Gerhard Schröder: Der Ex-Kanzler wird ausgemustert
19. Mai 2022Am 7. April hatte Gerhard Schröder Geburtstag. Er wurde 78 Jahre alt. Es wäre eine Gelegenheit für ein großes Fest gewesen. Von 1990 bis 1998 war Schröder Ministerpräsident von Niedersachsen und von Oktober 1998 bis November 2005 der siebte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Zum 70. Geburtstag vor acht Jahren kamen 200 Gäste zu einem Empfang im Rathaus der Stadt Hannover. Damals war der Altkanzler noch Ehrenbürger der niedersächsischen Landeshauptstadt.
Heute ist Schröder kein Ehrenbürger mehr, er ist aus dem Fußball-Verein Hannover 96 - der ihn rauswerfen wollte - ausgetreten und es wäre fraglich, ob sich überhaupt noch ausreichend Gäste finden würden, um ein großes Fest zu veranstalten. Mit seiner fortwährenden Weigerung, seine Aufsichtsratsposten in der russischen Energiewirtschaft aufzugeben und sich von Präsident Wladimir Putin zu distanzieren, hat sich der Altkanzler isoliert. Freunde und einstige politische Weggefährten haben sich abgewandt. Er sei für Argumente und Einwände nicht mehr erreichbar, äußern sie sich in den Medien hinter vorgehaltener Hand.
Lokalverbot auf Norderney
Auch in der öffentlichen Wahrnehmung hat der ehemalige Bundeskanzler Sympathie verloren und er ist längst nicht mehr überall willkommen. Als er Anfang Mai zusammen mit seiner fünften Ehefrau So-yeon Schröder-Kim auf der Nordseeinsel Norderney Urlaub machte, erteilte ihm ein örtlicher Gastwirt umgehend Lokalverbot und wies die Mitarbeiter seiner drei Brauerei-Gaststätten an, Schröder den Zutritt zu verwehren. "So eine gute und konsequente Entscheidung", kommentierte ein User auf der Facebook-Seite des Gastwirts. "Man sollte ihrem Brauhaus einen Orden verleihen für diese mutige und wichtige Aktion!", schrieb ein anderer.
Das Berliner Szene-Lokal "StäV" hat die Bezeichnung "Altkanzlerfilet" aus der Speisekarte gestrichen, mit der eine Currywurst beschrieben wurde, die Gerhard Schröder gerne isst. Zudem soll Schröders Foto entfernt werden.
Kein Büro, keine Mitarbeiter, keinen Chauffeur mehr
Das politische Berlin ist schon länger auf Distanz zum ehemaligen Regierungschef und nun einen Schritt weitergegangen. Schröder verliert alle Zuwendungen, die Altkanzlern über das gesetzlich festgelegte Ruhegehalt hinaus zustehen, damit sie ihren Amtspflichten weiter nachkommen können. Also beispielsweise Vorträge halten, Schirmherrschaften übernehmen, Fragen von Bürgern beantworten. Dazu gehören ein Büro im Bundestag mit mehreren Räumen und Mitarbeitern, Fahrer, die Erstattung von Reisekosten. Aus einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht hervor, dass sich allein die Personalkosten für Gerhard Schröder pro Jahr auf rund eine halbe Million Euro belaufen.
Der Anspruch ist nicht gesetzlich festgelegt, sondern wurde einst vom Haushaltsausschuss des Bundestags beschlossen. Auf Initiative der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP hat der Ausschuss diesen Beschluss nun geändert. Eine Amtsausstattung soll es nur noch geben, wenn sie für fortwährende Amtspflichten notwendig ist. Gerhard Schröder nimmt solche Pflichten schon länger nicht mehr wahr. Auch die Abgeordneten von CDU und CSU im Haushalts-Ausschuss stimmten zu. Die Union hätte Schröder am liebsten auch sein Ruhegehalt gestrichen, doch das sei verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar, heißt es von Seiten der SPD.
EU-Sanktionen befürwortet
Lediglich seine Personenschützer soll Schröder behalten dürfen. Seine Büromitarbeiter sind bereits weg. Sie haben im März gekündigt und sich auf andere Posten im Parlamentsbetrieb versetzen lassen. Selbst sein langjähriger Büroleiter und Redenschreiber, der auf 20 Jahre Zusammenarbeit mit dem prominenten Sozialdemokraten zurückblickt, wollte nicht länger für ihn arbeiten.
Politiker in Deutschland aber auch im EU-Parlament wollen außerdem prüfen, ob gegen Schröder Sanktionen verhängt werden können. "Wir wollen ja jene Gruppen treffen, die Profiteure des Systems Putin sind. Und deshalb ist es nur folgerichtig, zu prüfen, wie wesentlich Schröder für dieses System ist", begründet FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Forderung. Im Europaparlament gibt es bereits eine Mehrheit dafür, europäische Mitglieder von Aufsichtsräten russischer Unternehmen auf die Sanktionsliste zu setzen. Schröder würde auch unter diese Regelung fallen.
Ein Tätigkeitsverbot für Schröder?
Die "New York Times", der Gerhard Schröder kürzlich ein längeres Interview gab, schreibt, der Altkanzler verdiene rund eine Million Euro mit seinen Posten in der russischen Energiewirtschaft. 2005, kurz nach dem Ausscheiden aus seinem Regierungsamt war er bei der Pipeline-Gesellschaft Nord Stream eingestiegen. Dort ist er immer noch Vorsitzender des Gesellschafterausschusses. Außerdem ist er Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energieriesen Rosneft und im zuständigen Handelsregister nach wie vor als Verwaltungsratspräsident der Nord Stream 2 AG eingetragen.
Aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kommt der Vorstoß, Schröder die Tätigkeit für die russische Energiewirtschaft zu verbieten. "Das geht verhältnismäßig einfach, indem man ein entsprechendes Tätigkeitsverbot ausspricht", sagt der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann, der den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags um eine Analyse gebeten hat, auf welchem rechtlichen Weg dies geschehen könnte. Beträge, die Schröder dennoch erhalten würde, müsste er dann vollständig an die Staatskasse abführen, so Heilmann.
Die SPD verzweifelt an ihrem prominenten Mitglied
In der SPD versuchen sie seit Monaten, Gerhard Schröder dazu zu bringen, seine Posten aufzugeben. Ohne Erfolg. Der Altkanzler stand schon immer auf dem Standpunkt, dass er sein Leben so lebe, wie es ihm gefalle und das gehe im Übrigen niemanden etwas an. SPD-Chef Lars Klingbeil sieht das anders. "Mit einem Aggressor, mit einem Kriegstreiber wie Putin macht man keine Geschäfte. Als Bundeskanzler a.D. handelt man nie komplett privat. Schon gar nicht in einer Situation wie der jetzigen", schrieb er kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine in den sozialen Netzwerken.
Schröder reagierte nicht und so hält er es bis heute. Inzwischen liegen in der SPD 14 Anträge auf Parteiausschluss vor. Führende Genossen wie SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser und SPD-Co-Chefin Saskia Esken unterstützen das. Doch das Verfahren ist kompliziert und könnte sich hinziehen. Esken wäre es am liebsten, wenn Schröder von sich aus die SPD verlassen würde, sie hat ihn zum Austritt aufgefordert. Sein Urteil hat auch Klingbeil getroffen: "Ich hätte mir gewünscht, dass sich Gerhard Schröder auf die richtige Seite der Geschichte stellt. Er hat sich aber für die falsche entschieden."
Veränderte Persönlichkeit
Schröder hat auch darauf nicht reagiert. Stattdessen nahm er Putin in dem Interview der "New York Times" sogar gegen Vorwürfe wegen des Massakers an Zivilistinnen und Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha ausdrücklich in Schutz. Er glaube, sagte Schröder der NYT-Journalistin, dass die Befehle nicht von Putin gekommen seien, sondern "von niedrigeren Stellen". Offenbar war dem Alt-Kanzler nicht bekannt, dass Putin den Soldaten, die in Butscha im Einsatz waren, nachträglich Orden verlieh.
Niedersachsens früherer Justizminister Christian Pfeiffer - ein langjähriger Parteifreund des Ex-Kanzlers - sieht in Schröders Äußerungen Hinweise auf eine Persönlichkeitsveränderung, die ihm Sorgen mache: "Der Mann, den wir da jetzt erleben, ist nicht mehr der Gerhard Schröder, den wir aus seiner Zeit als Kanzler kennen." Seine Position zu Putins Krieg sei von falscher Solidarität und Schwäche geprägt, sagte Pfeiffer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Trinkt Schröder zu viel Alkohol?
Björn Engholm, der Anfang der neunziger Jahre als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und SPD-Vorsitzender den politischen Aufstieg des späteren Kanzlers miterlebte, sagt: "Gerhard Schröder hat in seinem Leben eigentlich immer nur einen gekannt, und der hieß Gerhard Schröder. Und das zieht bis heute durch." Schröder habe stets "ein hohes Maß an Eitelkeit in der öffentlichen Darstellung" gehabt, so Engholm im Podcast "Digitaler Frühschoppen". Daher sei er davon ausgegangen, dass Schröder alles dafür tun würde, um seinen Status und sein Ansehen zu behalten. Auch, seine Posten in der russischen Energiewirtschaft niederzulegen. "Und dass er das nicht tut, das verwundert mich zutiefst."
In den Medien wird inzwischen auch über den Alkoholkonsum des Altkanzlers spekuliert, nachdem in dem Artikel der "New York Times" zu lesen ist, Schröder habe in dem Interview, während er höhnisch über seine Kritikerinnen und Kritiker gesprochen habe, reichlich Weißwein zu sich genommen.
2020, zwei Jahre nach ihrer Hochzeit, erzählte So-yeon Schröder-Kim in einer Talkshow des NDR, ihr Mann habe ihr vor der Heirat versprochen, in Zukunft nur noch zwei Gläser Wein pro Tag zu trinken. Daran halte er sich, "bis auf wenige Ausnahmen". Sie selbst, so die gebürtige Koreanerin, sei durch ihren Mann zwar keine Weinliebhaberin geworden, "aber ich trinke einfach mit, damit mein Mann weniger trinkt".
Dieser Artikel wurde am 10. Mai 2022 erstmals veröffentlicht und zuletzt am 19. Mai 2022 aktualisiert.