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Generation Internet

5. Februar 2012

Oder: Wie digital ist unser Leben? Der Kommunikationsforscher und Autor Lutz Hachmeister spricht über "digital natives", twitternde Politiker und den Glauben an die aufklärende Wirkung des Internets.

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World Wide Web BrowserBild: Fotolia/alphaspirit

DW: Wie hat sich unsere tägliche Kommunikation, ja vielleicht sogar unser gesamtes Leben, durch das Internet verändert?

Lutz Hachmeister: Jede Generation und soziale Gruppe ist davon ganz unterschiedlich berührt. Es gibt ältere Menschen, die sich von den Neuerungen des Internets überhaupt nicht mehr beeindrucken lassen, was ich übrigens sehr legitim finde. Und es gibt eine jüngere Generation, die berühmten "digital natives", bei denen man ein ausgeprägtes Suchtpotential beobachten kann. Die Piratenpartei ist dafür der Beleg im politischen Raum. Die Piraten nutzen Twitter wie SMS-Nachrichten, obwohl oder weil die Tweets jedem zugänglich sind. Dadurch wird die alte Trennung zwischen privatem und öffentlichem Raum weitgehend aufgehoben.

Kann man das, was zwischen den Generationen, von denen Sie sprechen, stattgefunden hat, als digitale Revolution bezeichnen? 

Dass eine Technologie der politischen und sozialen Identitätsbildung dient, hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Nicholas Negroponte hat 1995 ein Buch mit dem Titel "Being Digital" geschrieben und genau diese Vorstellung vom "Digitalen Sein" hat sich in verblüffender Weise ereignet. Das Sein wird als Verbundensein mit den elektronischen Medien und Kommunikationsmitteln definiert. Dies gilt besonders für die "Netzgemeinde", ein verräterisch spiritueller Begriff.

Lutz Hachmeister, Kommunikationswissenschaftler, Foto: Jim Rakete
"Medienoptimist" Lutz HachmeisterBild: Jim Rakete

Was macht die Generation Internet aus? 

Interessant ist, dass über die Art der Mediennutzung eine scharfe Abgrenzung der Generationen stattfindet. Nach dem Motto: Dieses Netz gehört uns und ihr habt davon keine Ahnung! Eine Abgrenzung auch gegenüber bestimmten Gruppen des Establishments. Dies äußert sich darin, dass man sich darüber lustig macht, wenn ältere Politiker noch einmal versuchen zu twittern. Auch die Sprache, die in diesen Medien verwendet wird, ist bewusst eine ganz andere, ironischer, schneller. Wenn es schon so schwer ist, sich politisch von Ökos und Alt-1968ern zu unterscheiden, dann wollen junge Leute zumindest diese neue Informationswelt für sich haben. Dies ist sehr genau aus ihrer Kommunikation abzulesen.

Wie hoch ist der Wert all dieser Informationen im Internet, die ohne jegliche Form der Kontrolle publiziert werden können?

Zum einen ist es ein Sumpf und eine Hölle und ein Gerüchtewirbel. Zum anderen ist es grandios, dass man ohne diese klassischen "Gatekeeper" ja auch sehr gute und intelligente Texte und ungewöhnliche Recherchen publizieren kann. Beide Seiten zeigen sich in den neuen Medien. Und beide zeigen sich radikaler als in den klassischen Medien Fernsehen, Zeitung, Hörfunk, wo sehr viel mehr gefiltert werden kann, eben durch professionelle Schleusenwärter.

Hat das Internet, gerade auch durch das Fehlen dieser Schleusenwärter, zu einer Demokratisierung geführt? 

Es ist bestenfalls eine Ergänzung. Das Internet bietet ungeheure Möglichkeiten, sich zu beteiligen, aber die Menschen, die das wirklich ambitioniert nach vorne treiben, sind eine kleine aktivistische Minderheit. Die aktive Netzgemeinde ist eine sehr kleine Gemeinde, das ist wie der Unterschied zwischen Kirchgängern und Kirchensteuerzahlern. Jeder kann twittern und jeder kann in 140 Zeichen seine Meinung sagen, aber für gefestigte Demokratien im Westen - das ist natürlich ganz anders in totalitären Staaten - spielt das Internet bestenfalls eine komplementäre Rolle.

Und wie sieht es in nicht-demokratischen Staaten aus? 

In den arabischen Revolutionen hat man ja gesehen, wie zumindest Menschen, die entschlossen sind, auf einen politischen Umbruch hinzuarbeiten, das Internet effizient und gezielt nutzen können. Auf der anderen Seite besteht in totalitären Staaten wie in China gerade durch das Internet die Möglichkeit der Kontrolle einzelner Blogger oder auch einer ganzen Szene. Das hebt sich zum Teil gegeneinander auf. Ansonsten bleibe ich doch bei der Generalthese, dass jedes neue technologische Medium zu stärkerer Freiheit und Aufklärung führt. Es ist historisch unabweisbar, dass vom Buchdruck über Telegrafie, Massenpresse oder Kino bis hin zu den aktuellen elektronischen Massenmedien das Potential an Wissen und Aufklärung immer weiter gesteigert worden ist. Das wird mit dem Internet noch einmal potenziert. Ich bin in dieser Hinsicht ein Medienoptimist.

Was sind Chancen des Internets für neue Gruppen in Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen das Internet bisher noch nicht überall ausgebreitet ist?

Es wäre sicherlich im Sinne einer positiven Propaganda sinnvoll, die Verbreitung des Internets in allen nicht-demokratischen Staaten so weit wie möglich zu fördern. Allen Menschen Zugang und vor allem günstigen Zugang zu solchen Netzen zu gewähren, ist wahrscheinlich die effizienteste Entwicklungshilfe, die man leisten kann. Denn das Internet ist sicher eines der herausragenden Instrumente der freien Meinungsäußerung und Demokratisierung, auch wenn es eine zugleich eine dunkle Seite hat.

Lutz Hachmeister ist Gründer und Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik in Berlin. Schwerpunkt des Instituts ist die Erforschung nationaler und internationaler Medienpolitik. Außerdem arbeitet Lutz Hachmeister als Journalist und Filmemacher.

Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann
Redaktion: Silke Wünsch