Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin
29. November 2018In Georgien hat die von der Regierungspartei unterstützte Kandidatin Salome Surabischwili die umkämpfte Präsidentschaftswahl für sich entschieden. Nach Auszählung fast aller Stimmen kam die frühere französische Diplomatin in der Stichwahl auf fast 60 Prozent, wie die Wahlkommission mitteilte. Der Kandidat der oppositionellen "Vereinten Nationalen Bewegung", Ex-Außenminister Grigol Waschadse, erhielt demnach gut 40 Prozent.
Surabischwili ging als unabhängige Kandidatin ins Rennen, wurde jedoch von der regierenden Partei "Georgischer Traum" des Milliardärs Bidsina Iwanischwili unterstützt. Im Interview mit der Deutschen Welle betonte Surabischwili, sie sei unabhängig. "Ich wurde in meinem ganzen Leben von niemandem kontrolliert. Ich werde nicht von Herrn Iwanischwili kontrolliert, da ich keine Vereinbarung mit ihm hatte, bevor ich seine Unterstützung erhielt."
Die rund 3,5 Millionen Wahlberechtigen in der ehemaligen Sowjetrepublik im Kaukasus haben zum letzten Mal ihr Staatsoberhaupt direkt gewählt. Eine Verfassungsreform, die nach dem Amtsantritt des neuen Staatsoberhaupts in Kraft treten wird, sieht vor, dass Staatschefs künftig von einem Gremium gewählt werden, das aus Parlamentsabgeordneten und Vertretern der lokalen Verwaltung besteht. Auch die Kompetenzen künftiger Präsidenten wurden beschnitten. Sie werden vor allem repräsentative Aufgaben haben und unter anderem kein Mitspracherecht in der Außenpolitik mehr haben. Georgien wäre dann eine rein parlamentarische Demokratie.
Karrierediplomatin aus Frankreich
Surabischwili blickt auf eine ungewöhnliche und für Georgien einzigartige Karriere zurück. Sie wurde 1952 in Paris in die Familie georgischer Emigranten geboren. Ihre Vorfahren waren hochrangige Politiker und Geschäftsleute aus der Zeit der Unabhängigkeit Georgiens von Russland zwischen 1918 und 1921.
"Meine Großeltern zogen wegen der russischen Aggression nach der ersten Unabhängigkeit Georgiens 1918 nach Frankreich. Drei Jahre Unabhängigkeit wurden durch die Invasion der russischen Armee zunichte gemacht. Damals gingen Personen, die in der Regierung oder im Umfeld der Regierung waren, in die Türkei. Sie dachten, sie könnten die Regierung im Exil aufrechthalten und zurückkehren, sobald die russische Armee besiegt wäre. Dieses Exil dauerte länger, als sie dachten", sagte Surabischwili der DW.
Nach dem Studium an renommierten Hochschulen in Paris und New York war Surabischwili jahrzehntelang im französischen diplomatischen Dienst tätig, mit Stationen in Italien, USA und Belgien. Während der so genannten Rosenrevolution in Georgien 2003 war sie Frankreichs Botschafterin in Tiflis. Der damalige Sieger der Revolution, Präsident Michail Saakaschwili, bot ihr das Amt der Außenministerin an, das Surabischwili bis 2005 ausübte. Zu ihren Verdiensten auf diesem Posten wird die Vereinbarung über den Abzug russischer Truppen aus Stützpunkten in Georgien gezählt. Nachdem sie sich mit Saakaschwili zerstritten hatte und von ihm entlassen wurde, gründete Surabischwili eine eigene Partei. Sie war damit jedoch wenig erfolgreich und zog sich aus der Politik zurück. Sie kehrte 2016 als Parlamentsabgeordnete zurück. Um bei der jetzigen Präsidentenwahl antreten zu dürfen, gab Surabischwili ihre französische Staatsbürgerschaft auf.
Kontroverse um Krieg in Südossetien 2008
Kritiker werfen der Kandidatin vor, zu russlandfreundlich zu sein und die nationalen Interessen zu verraten. Besonders umstritten sind ihre Äußerungen über den russisch-georgischen Krieg in Südossetien vor zehn Jahren, im August 2008. Die ehemalige Außenministerin löste eine Welle von Empörung aus, als sie dem damaligen Präsidenten Saakaschwili die Hauptschuld am Krieg gab.
Im August 2008 versuchte Saakaschwili, mit militärischen Mittel die seit den 1990er Jahren abtrünnige Provinz Südossetien zurückzuerobern. Vorausgegangen war eine militärische Eskalation an der Trennlinie, für die Tiflis Russland die Schuld gab. Nach einem fünftägigen Krieg mit Russland wurde die Abtrennung Südossetiens und Abchasiens, einer weiteren abtrünnigen Provinz, von Georgien zementiert.
Surabischwili beschrieb Saakaschwili als "wahnsinnig", ein Ausdruck, den man in Moskau gerne hört. Die Politikerin widersprach dabei der offiziellen Haltung der georgischen Regierung, so dass der jetzige Außenminister David Salkaliani sich gezwungen sah, nochmals Stellung zu nehmen: 2008 habe es "eine Aggression Russlands" mit anschließenden Besatzung von Teilen Georgiens gegeben. Nach der Kritik relativierte Surabischwili ihre Aussage und meinte, Russland sei ein Aggressor gewesen, doch Saakashwili habe sich provozieren lassen.
Zurückhaltende Russland-Politik
"Es ist ungewöhnlich und unangenehm, wenn ein Mensch, der in Paris geboren und im Westen erzogen wurde, in einem demokratischen Land, plötzlich sagt, von allen Politikern habe ihn am meisten der russische Außenminister Lawrow beeindruckt", sagte der georgische Politiker und früherer sowjetische Dissident Lewan Berdsenischwili in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Er vermute, Russland hoffe auf Surabischwilis Sieg bei der Präsidentenwahl in Georgien. Berdsenischwili warf der Präsidentschaftskandidatin außerdem Antiamerikanismus vor.
Seitdem Saakaschwilis Partei in der Opposition ist und der frühere Präsident selbst im Asyl im Ausland lebt, verfolgt Georgien eine zurückhaltende, weniger konfrontative Politik gegenüber Russland. Der scheidende Präsident Georgij Margwelaschwili sagte 2017 in einem Interview mit der DW-Reporterin Zhanna Nemtsova, sein Land würde gerne mit Russland zusammenarbeiten. Er stellte jedoch eine Bedingung: "Russland muss die Tatsache akzeptieren, dass Georgien ein unabhängiger Staat ist und wir unsere Zukunft so gestalten werden wie wir es für richtig halten." Er meinte damit unter anderem den Kurs Georgiens Richtung Integration in die EU und die NATO.