Geliebt und verdrängt: Filmfestival Locarno zeigt deutsches Nachkriegskino
Spannungsreich und formal vielgestaltig - das deutsche Nachkriegskino ist besser als sein Ruf. Das Festival in Locarno präsentiert gemeinsam mit dem Deutschen Filminstitut eine umfangreiche Retrospektive.
Der Krieg ist aus
Die Deutschen verdrängen Kriegsschuld und -greuel: Das war nach dem Zweiten Weltkrieg eine weit verbreitete Grundstimmung in der Bevölkerung. Auch im Kino. Doch es gab Ausnahmen. "Hunde, wollt ihr ewig leben" von Frank Wisbar (1959) war ein mit dokumentarischen Mitteln inszenierter Spielfilm über die Schlacht von Stalingrad. Wisbar zeigt die Sinnlosigkeit und Brutalität des Geschehens.
Frauen im Ehegefängnis
Das Frauenbild in der Adenauer-Ära nahm "Das Bekenntnis der Ina Kahr" (1954) kritisch unter die Lupe. Regisseur G.W. Pabst zeigt Ina Kahr (Elisabeth Müller), die vor Gericht steht, weil sie ihren Mann umgebracht hat. In Rückblenden zeigt der Film auf, welche Ehehölle die Frau hinter sich hat. Das Drama blickt schonungslos auf den patriarchalisch auftretenden "deutschen Mann" der 1950er Jahre.
Dunkles Wirtschaftswunder
Auch "Der gläserne Turm" (1957) war ein Film, der die Schattenseiten des deutschen Wirtschaftswunders verarbeitete. Wieder ist es die Frau, die einen herrschsüchtig auftretenden Ehemann und Manager ertragen muss. Regisseur Harald Braun mischt Krimielemente in seinen Film, zeigt aber vor allem, wie das Leben der Frau im "goldenen Käfig", dem "gläsernen Turm", aussieht.
Verbrechen im Dritten Reich
Das Festival in Locarno macht auf einige vergessene Werke des deutschen Nachkriegsfilms aufmerksam. Der hat bis heute einen schlechten Ruf, vor allem wegen der vielen kitschigen Heimatfilme. Doch es gab auch damals schon Werke, die auch von der Kritik goutiert wurden. Zu ihnen gehört der in der NS-Zeit spielende Film "Nachts, wenn der Teufel kam" (1957) von Robert Siodmak mit Mario Adorf.
Neue Leinwandstars
Mario Adorf spielt auch die Hauptrolle im Drama "Am Tag, als der Regen kam" (1959). An seiner Seite agierte die junge Elke Sommer, die später auch in Hollywood Karriere machen sollte. Filme wie "Am Tag, als der Regen kam", der das Thema Jugendkriminalität in West-Berlin behandelte, sind Beispiele für gut gemachte Genreunterhaltung. Gerade die hatte es lange schwer bei der deutschen Filmkritik.
Blick in die Gesellschaft der BRD
Ein unbedingtes Wiedersehen ist auch der Film "Schwarzer Kies" (1961) von Helmut Käutner wert. Der Regisseur, einer der wenigen auch von der kritischen Presse anerkannten Filmemacher der jungen Bundesrepublik, erzählt eine Geschichte von Korruption und Prostitution, von Schwarzmarkt und Wirtschaftskriminalität. Zentrum der Handlung: eine Militärflugbasis der US-Amerikaner im Hunsrück.
Hauptstadtleben nach dem Krieg
"Die Spur führt nach Berlin" (1952) ist noch heute sehenswert, weil der Film einen authentischen Eindruck der deutschen Hauptstadt nach Ende des Zweiten Weltkriegs vermittelt. Er entstand an Originalschauplätzen wie dem Brandenburger Tor, dem Funkturm oder dem Bahnhof Zoo. Die Narben des Krieges sind deutlich sichtbar. Für den internationalen Markt wurde eine englischsprachige Fassung hergestellt.
Unbekannte Filme neben Meisterwerken
Die Retrospektive zum deutschen Kino beim Festival in Locarno präsentiert rund 80 Werke. Sie will einen neuen Blick auf das oft kritisierte Filmschaffen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichen - vor allem mit Wiederentdeckungen und unbekannten Filmen. Gezeigt werden aber auch einige der anerkannten Meisterwerke der Epoche, wie "Der Verlorene" (1951) von und mit Peter Lorre.