Gegenwind für Olympia in Tokio nimmt zu
18. Mai 2021Würde man die Bevölkerung Japans jetzt - rund zwei Monate vor Beginn der Olympischen Spiele - abstimmen lassen, gäbe es wohl ein krachendes Nein für das sportliche Mega-Event. In einer landesweiten Umfrage der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo sprachen sich rund 60 Prozent dafür aus, die Spiele komplett abzusagen. Im April hatte der Wert noch bei 40 Prozent gelegen. Fast 90 Prozent der jetzt Befragten zeigten sich besorgt, dass Athleten und Betreuer aus aller Welt das Coronavirus mitbringen könnten.
Innerhalb von einer Woche unterschrieben mehr als 370.000 Menschen eine von dem Juristen und Politiker Kenji Utsunomiya initiierte Petition an das Internationale Olympische Komitee (IOC). Darin wird eine Absage der Spiele gefordert, "um unser Leben und unser Wohlergehen zu schützen". Auch ein Ärzteverband, der 6000 Mediziner aus Tokio vertritt, forderte Ministerpräsident Yoshihide Suga auf, sich beim IOC für eine Olympia-Absage einzusetzen. Die Krankenhäuser hätten mit der Corona-Pandemie "alle Hände voll zu tun und fast keine freien Kapazitäten".
Seit einigen Wochen befindet sich Japan in einer neuen Corona-Welle, der vierten seit Ausbruch der Pandemie vor gut einem Jahr. In der Olympiastadt Tokio und einigen weiteren gilt zunächst bis Ende Mai der Corona-Notstand. Restaurants und Bars sollen um 20 Uhr Ortszeit schließen, die Bevölkerung ist aufgerufen, zu Hause zu bleiben.
In der Zwickmühle
Regierungschef Suga steht unter Druck. In der Kyodo-Umfrage zeigten sich über 70 Prozent der Japanerinnen und Japaner unzufrieden mit seiner Corona-Politik. Die Impfkampagne habe viel zu spät begonnen und verlaufe quälend schleppend, sagen Sugas Kritiker.
Und dann noch die Olympischen Spiele als zusätzlicher Risikofaktor? Suga steckt in einer Zwickmühle: Sagt der Chef der Liberaldemokraten die Spiele ab, droht ein finanzielles Fiasko - oder aber womöglich ein gesundheitliches, hält er an ihnen fest. Und spätestens im Oktober sind Wahlen. Suga hat erklärt, dass er sie auf keinen Fall vor den Spielen in Tokio ansetzen will. Er fürchtet eine Niederlage. Sollten die Olympischen Spiele doch noch halbwegs unfallfrei über die Bühne gehen, könnte sich das Blatt für ihn vielleicht wenden.
Wie dicht ist die Blase?
Nach dem Willen des Organisationskomitees (OK) in Tokio werden die Spiele vom 23. Juli bis 8. August in einer "Olympia-Blase" ausgetragen: Die rund 11.000 Athletinnen und Athleten sollen sich täglich auf das Coronavirus testen lassen, Abstand halten und sich möglichst wenig außerhalb der Wettkampfstätten bewegen. Ausländische Zuschauer sind weitgehend ausgeschlossen. Ob überhaupt jemand auf die Ränge gelassen wird, will das OK im Juni entscheiden.
Die japanischen Olympiastarter sollen ab Anfang kommenden Monats geimpft werden. In Deutschland läuft die Impfkampagne für alle, die zu den Spielen nach Tokio fahren sollen, bereits seit Anfang Mai. Das IOC geht davon aus, dass die große Mehrheit der Sportlerinnen und Sportler aus aller Welt geimpft nach Tokio reisen wird. Fast gebetsmühlenartig verkündet die olympische Organisation, dass die Sicherheit der Spiele gewährleistet werde. Und wie sieht es mit der mauen Olympia-Stimmung in Japan aus?
"Die olympische Gemeinschaft auf der ganzen Welt steht an der Seite Japans und denkt an die japanische Menschen, die von der Pandemie betroffen sind", teilt das IOC auf Anfrage der DW mit. "Nur aufgrund der Fähigkeit des japanischen Volkes, Widrigkeiten zu überwinden, sind diese Olympischen Spiele unter diesen sehr schwierigen Umständen überhaupt möglich. Der Geist der Beharrlichkeit ist auch der olympische Geist." Ob das die vielen Olympia-Skeptiker in Japan überzeugt?