Georg-Büchner-Preis für Emine Sevgi Özdamar
5. November 2022Im Rahmen einer Feier im Staatstheater Darmstadt hat die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar am Samstagabend (5.11.2022) den Georg-Büchner-Preis entgegengenommen. Der Preis ist mit 50.000 Euro dotiert und zählt zu den wichtigsten literarischen Auszeichnungen im deutschsprachigen Raum. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung würdigt damit deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die "an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben" und außerdem "durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervortreten".
"Emine Sevgi Özdamars Werk eröffnet einen zugleich intellektuellen wie poetischen Dialog zwischen verschiedenen Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen, an dem wir lesend teilhaben dürfen", heißt es in der Begründung der Jury. Özdamars Literatursprache komme ihr vor, als würde sie die Welt ein- und ausatmen, sagte die Literaturjournalistin Marie Schmidt in ihrer Laudatio. Leserinnen und Leser bewegten sich in ihren Büchern durch Europa als Kontinent der Exilanten. Ihr Erzählen sei sinnlich, konkret und plastisch.
"Mein Bruder Georg Büchner"
In ihrer Dankesrede sagte Özdamar, jeder Mensch habe einen persönlichen Himmel, in dem nicht nur die Sterne, sondern auch die Menschen, die ihn sehr berührt hätten, ständig leuchteten. Einer dieser Menschen sei für sie "mein Bruder Georg Büchner". Erfahren habe sie von ihm, als sie 1968 aus Berlin nach Istanbul zurückgekehrt sei und dort die Schauspielschule besuchte. Ein Lehrer habe ihr empfohlen, den Autor zu lesen.
In deutschen Literaturkreisen ist Emine Sevgi Özdamar keine Unbekannte. Schon 1991 gelang ihr mit der Zuerkennung des Ingeborg-Bachmann-Preises der literarische Durchbruch. Seit über drei Jahrzehnten bereichert die am 10. August 1946 in der Türkei geborene Schriftstellerin die deutschsprachige Szene mit ihren Romanen, Erzählungen und Theaterstücken - mit ungewohnten Stilmitteln wie der Übertragung türkischer Redewendungen ins Deutsche und vor allem mit dem Blick aus zwei Welten auf die deutsch-türkische Geschichte. Sie erzählt vom Ersten Weltkrieg, der Aufbruchstimmung der 1960er- und 70er-Jahre und schlägt die Brücke zur Gegenwart, wobei sie immer auch persönliche Erfahrungen einfließen lässt.
Vom Theater zum Schreiben
Özdamar, die in Istanbul und Bursa in der Türkei aufwuchs, interessierte sich zunächst vor allem für die Welt des Theaters. Von 1967 bis 1970 nahm sie Schauspielunterricht und spielte in Stücken von Bertolt Brecht und Peter Weiss.
Nach dem Militärputsch in der Türkei 1971 und der um sich greifenden Zensur ging sie nach Berlin und wurde an der Ost-Berliner Volksbühne Assistentin des Brecht-Schülers Benno Besson und des Regisseurs Matthias Langhoff.
1982 schrieb sie ihr erstes eigenes Theaterstück, "Karagöz in Alemania". Es war der Anfang ihrer schriftstellerischen Karriere. Ihr autobiografisch angelegter Romanerstling aus dem Jahr 1992 "Das Leben ist eine Karawanserei - hat zwei Türen - aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus" galt als literarisches Ereignis und war der Anfang einer Reihe über ihre Leben in Istanbul und im geteilten Berlin. 1998 folgte der zweite Roman "Die Brücke vom Goldenen Horn" und 2003 der Abschluss der Trilogie: "Seltsame Sterne starren zur Erde. Wedding – Pankow 1976/77".
2021 erschien ihr - laut Jury - Opus Magnum: "Ein von Schatten begrenzter Raum". Wieder geht es um den Militärputsch in der Türkei 1971, der nicht nur das Leben, sondern auch die Träume der Menschen gefangen hält und Künstler, Linke, Intellektuelle ins Exil treibt.
Nach zahlreichen literarischen Auszeichnungen - darunter der Walter-Hasenclever-Preis 1993, Adelbert-von-Chamisso-Preis 1999 und Heinrich-von-Kleist-Preis 2004, erhält Emine Sevgi Özdamars nun auch den Georg-Büchner-Preis. Trotzdem sei sie immer wieder von den Auszeichnungen überrascht, so Özdamar. "Plötzlich kommt der Anruf."
Illustre Preisträger der deutschen Literaturszene
Namensgeber des Preises ist der in der Nähe von Darmstadt geborene Mediziner, Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner (1813-1837). Er starb mit gerade mal 23 Jahren an Typhus, hinterließ aber ein literarisches Werk, das bis heute in Schulen und Universitäten zur Pflichtlektüre gehört.
Der Georg-Büchner-Preis wird seit 1951 verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u.a. Gottfried Benn, Erich Kästner, Max Frisch, Günter Grass, Heinrich Böll, Terézia Mora und Elke Erb. Im letzten Jahr erhielt der Österreicher Clemens J. Setz die begehrte Auszeichnung. Finanziert wird sie von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie der Stadt Darmstadt.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 9. August 2022.