Yogyakarta - wie in vielen anderen Städten Indonesiens - tausend Bürger aller Religionen. Am Tugu-Denkmal, einem beliebten Wahrzeichen der Stadt, zündeten sie Kerzen an und sangen feierlich die Nationalhymne. "Wir trauern angesichts der heutigen Lage in Indonesien, die voller religiöser Vorurteile und Rassismus ist", sagt Pedro Indarto, Koordinator der Kundgebung.
Die friedlichen Demonstrationen im ganzen Land sind eine Reaktion auf das Blasphemie-Urteil gegen den amtierenden Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok. Wegen angeblicher Verunglimpfung des Korans wurde der chinesisch-stämmige Christ zu zwei Jahren Haft verurteilt. Drei Wochen zuvor war das einst sehr beliebte Stadtoberhaupt von den Bürgern Jakartas spektakulär abgewählt worden. Der Hauptgrund für seine Niederlage sowie für seine Verurteilung waren Massendemonstrationen von radikal-muslimischen Organisationen, die sich nicht von einem Nicht-Muslim regieren lassen wollten.
Höheres Ziel: Präsident Joko Widodo entmachten
Dass die Massendemonstrationen gegen Ahok eigentlich das Ziel hatten, Präsident Joko Widodo, genannt Jokowi, zu entmachten, glauben mittlerweile viele Politiker und die Polizei.
Anfang April wurden im Vorfeld einer Demonstration gegen Ahok vier führende Mitglieder von radikal-islamischen Organisationen wegen Verdacht des versuchten Landesverrats festgenommen. Polizeisprecher Argo Yuwono erklärte: "Es gab detaillierte Pläne, das Parlament zu besetzen, inklusive Logistik und Routenpläne. Die Verdächtigen hatten sogar geplant, mit Lastwagen den Hintereingang des Gebäudes zu rammen, um in den Komplex einzudringen." Das belege nach Ansicht der Polizei, dass sich die Proteste insgesamt gegen die Regierung richten.
Daraufhin äußerte sich der Oberbefehlshaber der indonesischen Streitkräfte, General Gatot Nurmantyo, in einer beliebten Fernseh-Talkshow im Widerspruch zur Polizei: Die radikal-islamischen Gruppen zielten mit den Protesten gegen Ahok keineswegs auf Jokowi und dessen Regierung.
Regierung wehrt sich gegen "Landesverrat"
Die Regierung will das so nicht stehen lassen. Sie reagierte in Person des koordinierenden Ministers für Politik, Recht und Sicherheit, Ex-General Wiranto. Der ehemalige Oberbefehlshaber der Streitkräfte zitierte seinen Nachfolger General Gatot Nurmantyo sowie Polizeichef Tito Karnavian öffentlichkeitswirksam zu sich, um die offenbar entgegengesetzten Ansichten zu den Hintergründen der Verhaftungen zu klären. Das Treffen steht noch aus.
Nur einen Tag nachdem Wiranto die Kontrahenten eingeladen hatte, erklärte er, dass die Regierung rechtliche Schritte einleiten würde, um die radikal-islamische Organisation Hizbut Tahrir in Indonesien zu verbieten. Deren Ziele würden gegen die indonesische Verfassung und die Staatsphilosophie Pancasila verstoßen. Hizbut Tahrir ist eine internationale Organisation, die ein weltweites islamisches Kalifat errichten will und in vielen anderen Ländern, darunter Deutschland, bereits verboten ist. Doch sowohl Kritiker als auch Unterstützer der Regierung sind mit dieser Entscheidung nicht glücklich, denn dabei handele es sich vor allem um Symbolpolitik.
Schlüssiger und wichtiger wäre aus Sicht der Kritiker ein Verbot der Front Pembela Islam (FPI). Sie gilt als Hauptmotor hinter den Massendemonstrationen gegen den Gouverneur von Jakarta. Ihre Anhänger haben sich durch kriminelle Machenschaften sowie Kontakte zum "Islamischen Staat" und Al Quaida schon längst als verfassungsfeindlich disqualifiziert. Doch die Regierung macht bisher keine Anstalten, gegen die Organisation vorzugehen, da hinter der FPI einflussreiche Teile des Militärs stehen.
"Putsch-Bewegung" stützt sich auf Islamisten
Diesbezüglich sorgte ein investigativer Bericht des australischen Journalisten Allan Nairn im Online-Magazin "The Intercerpt" für Aufsehen. Der langjährige Indonesien-Kenner legt in seinem sorgsam recherchierten Text durchaus glaubhaft die Pläne eines von langer Hand geplanten Staatsstreichs dar. Dabei gehe es nicht um eine gewaltsame Machtübernahme durch das Militär, sondern vielmehr um einen "legalen Coup d'Etat". Militär und Konservative bedienten sich der Islamisten, um die liberalen und weltoffenen Kräfte Stück für Stück zurückzudrängen.
Die Strategie ist an sich nichts Neues in der indonesischen Politik, allerdings nutzen die Konservativen immer häufiger und skrupelloser radikale Islamisten für ihre Zwecke. So auch deren aussichtsreichster Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2019, Prabowo Subianto. Der Ex-General, der für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein soll, hatte bei der Präsidentschaftswahl 2014 nur knapp gegen den volksnahen Jokowi verloren. Schon im letzten Wahlkampf stützte sich Prabowo auf radikal-islamische Gruppierungen, um die Massen für sich zu organisieren. Diese wiegeln, oft gegen Bezahlung, einen Teil der Bevölkerung auf und schüchtern die anderen ein. Meist arbeiten sie Hand in Hand mit den lokalen Sicherheitskräften. Findet etwa einen unliebsame Veranstaltung zu Rechten von Frauen, Homosexuellen oder Opfern der Suharto-Diktatur statt, erscheinen erst die Islamisten und drohen im Namen Gottes Gewalt an. Wenige Minuten später tauchen Polizisten auf, um die eingeschüchterten Veranstalter wegen "Störung des öffentlichen Friedens" nach Hause zu schicken.
So drängen die Konservativen gemäßigte Ansichten und die Zivilgesellschaft systematisch an den Rand. "Ein Regierungsumsturz würde dann so aussehen wie vom Volk gewollt. Aber in Wirklichkeit werden alle bezahlt", sagt der pensionierte Admiral Soleman Ponto im Interview mit Nairn.
Angst vor Aufarbeitung der Massenmorde von 1965
Zu den Hintermännern der sogenannten "Putsch-Bewegung", gehören Nairns Recherchen nach nicht nur eine Gruppe hochrangiger Offiziere und Veteranen, sondern auch der Unternehmer und Medienmogul Hary Tanoe, der ganz nebenbei der wichtigste Geschäftspartner Donald Trumps in Indonesien ist. Mit seinen Medienunternehmen beeinflusst Tanoe die öffentliche Meinung, mit seinen Milliarden unterstützt er die Aktivitäten der FPI, so Nairn. Sein Reichtum basiert zu einem guten Teil auf seinen Kontakten ins Militär und konservative Lager.
Die Militärs sind auf Seiten der Islamisten, da sie mit allen Mitteln verhindern wollen, für vergangene Menschenrechtsverbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden; insbesondere nicht für die Massenmorde an den Kommunisten von 1965, die bis heute nicht aufgearbeitet worden sind. Die Aufklärung der Morde sowie Gerechtigkeit für die überlebenden Opfer und deren Angehörigen, hatte Präsident Joko Widodo in seiner Wahlkampagne versprochen. Während Menschenrechtler im In- und Ausland enttäuscht sind, dass den Worten bislang kaum Taten folgten, empörten sich Militär und Islamisten bereits über ein von der Regierung organisiertes Symposium im vergangenen Jahr, bei dem die Opfer von 1965 zum ersten Mal öffentlich ihre Version der Geschehnisse erzählen durften. Das Thema ist brisant, da die Massenmorde von 1965 zwar öffentlich nicht thematisiert werden können, aber in der Gesellschaft schwelen. Die Angehörigen der Opfer hoffen bis heute auf eine Entschuldigung und Aufarbeitung.
Die Gouverneurswahlen in Jakarta und der tiefe Sturz Ahoks zeigen, dass die riskante Strategie der Konservativen aufgehen könnte. Politische Beobachter halten das Kandidatenpaar Prabowo Subianto und Hary Tanoe, die sich der Islamisten ohne jede Scheu bedienen, für die wahrscheinlichen Sieger in der Präsidentschaftswahl 2019. Dabei ist offensichtlich, dass es ihnen nur um Macht und keineswegs um Religion geht, denn Hary Tanoe ist chinesisch-stämmiger Christ - wie Ahok.