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Politik

Gewaltvorwürfe nach Demo in Lützerath

15. Januar 2023

Nach der großen Kundgebung am Samstag beschuldigen sich Polizei und Klimaaktivisten gegenseitig, gewalttätig gewesen zu sein. Die Räumung von Lützerath ist inzwischen vollzogen.

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Räumung von Lützerath - Demonstration
Um Demonstranten abzuwehren, setzte die Polizei Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray einBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Die Polizei hat die Räumung des Protestdorfes Lützerath am rheinischen Braunkohletagebau abgeschlossen. Auch die beiden Aktivisten, die sich tagelang in einem Tunnel verschanzt hatten, haben aufgegeben. Die Aktivisten hatten in einem selbst gegrabenen Tunnel unter der Siedlung ausgeharrt, um gegen die Räumung zu protestieren. "Es befinden sich keine weiteren Aktivisten in der Ortslage Lützerath", teilte die Polizei mit.

Die meisten Gebäude waren am Sonntag schon abgerissen. Nach dem vollständigen Abriss will der Energiekonzern RWE die darunter liegende Braunkohle abbaggern.

Nach Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten am Rande einer großen Anti-Kohle-Kundgebung am Samstag flogen am Sonntag die Gewalt-Vorwürfe hin und her.

Am Rande der Demo hatten laut Polizei rund 1000 großenteils vermummte "Störer" versucht, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath vorzudringen. Um sie abzuwehren, setzte die Polizei Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen.

Räumung von Lützerath - Demonstration
Zusammenstöße zwischen Polizei und DemonstrantenBild: INA FASSBENDER/AFP

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, sprach von massiven Angriffen eines Teils der Demonstranten auf die Polizei. "Den von der Bühne verbreiteten Aufruf 'Jeder kann machen, was er will. Jeder entscheidet selber, wie weit er geht' hätte es nicht geben dürfen", kritisierte Mertens. "Er ist offenbar von militanten Braunkohlegegnern als Freibrief verstanden worden, mit Gewalt gegen die Polizisten vorzugehen."

Wie DW-Reporter Miodrag Soric berichtete, hat sich die übergroße Mehrheit der Demonstranten in Keyenberg wie auch zuvor in Lützerath allerdings friedlich verhalten und keinerlei Probleme mit der Polizei gehabt. Beim Marsch durch Keyenberg sei kaum ein Polizist zu sehen gewesen. Als ein Sprecher der Veranstalter der Demonstration die Demonstranten aufrief, das zu tun, was aus ihrer Sicht richtig sei, ging ein Großteil der Demonstranten zur Abbruchkante des Tagebaus, was gefährlich ist, beobachtete Soric. Die Erde dort war wegen des Regens in den vergangenen Tagen völlig durchnässt. Demonstranten, darunter auch Kinder und Jugendliche, hätten in die Tiefe gerissen werden können. Weder Polizisten noch Sicherheitsleute von RWE haben die Abbruchkante gesichert. Die Gewalt eskalierte, als Aktivisten von Keyenberg aus auf das Gelände von Lützrath vorstoßen wollten und Beamte sich ihnen in den Weg stellten.  

Umgekehrt warfen die Veranstalter der Demo und Sprecher der Lützerather Aktivisten der Polizei Gewalt-Exzesse vor. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten sagte, es sei eine "hohe zweistellige bis dreistellige Zahl" von Teilnehmern verletzt worden. Darunter seien viele schwerverletzte und einige lebensgefährlich verletzte Menschen gewesen. Die Polizei habe "systematisch auf den Kopf von Aktivistinnen und Aktivisten geschlagen".

Deutschland Tagebau Garzweiler | Protest gegen Räumung von Lützerath | PK Bündnis Lützerath Lebt/Besetzer*innen
Pressekonferenz der Klimaaktivisten unter freiem HimmelBild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Nach Polizei-Angaben wurden dagegen lediglich neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. "Glücklicherweise ist niemand lebensgefährlich verletzt worden", sagte ein Polizeisprecher.

Auf Nachfrage der DW erklärten Sprecher der umliegenden Krankenhäuser in Bergheim oder Heinsberg, dass am vergangenen Samstag keine Demonstranten eingeliefert worden seien. Isa Hofmann vom Demo-Sanitätsdienst erklärt dies so: Sie und andere Sanitäter hätten verletzten Demonstranten geraten, bei der Einlieferung nicht zu sagen, dass sie von der Demo in Lützerath kämen. Der Grund: So soll es der Polizei möglichst schwer gemacht werden, die Namen der Aktivisten herauszubekommen, um diese später anzuklagen. Das Krankenhaus in Erkelenz berichtete von 12 eingelieferten Demonstranten. Drei von ihnen seien über Nacht geblieben und wurden am Sonntag entlassen. Niemand sei lebensgefährlich verletzt gewesen. 

Der Innenminister von NRW, Herbert Reul (CDU), verteidigte im deutschen Fernsehen den Einsatz der Polizei als "hochprofessionell". Gleichzeitig gab er zu, dass in den sozialen Medien Videos veröffentlicht worden seien, in denen die Polizei "nicht gut aussehe". Die Aktivisten forderte er auf, genau zu sagen, wer wann und wo von Polizisten verletzt worden sei. Dann werde dem nachgegangen - auch strafrechtlich so Reul.

Thunberg und Neubauer waren Teil der Demo

Ein Video zeigt, wie auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer und andere auf einem Feld von Polizisten abgedrängt werden. Thunberg kehrte am Sonntag noch einmal an die Tagebaukante zurück und nahm an einer Spontan-Demo teil. Die 20-Jährige war die Hauptrednerin bei der Demo am Samstag, zu der nach Polizei-Schätzungen 15.000, nach Angaben der Veranstalter 35.000 Menschen gekommen waren.

Räumung von Lützerath I Greta Thunberg
Kultfigur des Klimaprotests: Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg war Hauptrednerin der Kundgebung am SamstagBild: Michael Probst/AP/picture alliance

Führende grüne Politiker wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seine NRW-Kollegin Mona Neubaur begründen den Abriss von Lützerath und das Abbaggern der darunter liegenden Kohle damit, dass dadurch im Gegenzug der um acht Jahre auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg erreicht worden sei und fünf Nachbardörfer verschont würden. Zudem werde die Kohle zur Aufrechterhaltung der Energiesicherheit in der derzeitigen Krise gebraucht.

Knapp 300 Personen seien weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung am Mittwoch seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Mehr als 70 Polizistinnen und Polizisten seien seit Beginn des Räumungseinsatzes verletzt worden. 

uh/haz (dpa, afp, dw)