Gerichte bauen auf Gutachter
12. Juli 2014Gustl Mollath muss weiter kämpfen. Zwar ist der Mann aus Bayern, der sieben Jahre zu Unrecht in der Psychiatrie saß, frei. Aber er muss sich nun wegen eines alten Anklagepunktes erneut vor Gericht verantworten. Es geht um eine Anzeige seiner Ehefrau aus dem Jahr 2002. Gustl Mollath soll sie - so der Vorwurf der Frau - mindestens 20 Mal geschlagen, gebissen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben. Er bestreitet dies.
Wurde er Opfer eines Racheakts? Denn zuvor hatte Gustl Mollath Strafanzeige gegen seine Ehefrau gestellt, weil sie und weitere Mitarbeiter der Hypovereinsbank Steuern hinterzogen und Insidergeschäfte getätigt haben sollen. Ein Gutachter wurde einbestellt. Und der kam damals zu dem Ergebnis, Gustl Mollath habe wahnhafte psychische Störungen, sei gemeingefährlich und unzurechnungsfähig - offenbar ein Fehlurteil.
Später jedoch bestätigte ein interner Revisionsbericht der Hypovereinsbank Mollaths Betrugsvorwürfe gegen seine Ehefrau. Im August 2013 wurde der heute 57-Jährige aus der Psychiatrie entlassen. Nun wird der Fall erneut aufgerollt. Mollaths Zustand soll dabei erneut von Psychiatern begutachtet werden.
"Sachverständiger ist kein Beruf"
Vorladungen vor Gericht - wenn auch aus ganz anderen Gründen - kennt auch der Berliner Architekt Jonas Hansen (Name von der Redaktion geändert) nur zu gut. "Ich wurde regelmäßig von Bauherren verklagt. Mein Eindruck war, dass die Leute Mängel finden wollten, um mein Honorar zu mindern." Immer wieder wurden teure Gutachten angefertigt. Die Prozesse endeten jeweils oft mit einem Vergleich, der beide Seiten teuer zu stehen kam. Der Architekt wurde dadurch an den Rand des beruflichen Ruins getrieben. Als Konsequenz beschloss er, die Seiten zu wechseln und einfach selbst die Prüfung zum Sachverständigen für das Bauwesen abzulegen. Über Aufträge kann sich Hansen seither nicht mehr beklagen.
"Sachverständiger ist kein Beruf, den man studieren kann. Sachverständiger wird man durch Erfahrungen im Beruf, durch Prüfungen und ständige Fortbildungen", sagt Helge-Lorenz Ubbelohde. Er ist Vizepräsident des Bundesverbandes öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e.V. #link:http://www.bvs-ev.de/home/:(BVS)#.
Ubbelohde hat einen Eid geleistet, unabhängig von Auftraggeber oder persönlichen Interessen zu urteilen. Es gibt aber auch Sachverständige, die nicht vereidigt sind. "Sachverständiger ist kein geschützter Beruf. Jeder kann sich so nennen, das führt zur Verwirrung der Verbraucher", sagt Ubbelohde, der durch seine Tätigkeit als Bauingenieur zum Sachverständigen wurde.
Fasziniert habe ihn dabei die geradezu kriminalistische Tätigkeit, Schäden zu erkennen und die Ursachen festzustellen. Da sich bei Gericht zwei Parteien gegenüberstünden, die unterschiedliche Interessen haben, "werden dem Gutachter schon mal Unterlagen vorenthalten oder Argumente vorgebracht, die die eigene Position stärken." Dann gelte es, sich auf die Fakten zu konzentrieren und Einflussfaktoren der Prozessparteien auszuschließen.
Unterstützung für Berliner Großflughafen angeboten
Auf Deutschlands umstrittenster Großbaustelle sind mittlerweile ebenfalls Sachverständige von Ubbelohdes Verband eingebunden. "Tatsache ist, dass eine unabhängige Begutachtung die Mängelerfassung und Abarbeitung schnell befördert, auch wenn es erst einmal unangenehm ist, wenn Mängel und Zahlen über Fehlkalkulationen aufgedeckt werden", sagt Ubbelohde. Der Vorteil sei, dass Sachverständige nicht ins Tagesgeschäft eingebunden und daher weniger anfällig für Betriebsblindheit seien, was völlig normal sei im Bauprozess. Eine regelmäßige Qualitätskontrolle während der Bauphase des Berliner Großflughafens (BER) hätte sicherlich viele Folgeschäden verhindern können, so der Sachverständige.
Zuletzt bewilligte die Bundesregierung eine erneute Finanzspritze in Höhe von 58 Millionen Euro. Die gesamten Baukosten für den Hauptstadtflughafen werden inzwischen auf 5,4 Milliarden Euro veranschlagt.
Billig ist nicht günstig
Abgesehen von persönlichen Verquickungen zwischen Projektleitern und Firmen sei die Tatsache, dass Behörden Vorhaben EU-weit ausschreiben müssen und angehalten sind, das auf dem Papier billigste Angebot annehmen zu müssen, "ein Riesenproblem", so Ubbelohde. Er sieht in der Vergabepraxis die Ursache für manches Missmanagement auf öffentlichen Baustellen.
Es gebe Firmen, die bewusst ein billiges Angebot einreichten, wohl wissend, dass sie damit das Projekt nicht realisieren könnten. Dann würden über ein sogenanntes Nachforderungsmanagement die beim Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren Ereignisse aufgeführt, um weitere Kosten geltend zu machen und schließlich höhere Gewinne zu erzielen. "Diese Bauvorhaben verteuern sich extrem, weil die Firmen mit ihrem Angebot nicht in der Lage sind, die Leistungen zu erbringen."
Beruf mit Zukunft
Fachwissen wird zunehmend gefordert. Nicht nur auf dem Bausektor braucht man hochqualifiziertes Expertenwissen. So gibt es sogar Bestattungsgutachter, die bei Erbstreitigkeiten vor Gericht genaue Angaben zur Höhe der Beerdigungskosten machen können. Andere Sachverständige prüfen und bewerten im Streitfall Kunstgegenstände, Schmuck oder hochspezialisierte Maschinen. Auch in medizinischen Belangen kommen immer häufiger Gutachter zum Einsatz.
Doch gerade an deren fachlicher Qualität zweifelt Stefan Stürmer. Der Psychologe der Fern-Universität Hagen hat sämtliche 116 psychologische Gutachten von 2010 und 2011 untersucht, die von vier Amtsgerichten im Bezirk Hamm in Westfalen in Auftrag gegeben wurden. Im Nachrichtenmagazin "Focus" übte Stürmer Kritik an den Ergebnis-Vorlagen für Familiengerichte, in denen es um Sorgerechtsstreitigkeiten geht. Es sei keine wissenschaftliche Methodik zu erkennen, wobei es schlimmstenfalls zu Fehlentscheidungen gekommen sei, "was natürlich dramatisch in die Lebenswege von Kindern und Eltern eingreift."
Auf dem medizinisch-psychologischen Gebiet gibt es keine öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, sondern lediglich Ärzte, die "nebenbei eine gute Verdienstmöglichkeit sehen", sagt BVS-Vertreter Ubbelohde. Dies sei historisch bedingt. Sein Verband sei aber bemüht, dies zu ändern, weil es über die Qualität gerade medizinisch-psychologischer Gutachten große Klagen gebe.
Helge-Lorenz Ubbelohde selbst ist neben seiner Sachverständigenarbeit als Bauingenieur tätig, wo er sich zur Zeit mit der Sanierung von Wohnprojekten befasst. Es sei von Vorteil, so Ubbelohde, wenn man mit den Gutachten "nicht über den Dingen schwebt", sondern das Handwerk, um das es geht, auch wirklich selbst beherrscht.