Geregelte Einheit - der '2+4-Vertrag'
12. September 2010Die Verhandlungsrunden waren hart. Denn bei den "Zwei-plus-Vier-Gesprächen", in denen es um um die sogenannten äußeren Aspekte der deutschen Einheit ging, mussten die Teilnehmer weitreichende Entscheidungen treffen: Welche Grenzen sollten fortan in Europa gelten? Dürften beide Teile Deutschlands in der NATO sein oder sollten sie neutral werden? Würde es einen Friedensvertrag geben, der den Zweiten Weltkrieg auch offiziell beenden würde? Wie sollte der Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland organisiert werden?
Äußere Aspekte der deutschen Einheit
Für die Bundesrepublik Deutschland nahm Außenminister Hans-Dietrich Genscher an den Verhandlungen teil. Mit seinem DDR-Kollegen Markus Meckel gelang es ihm in vier Verhandlungsrunden, die deutschen Interessen mit denen der Alliierten in Einklang zu bringen. Diskutiert wurde - so erinnert sich Genscher heute - um den Verbleib der Deutschen in der NATO und die Endgültigkeit der Grenzen in Europa: "Außerdem ging es um den Verzicht des vereinigten Deutschlands auf Massenvernichtungswaffen."
Deutschland wurde Teil einer gesamteuropäischen Sicherheitsstrategie, während die Alliierten ihre Besatzungsrechte in dem Staat in der Mitte Europas aufgaben. Dies war der - oft gegen den erklärten Willen der britischen Premierministerin Margaret Thatcher erreichte - Kompromiss, dem vor allem auch die Sowjetunion zustimmen konnte. Am Vorabend der Unterzeichnung in Moskau kam es aber trotz aller Absprachen zu Schwierigkeiten, die den Vertrag beinahe hätten platzen lassen.
Störfeuer aus der Downing Street
Margret Thatcher, die aus ihrer Abneigung einer deutschen Vereinigung kein Hehl gemacht hatte, wies am 11. September ihren Außenminister Douglas Hurd an, eine weitere Forderung zu stellen. Er solle seine Unterschrift unter den Zwei-plus-Vier-Vertrag davon abhängig machen, ob die NATO Manöver auf dem Gebiet der ehemaligen DDR abhalten dürfe, lautete die Anweisung der "Eisernen Lady". Hans-Dietrich Genscher erinnert sich an diese Zumutung, die vor allem bei der sowjetischen Delegation auf Unverständnis stieß: "Wir fanden, dass eine solche Zusatzforderung - noch dazu in letzter Minute erhoben - völlig abwegig sei und fanden dafür Gott sei Dank die Unterstützung unserer französischen und amerikanischen Kollegen."
Meilenstein der europäischen Geschichte
Mit den Unterschriften wurden die Voraussetzungen für die deutsche Einheit geschaffen. Gleichzeitig wurden alle europäischen Grenzen festgeschrieben und gegenseitig akzeptiert - auch die Oder-Neiße-Grenze zwischen Polen und Deutschland. Jahrzehntelang hatte es in Westdeutschland um die Anerkennung dieser Grenze innenpolitische Auseinandersetzungen gegeben. Für die einen war die Anerkennung verbunden mit dem endgültigen Verlust der ehemaligen "Ostgebiete", die hinter der Oder-Neiße-Grenze lagen. Die anderen sahen darin lediglich die Anerkennung eines Resultates des von den Deutschen angezettelten und verlorenen Zweiten Weltkriegs.
Deutschland verzichtete zudem auf den Besitz von ABC-Waffen und stimmte einer Reduzierung der Bundeswehr auf 370.000 Soldaten zu. Gleichzeitig wurde verabredet, dass die Rote Armee bis 1994 aus der ehemaligen DDR abziehen würde. Ferner einigten sich die Unterzeichner in Moskau darauf, dass die Bodereform, die in der DDR 1945 und 1946 durchgeführt worden war, nicht rückgängig gemacht werden sollte.
Deutsche Souveränität
Im Gegenzug endeten die Rechte der Alliierten in Deutschland. Als Folge des Zweiten Weltkriegs hatten die alliierten Sieger Deutschland 1945 besetzt. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 blieben Frankreich, England und die USA im Westen und die Sowjetunion im Osten Deutschlands präsent. Mit militärischer Stärke und politischer Macht übten sie Hoheitsrechte in Deutschland aus. Beide deutschen Staaten besaßen nicht die volle Souveränität und waren eingebunden in die geostrategischen Überlegungen ihrer jeweiligen Besatzungsmächte. Dieser Zustand endete nun. Besonders für die Sowjetunion war das verbunden mit einem deutlichen Machtverlust in Zentraleuropa. Einst reichte der direkte politische Einfluss der jeweiligen Kreml-Chefs bis zum Brandenburger Tor, nun endete er an der ukrainischen und weißrussischen Grenze.
Anstelle eines Friedensvertrags
Der Vertrag regelte aber nicht nur die "außenpolitischen Aspekte der deutschen Einheit". Er trat gleichzeitig auch an die Stelle eines Friedensvertrags zwischen den Parteien des Zweiten Weltkriegs. Die Unterzeichner waren sich in Moskau einig, dass es fortan weder Reparationsforderungen gegen Deutschland noch irgendwelche Einschränkungen der deutschen Souveränität geben werde. Deshalb stand dieser Vertrag über den Regelungen eines Friedensvertrags, der im Übrigen nicht nur mit den vier Alliierten, sondern mit weiteren 100 Staaten hätte ausgehandelt werden müssen, mit denen sich Deutschland 1945 im Krieg befand.
Hans-Dietrich Genscher erinnert an einen weiteren Zusammenhang: Beide deutschen Staaten seien Mitglied der UN gewesen und mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik auch Mitglied der Europäischen Gemeinschaft geworden. Zudem war Deutschland in die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eingebunden. Deshalb, so Genscher, "war ein Zustand erreicht, wo für einen Friedensvertrag kein Platz mehr war."
Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Dеnnis Stutе