Germanwings-Absturz: Angehörige fordern Antworten
11. August 2017"Getan wird, als ob nun alles erledigt sei, aber das ist es nicht", sagt Frank Noack am Telefon. Der Mann aus Sachsen-Anhalt verlor am 24. März 2015 seine Tochter, als der Germanwings-Airbus mit der Flugnummer 9525 in den französischen Alpen zerschellte. Noack ist Initiator einer Petition von Angehörigen der 150 Opfer des Absturzes. Noch immer ist der Schmerz in seiner Stimme zu hören. "Das ist eine schlimme Woche gerade", sagt er über seinen Gang an die Öffentlichkeit. "Ich frage mich, ob bei der Aufklärung des Unglücks alles mit rechten Dingen zugegangen ist." Immer noch gebe es ungeklärte Fragen - nicht nur bei ihm - und den Verdacht, dass eine weitere Aufarbeitung abgewürgt werden soll.
Mehr als 70 Angehörige haben die Petition unterzeichnet. Eine der Ungereimtheiten, die sie quälten, sei die Frage, weshalb der psychisch kranke Copilot überhaupt noch fliegen durfte. Warum sei Andreas L., der die Maschine mit Höchstgeschwindigkeit gegen einen Felsen steuerte, von den Ärzten nicht gestoppt worden? War der behandelnde Arzt nicht ein Freund der Familie, und sollte dessen psychische Krankheit verheimlichen? Schließlich koste so eine Pilotenausbildung 80.000 Euro, sagt Noack, die man sicherlich nicht so einfach aufs Spiel setzen wolle. Und: Warum wurde Andreas L. einmal innerhalb eines Tages erst fluguntauglich und dann wieder flugtauglich geschrieben?
Angehörige suchen Ansprechpartner für ihre Fragen
Das alles seien Vermutungen, sagt Noack. Aber es deute viel auf "Fehler im System" hin. Doch mit wem darüber reden? Die offiziellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf wurden Anfang 2017 eingestellt. Begründung: Für den Absturz sei ausschließlich der Copilot verantwortlich gewesen. Deshalb gebe es keinen Anlass, strafrechtlich "gegen eine lebende Person" zu ermitteln. "Warum enden in diesem Fall die Ermittlungen mit dem Tod des Verursachers, und warum werden die Umstände nicht geklärt und öffentlich gemacht?" steht in der Petition.
Im Moment sei niemand für sie zuständig, das bekämen sie immer wieder zu hören, so Noack. Ja, Hannelore Kraft, die ehemalige Ministerpräsidentin von NRW, habe immer ein offenes Ohr für sie gehabt und Anteilnahme gezeigt. Aber die SPD-Politikerin ist inzwischen abgewählt.
Die Politik hat auf das Unglück reagiert: Das Luftverkehrsgesetz sieht nun strengere Alkohol- und Drogentests vor. Und in der flugmedizinischen Datenbank werden neuerdings auch personenbezogene, nicht nur anonymisierte Daten gespeichert. Deutsche Fluggesellschaften hatten außerdem kurz nach dem Unglück zur gegenseitigen Kontrolle eine Zwei-Personen-Regel für das Cockpit eingeführt. Doch die wurde inzwischen rückgängig gemacht - weil sie, wie es hieß, die Flugsicherheit nicht erhöhe. Noack kann das nachvollziehen, weil es gar nicht genügend Personal dafür an Bord gebe. "Alles Quatsch und Augenwischerei", sagt er.
Erneuter Gang an die Öffentlichkeit
Die Hälfte der Opfer waren Deutsche. Die anderen kamen aus mehr als einem Dutzend Länder. Im Ausland würden sich viele dieselben Fragen stellen und Unterstützung anbieten, berichtet Noack und nennt konkret den Iran. Dort sei das Unglück noch immer ein öffentliches Thema, weil ein landesweit bekannter Sportjournalist dabei starb. Generell seien die Angehörigen gut vernetzt, so Noack, besonders die deutschen Opfer-Familien, von denen viele in Nordrhein-Westfalen leben. Doch irgendwann sei der Punkt erreicht gewesen, an dem sie nochmal an die deutsche Öffentlichkeit gehen wollten.
Ausbrechen aus dem Gefühl des Alleingelassenseins - gelingen soll das über eine breit gestreute Petition: Seit Anfang August suchen sie über die Netzplattform "change.org" Unterstützer. Auch an den Petitionsausschuss des Bundestages hätten sie Ende Juli per Briefpost ihre Petition geschickt, berichtet Noack, ebenso an das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen und den Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff; der habe ihm einmal bei einer öffentlichen Veranstaltung Hilfe und Unterstützung versprochen. Vom Bundestag habe er noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung erhalten.
Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht?
Es ist nicht einfach, dass Thema Germanwings-Absturz nach so langer Zeit wieder auf die Agenda zu bringen. Bei change.org haben sich bislang nur knapp 7000 Unterstützer registriert. Noack ist enttäuscht, hat aber eine Erklärung dafür parat. Eine Petition über das Verbot von Pferdekutschen auf Berliner Straßen habe innerhalb von vier Wochen mehr als 100.000 Unterstützer gefunden. Das sei typisch, sagt er. Gut zu Tieren wolle jeder sein. Doch bei konkreten Dingen, die vielleicht auch den eigenen Alltag infrage stellen, gebe es viele Scheuklappen, vermutet Noack. Ungern wollten die Leute daran erinnert werden, unter welchen Umständen man so billig in den Urlaub fliegen könne. Dabei sei das Thema Flugsicherheit hoch relevant.
Es brauche vor allem neue Regeln für Ausnahmen von der ärztlichen Schweigepflicht, fordert Noack in der Petition. In Frankreich gebe es eine neutrale Instanz, an die sich Ärzte wenden können, wenn sie Dritte in Gefahr sehen. So eine übergeordnete Stelle gibt es in Deutschland bislang nicht; hier können nur Behörden informiert werden.
Beim Bundestagsausschuss nicht online
Auf der Website des Petitionsausschusses des Bundestags ist die Petition noch nicht zu finden. Dort darf laut Artikel 17 des Grundgesetzes jeder Bürger eine Bitte oder eine Beschwerde einreichen und entscheiden, ob die Petition zur öffentlichen Diskussion freigegeben werden soll. Reagieren muss der Ausschuss auf jeden Fall. Nur wann? Eine Anfrage der DW zum Stand der Bearbeitung - laut Noack ging der Brief Ende Juli raus - wurde nicht vom Ausschuss, sondern von der Pressestelle des Bundestages beantwortet. Der Ausschuss selbst, so hieß es, dürfe keine Presse-Anfragen beantworten.
Eine konkrete Auskunft war aber auch von der Pressestelle - zumindest bislang - nicht zu bekommen. Nur ganz allgemein wurde darauf hingewiesen, dass sich die Legislaturperiode dem Ende neige und deshalb wohl das "Prinzip der Diskontinuität" zum Tragen käme. Das bedeutet zumindest im Kontext von Gesetzesvorhaben, dass alles, was bis zum Wahltermin am 24. September nicht in trockenen Tüchern ist, im Papierkorb landet. Darüber informiert, reagiert Noack wenig überrascht. Ihn wundere das gar nicht.
Vorbild Love-Parade-Petition
Gegenüber einer Bundestagspetition erlaube eine Petition bei ihnen mehr Vernetzung, gerade auch durch Social-Media, heißt es bei change.org. Dies könne stärkeren Rückenwind für politische Forderungen erzeugen, erklärt Sebastian Schütz vom in Berlin ansässigen Kampagnen-Verein. Bestes Beispiel dafür sei die Petition der Angehörigen der Love-Parade-Opfer von 2010. Auch mittels der 350.000 Unterschriften unter ihrer Online-Petition hätten sie im Frühjahr 2017 eine neue Untersuchung erwirken können.