Arbeitslos in Spanien
1. Januar 2017Der einzige Zug, der täglich die 600 Kilometer zwischen Madrid und Huelva überbrückt, ist überteuert. Und der Bahnhof ist kleiner als in manchen Dörfern auf dem Weg dorthin: zwei Bahnsteige, vier Gleise. Dabei ist Huelva die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz ganz im Südwesten Spaniens. Doch es ist wenig übrig vom einstigen Wohlstand der andalusischen Hafenstadt im Marschland zwischen Rio Odiel und Rio Tinto.
Letzterer gab einer der multinationalen Bergbaugesellschaften Rio Tinto ihren Namen. Deren britische Angestellte gründeten 1889 den ersten Fußballclub Spaniens: Recreativo Huelva, der zurzeit gegen den Abstieg in die vierte Liga spielt. Auf der anderen Seite des Rio Tinto liegen "die Fabriken" - Spaniens zweitgrößter Standort für Petrochemie. Einst war er der Wirtschaftsmotor der Region, doch das ist vorbei.
Kein Job trotz Ausbildung
"Wenn du niemanden in den Fabriken kennst, bekommst du da keinen Job", sagt der 20-jährige Kevin Rodríguez. Seine Zeugnisse als Chemie-Anlagen-Reiniger und Werkschutztechniker helfen ihm auch nicht. Auf seine zahlreichen Bewerbungen hat er nicht einmal Antworten erhalten. Er würde gerne auswandern, sein Glück in Großbritannien versuchen, erzählt er, doch dafür fehle ihm das Geld. Wie Rodríguez haben sechs von zehn Menschen unter 25 Jahren in Andalusien keine Arbeit. Insgesamt liegt die Erwerbslosigkeit in der Provinz Huelva bei 30 Prozent.
Als Ramón Díaz nach dem Schulabschluss zum Studium nach Sevilla zog, schien seine Laufbahn klar: Er würde Bauingenieur werden. Sein Vater war Bauarbeiter und immer begeistert von der Branche. Außerdem war es eine Ausbildung mit Jobgarantie. Davon ging er aus.
"Während meines Studium haben Architekten die Studenten direkt aus dem Vorlesungssaal heraus eingestellt", berichtet der 29-Jährige. Dennoch gelang es ihm selbst nicht, einen Job in seinem Beruf zu finden. Die Sommer verbringt er als Kellner in einer Strandbar und macht eine Lehrerausbildung.
Über den Sommer
Im Februar 2014 erklärte Spaniens Premierminister Mariano Rajoy die Wirtschaftskrise offiziell für vorüber. Im Jahr 2015 führte Spanien das Wirtschaftswachstum in Europa mit 3,2 Prozent an. Für 2016 rechnet die OECD mit einem ähnlichen Wert. Auch die Arbeitslosenquote sinkt, aber kritische Stimmen hinterfragen die Qualität der Arbeitsplätze und sie fürchten, dass für die Jugend nicht nur die schlechtesten Jobs übrig bleiben.
"Das aktuelle Wachstum ist einer goldenen Ära des Tourismus geschuldet, den wir der geopolitischen Instabilität anderer Mittelmeerländer verdanken", sagt Victor Reloba, Vizepräsident des "Rats der Spanischen Jugend", einer staatlichen Interessensvertretung für junge Menschen. Gerade in Regionen, in denen - wie in Huelva - die Industrie auf dem Rückzug ist, helfe das vor allem jungen Menschen unter 30 über den Sommer, eröffne aber keine langfristige Perspektive.
Gelegenheitsjobs statt Berufstätigkeit
José Vázquez hat einige Sommer lang in einem Baumarkt gearbeitet. Ein- oder zweimal im Monat rufen sie ihn immer noch an mit ein paar Stunden Vorlauf für ein paar Stunden Arbeit. Nichts mit dem man rechnen könnte. Und es werde immer schlimmer, sagt Vázquez: "Jedes Mal arbeiten weniger Leute im Laden. Früher haben vier Mädels Telefondienst gemacht, jetzt ist es noch eine. Mich und ein paar andere, die dort früher fest gearbeitet haben, rufen sie nur noch an, wenn sie besonders viele Kunden erwarten."
Ramón Díaz, der verhinderte Bauingenieur und sein Nachbar Jesús Cordero wurden von einem lokalen Betrieb eingestellt, um Glasfaserkabel zu verlegen. Das Jobangebot richtete sich an Leute wie sie: Bachelor-Absolventen technischer Berufe. Deshalb dachten sie, es ginge um eine anspruchsvolle Aufgabe, doch das stellte sich als Irrtum heraus: "Im Prinzip haben wir einfach nur Kabel durch unterirdische Röhren gezogen", erzählt Cordero. "Das ist ja in Ordnung, aber warum brauchen sie dafür Uni-Absolventen?"
Nach Angaben des Jugendrats sind mehr als die Hälfte der Spanier unter 26 für ihren aktuellen Job überqualifiziert. So auch der 25-jährige Juan Carlos Alarcón aus Madrid. Er ist studierter Politologe mit einem Master in Politischer Kommunikation. Nach langem Suchen - im Internet, in Zeitungen, in öffentlichen Stellen und Fortbildungen hat ihm letztlich ein Freund einen Job vermittelt. Nun ist er Aufseher in einer Schul-Cafeteria. Zwei Stunden am Tag bringen ihm 250 Euro im Monat. Aber Alarcón ist froh, denn das Schlimmste an der Arbeitslosigkeit ist für ihn das Fehlen einer Tagesstruktur: "Das Chaos zerstört dein Leben."
Reloba vom "Rat der Spanischen Jugend" weiß, wie sehr Arbeitslosigkeit die Lebensqualität beeinträchtigt: "Man kann nicht mehr über sein Leben entscheiden, und die Frustration beschädigt Psyche und Selbstbewusstsein."
Díaz glaubt, dass Unternehmen die Verzweiflung der Menschen ausnutzen: "Ich habe kein Problem damit zu arbeiten - egal, was es ist." Es geh ihm auch nicht ums Geld, schließlich habe er selbst den Sommer über für vier Euro die Stunde gekellnert. Aber die Bedingungen in manchen Unternehmen seien wirklich mies, mitunter sogar gefährlich für Arbeitnehmer, meint er: "Für Peanuts arbeiten ist ok, aber mein Leben ist das nicht wert."
Sturm am Horizont
Die wirtschaftliche Unsicherheit der Jugend hat weitreichende Folgen: Lediglich 20 Prozent der Spanier unter 30 sind unabhängig von ihren Eltern. Dies, sagt Soziologe Reloba, führe dazu, dass sie später Familien gründen und weniger Kinder haben. Und dies wiederum sei ein Problem für die Rentenkassen. Zumal die Regierung bereits Geld aus den Sozialkassen entnommen hat, um andere Ausgaben zu finanzieren. In Brüssel hat die Madrider Regierung bereits erklärt, dass die Renten in Spanien lediglich bis Ende 2017 garantiert seien.
Noch, meint Reloba, gebe es eine Lösung, doch die Zeit werde knapp: "Wir müssen in Forschung und Entwicklung investieren und in Branchen mit hoher Wertschöpfung." Nur so könne man die jungen Talente bewahren und der Jugend eine attraktive Perspektive bieten. "Aber es muss schnell gehen, damit wir nicht eine ganze Generation verlieren."