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Gelobt sei, was Spaß macht

Rafael Heiling16. Dezember 2003

Rutschauto fahren. Hörspielkassetten einlegen. Und die Comicfiguren im Freizeitpark besuchen: Kaum sind sie volljährig, wollen Erwachsene wieder Kind sein. Das fällt auf in letzter Zeit. Aber Forscher wundert das nicht.

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Modelleisenbahn: Kinderkinder, da werden Erwachsene nochmal kleinBild: dpa

Dass Väter ihren Söhnen die Modelleisenbahn nur schenken, um dann selbst die Dampflok durchs nachgebaute Kleinwalsertal zu steuern - das ist bekannt. Mittlerweile sausen Erwachsene aber auch auf "Bobby Cars" (natürlich mit Rasenmäher-Rädern und neuer Bodenplatte getunt!) bergige Straßen hinunter. Sie bewahren ihr altes Schaukelpferd auf. Und sie legen Detektiv-Hörspiele von Alfred Hitchcocks "Die drei ???" in den Recorder: Die Kassetten werden zu 75 Prozent an Erwachsene verkauft. Ausweg für alle Fälle, bevor man ganz erwachsen wird. Denn die wollen gerne nochmal Kind sein.

Flucht zum Bekannten

Solche Menschen haben nicht plötzlich den Verstand verloren. Sie suchen einfach nur eine Welt, in der sie nicht an Steuererklärung, Reformstau und Treppe-Putzen denken müssen. "Das ist Regression in schwierigen Zeiten", erklärt die Münchener Freizeitforscherin Felizitas Romeiß-Stracke im Gespräch mit DW-WORLD. Soll heißen: Spielen bringt Entlastung. "Wir leben ja in einem Epochen-Umbruch und müssen uns dauernd anpassen", sagt die Expertin.

Also ziehe der Mensch sich auf das zurück, was einfach und spaßig sei. Lego spielen, Carrera-Bahn fahren: "Das ist verbunden mit netten Erinnerungen aus der eigenen Kindheit", weiß der Psychologe Prof. Günter Krampen von der Universität Trier. Menschen, "die beruflich sehr eingeengt sind", bräuchten eben mal eine Fluchtmöglichkeit.

Kindergeburtstag mit 39

Achterbahn
Freizeitpark mit Achterbahn - Kinderwelt für GroßeBild: AP

Beim Hamburger Trendbüro ist Geschäftsführer Andreas Steinle noch auf weitere Erklärungen gekommen. "Es ist ein Zeichen von Toleranz, dass Erwachsene sich wie Kinder aufführen dürfen", erklärt Steinle. "Früher gab es klare Bilder, wie man sich als Erwachsener zu benehmen hatte." Heute darf das Kind im Manne also rauskommen. "Das hat auch mit der Überalterung der Gesellschaft zu tun", sagt der Trendforscher. Weil es weniger Kinder gebe, würden die Großen eben selber spielen: "Kindliches Verhalten ist wertvoller." Denn es ist rar.

Wertvoll mag es sein - aber nicht neu, sagen die Forscher. "Das liegt weniger an der aktuellen Krise", glaubt Steinle. Er erinnert ans Amüsement auf Jahrmärkten, seit Jahrhunderten. Und Psychologe Kampen meint: "Das gab’s schon bei den alten Römern, da hatten die Menschen auch schon Sorgen." Allerdings hatten die damals kein Fernsehprogramm, das einen im Nordwind des Lebens ein bisschen wärmt. Der infantile Superstar Daniel Küblböck und Ex-Schlageronkel Guildo Horn vertreten die unerträgliche Lustigkeit des Seins. Der Medienpsychologe Cord Bitter aus Berlin wertet die Castingshows als "große Kindergeburtstage" und quasi als Antidepressivum am Bildschirm.

Am Wochenende in die Kinderwelt

Mann auf einem Karusell
Auf Jahrmärkten darf das Kind im Manne rausBild: AP

Weil Menschen überall auf der Welt Probleme haben, ist die Neigung zum Kindsein international. Die USA sind natürlich beteiligt, "die haben ja angefangen mit Freizeitparks", erklärt Andreas Steinle. "Das sind künstliche Kinderwelten, wo auch Erwachsene hingehen." Und der US-Zeichentricksender Cartoon Network hat angeblich bei den 18- bis 49-Jährigen mehr Zuschauer als der Nachrichten-Verbreiter CNN. "Die Freizeitindustrie hat dazugelernt und reagiert schnell", berichtet der Trendexperte.

Der britische Soziologe Frank Furundi hat Studenten beim Teletubbies-Gucken beobachtet – sein Fazit: "Das Erwachsensein hat nichts Attraktives mehr. Das ist eigentlich ziemlich traurig." Steinle dagegen hält Kritik am infantilen Auftritt von Popstars für "Blödsinn". Und Krampen würde sowieso notfalls detaillierte psychologische Erklärungen zum Modellrennbahn-Fahren über Bord werfen: "Sie tun es halt, weil es Spaß macht."