Gert Hofmann: "Der Kinoerzähler"
7. Oktober 2018"Zur Großmutter soll der Großvater einmal gesagt haben: 'Tatsächlich, ich kann die Welt ohne das Kino nicht mehr aushalten!'"
Die große Tragik des Großvaters im Roman Gert Hofmanns ist das Ende der Stummfilmära. Der Großvater ist Kinoerzähler, ein Beruf, der eigentlich schon ein paar Jahre vor Aufkommen des Tons überflüssig ist. Schließlich gibt es Zwischentitel. Ein Mensch, der vorne im Halbdunkel vor der Leinwand steht, mit seinem Stock auf die Figuren zeigt und dem Publikum erklärt, was da gerade genau vor sich geht, das ist schon Ende der 1920er Jahre ein Anachronismus.
Richtigerweise hätte der Großvater demnach sagen müssen: Tatsächlich, ich kann die Welt ohne den Stummfilm nicht mehr aushalten.
Der Kinoerzähler ist ein liebevoller Kauz
Gert Hofmann erzählt in seinem Roman "Der Kinoerzähler" aus der Perspektive des Enkels: naiv, mit der Unschuld der Jugend, aber doch auch reflektiert, ironisch und pointiert. Schließlich war es der damals knapp 60jährige Romancier Gert Hofmann, der 1990 in die Rolle des Erzählers schlüpfte und das literarische Porträt seines Großvaters zu Papier brachte: "In memoriam Karl Hofmann, 1873 - 1944, Kinoerzähler" heißt es zu Beginn des Buches.
"Der Großvater war 'allgemein begabt, aber das führt zu nichts'."
Der Großvater ist ein Kautz und Schwerenöter, ein sächsischer Grantler - die Romanhandlung spielt in der sächsischen Provinz, in Limbach, dort, wo auch Gert Hofmann geboren wurde. Ein Künstler ohne Talent - wenn man vom Talent absieht, sich für einen Künstler zu halten. Ein Sprücheklopfer ist der Großvater auch, der lieber mit Frau Fritsche ausgeht als mit der Großmutter: "Der Geist ist willig, doch das Bett ist warm!"
Und so begleitet der Leser Großvater und Enkel ins Jahrzehnt, als die Nationalsozialisten ans Ruder kommen in Deutschland. Zunächst erhofft sich der Großvater etwas von den neuen braunen Herrenmenschen in Deutschland, doch für einen folgsamen Parteigänger entpuppt er sich als zu widerborstig, zu eigensinnig. So ist er doch vielleicht ein richtiger Künstler, wenn auch nur ein Lebenskünstler.
Gert Hofmanns Roman ist vieles: ein schöner Führer durch die Stummfilmgeschichte, ein Provinz-Roman, ein Buch über einen entscheidenden Wendepunkt in der deutschen Geschichte und nicht zuletzt das liebevolle Porträt eines schwierigen, aber unbedingt sympathischen Charakters.
Der Roman blickt in die Zukunft der Unterhaltungsindustrie
Und dann gewährt "Der Kinoerzähler" auch noch einen kühnen Blick in die Zukunft der Unterhaltungsindustrie im Zeitalter des Internets, wenn er den Besitzer des Kinos "Apollo", jenes Lichtspieltheaters, in dem der Großvater Dienst tut, ausrufen lässt:
"Ich bin ein Getriebener in dieser Welt, besonders in diesen Tagen, aber so viel kann ich Ihnen sagen: Die Unterhaltungsmöglichkeiten werden ins Unermeßliche wachsen und nicht wiederzuerkennen sein, schrie Herr Theilhaber über die Bismarckstraße, und alle riefen: Wie herrlich! Wie phantastisch! Wie wunderschön!"
Der Großvater wird diese Zeit nicht mehr miterleben. Ein Jahr vor Kriegsende wird das "Apollo" in Schutt und Asche gelegt, und mit ihm stirbt auch der Großvater. Doch hat er zumindest in einem Bereich seinen Frieden mit der Welt gemacht:
"Einmal sagte der Großvater: Die meisten Filme, die es gibt, habe ich nun gesehen. Ich erinnere mich an alle. Das war eigentlich das schönste in meinem Leben. Jetzt kann nicht mehr viel kommen."
Gert Hofmann: "Der Kinoerzähler" (1990), Hanser Verlag
Gert Hofmann wurde 1931 im sächsischen Limbach geboren. 1951 ging er in den Westen und schrieb zunächst Hörspiele und Theaterstücke. Außerdem nahm er zahlreiche Lehraufträge an in- und ausländischen Universitäten an. Ab Ende der 1970er Jahre veröffentlichte er auch zahlreiche Erzählungen und Romane. Hofmann starb 1993 in München. Regisseur Bernhard Sinkel verfilmte das Buch 1992/93 u.a. mit Otto Sander (unser Artikelbild) und Armin Müller-Stahl.