Alltag im Jemen
19. Februar 2009In der Küche, in der die Aushöhlungen der alten Feuerstellen mit einer langen Glasplatte tischartig belegt sind, häufen sich die Vorräte. Iman, die Haushaltshilfe, steht am Waschbecken und begrüßt mich an meinem ersten Morgen auf Englisch. Sie stammt aus Somalia, ist mit ihrer Familie in den Jemen geflüchtet, als der Bürgerkrieg in ihrem Land ausbrach. Wie alt sie damals war, weiß sie nicht genau. Fünfzehn vielleicht. Einen Kilometer von der Küste entfernt zwangen die Schlepper damals alle Insassen, ins Meer zu springen und an die Küste zu schwimmen.
"Viele sind ertrunken", erzählt Iman, "das einzige, woran ich mich wirklich erinnere, ist meine Angst." Seitdem lebt sie in Sanaa und es gefällt ihr. Sie hat schon viele Europäer durch dieses Haus wandern sehen, meist Entwicklungshelfer. Iman trägt eine graue Wolljacke, Turnschuhe, eine weite Hose und eine Mütze. Wo ich Brot kaufen könne, frage ich. Da hat sie die Gummihandschuhe schon ausgezogen und ist im Treppenhaus verschwunden, um mir die Brötchen zu besorgen. Ich sage: "Nein, ich kann das selbst!" Aber sie antwortet: "Du weißt doch nicht wo", und ist weg.
"Im Jemen brauchst du nur drei Wörter"
Fünf Minuten später ruft sie aus dem Treppenhaus: "Nicht erschrecken!" Dann taucht sie völlig in schwarz gekleidet, nur die Augen sind hinter dem Stoff zu sehen, in der Küche auf und lacht. Sie gibt mir Roggenbrötchen, die noch heiß sind, verschwindet und steht wenig später wieder mit grauer Wolljacke an der Spüle.
"Ob ich Arabisch spreche?" will sie wissen. "Nein", erwidere ich. "Das ist aber sehr einfach", antwortet sie. "Mein Onkel hat einmal, nachdem er einige Jahre hier war, Freunde in Somalia besucht und die haben ihn auch gefragt, ob er nun Arabisch spreche, worauf er geantwortet hat: Im Jemen brauchst du nur drei Wörter. Das erste ist ein Fragewort: 'Arbeit?' Die beiden anderen braucht man, um die Antwort zu verstehen: 'Ja' und 'Nein'." Viele ihrer Landsleute lebten in Flüchtlingscamps, sagt Iman, zwar nehme der Jemen alle Somalier, die es hierher schafften auf, aber danach müsse man sehen, wie man klar komme.
Eine große Moschee gegen die Armut
Tatsächlich versuchen sich auch viele Jemeniten mehr schlecht als recht durchzuschlagen, stehen tagelang mit Werkzeugen am Straßenrand vor dem Bab al Jemen, jenem Tor in die Altstadt, und warten auf einen Tagesjob, haben zehn Sakkos um die Schultern hängen, sind Verkäufer und Kleiderständer zugleich, bieten gebrauchte Krummdolche an. Frauen und Kinder betteln an jeder Straßenkreuzung oder versuchen Papiertaschentücher loszuwerden.
Der Jemen zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Trotzdem hat der Präsident eine zusätzliche Moschee errichten lassen, die größer und protziger nicht sein könnte. Aber wie man sich auf den Straßen Sanaas erzählt, soll er den Bau aus eigener Tasche bezahlt haben.
"Wir brauchen eine ordentliche Infrastruktur in den Krankenhäusern", sagt Mohammed, in dessen Taxi ununterbrochen Koranverse aus dem Kassettenspieler durch die geöffneten Fenster flirren. "Das Bildungssystem ist schlecht. Wenn ich in die Moschee gehe, dann in die meines Viertels."
"Sie kauen wie die Ziegen"
Am Straßenrand hocken Händler unter Sonnenschirmen, verkaufen Batterien, Haushaltswaren, Uhren. Ihre rechte Wange ist von Qatblättern ausgebeult, als hätten sie einen Tennisball darin gelagert. "Sie kauen wie die Ziegen", ärgert sich Mohammed. "Was soll das bringen? Anstatt ihren Kindern Fleisch und Obst zu kaufen, verpulvern sie fast den ganzen Tageslohn für diese Blätter, die ihnen ein wenig Euphorie verschaffen." Er drückt auf die Hupe, aber da ist kein Weiterkommen. "Was denkt Deutschland von so einem Land", fragt Mohammed, dreht gleichzeitig den Kassettenspieler lauter, als erwarte er keine Antwort von mir.
"In Deutschland wissen die meisten Menschen nicht einmal wo der Jemen liegt", rufe ich, "und wenn dein Land im Fernsehen erwähnt wird, dann nur weil hier jemand entführt wurde." Mohammed schüttelt den Kopf. "Ja, die Entführungen", schreit er zurück, "das sind alles Wilde, die so etwas machen. Sie haben ein gutes Land und wissen nichts damit anzufangen. Ich schimpfe viel auf meine Heimat, aber wenn Menschen wie du hier sind und mir ihre Augen ausleihen, sehe ich auch, wie schön es hier ist."
"Tourismus wäre gut für den Jemen", fährt er fort, "aber sie zerstören ihn schon im Ansatz durch solche Dummheiten. Es gibt überall schlechte Menschen. Was die Israelis jetzt wieder im Gazastreifen veranstalten, ist doch auch widerlich. Deshalb lieben viele Araber Hitler, weißt du, weil der mochte die Juden auch nicht." "Nicht wieder Hitler!", schreie ich. Er versteht.
Vor uns winkt ein Polizist unsere Autoschlange vorwärts, aber da die Wagen der Querstraße die Durchfahrt verstopfen, begnügt sich Mohammed damit, so nahe wie möglich an die Seitentür des vor ihm stehenden Wagens heranzufahren und erneut zu hupen.
Schattenboxen von Ignoranten
Zu meinem Treffen mit Abdul, dem Imam einer Moschee im Norden Sanaas, komme ich fast eine Stunde zu spät, was ihn aber nicht sonderlich aufregt. Auf mein mehrmaliges Entschuldigen hin, hebt er schließlich die Hand und sagt: "Bist du deswegen zu mir gekommen, um dich zu entschuldigen." Ich lache, antworte, dass ich nicht auf ihn gewartet hätte, wäre er so viel zu spät gekommen wie ich jetzt. "Du lebst auch nicht im Jemen", erwidert er. Eine Seite des Wohnzimmers schmückt eine stattliche Bibliothek, größtenteils Schriften religiösen Inhalts, Predigten berühmter Männer, aber auch Literatur, Gedichte.
Was er von den Menschen hält, die Religion und Terrorismus in Einklang bringen, will ich wissen. "Nichts", sagt er, "sie sind auf dem Irrweg und handeln wider Allah. Es ist eine Minorität, die dem Islam in den letzten Jahren so viel geschadet hat, wie das vor ihnen nie jemand geschafft hat. Sie sind dafür verantwortlich, dass der Westen plötzlich Angst vor einer Religion hat, deren Gläubige einfach nur gute Menschen sein wollen genau wie Ihr Christen."
Der Kampf der Kulturen, fährt er fort, sei ein "Schattenboxen von Ignoranten". Nur wer nichts vom anderen wisse, sehe in ihm eine Bedrohung. Und leider wüssten beide Seiten nichts vom anderen und begnügten sich mit Vorurteilen.
Autoren ohne Bücher
Das bestätigt mir anderntags die Aussage des jemenitischen Schriftstellerverbandes: Kein Autor wolle mich treffen und die Literaturkonferenz im Deutschen Haus werde man boykottieren, weil weder die deutsche Bevölkerung noch die Intellektuellen Position im Gazakonflikt bezogen hätten. Eine Groteske.
In Deutschland waren in allen großen Städten Demos und zumindest ich, als deutschsprachiger Autor, habe jeden Tag über die israelischen Angriffe diskutiert, mit Händlern, mit Schriftstellern, mit Zeitungsverkäufern. Zum Glück dachten nicht alle jemenitischen Autoren wie ihr Verband: Said, mit dem ich in einem äthiopischen Restaurant Kaffee trinke, sagt, es sei für die hiesigen Schriftsteller schon schwer genug. Im Moment gebe es nicht einmal eine Druckerpresse und deshalb auch keine neuen Bücher. Da sollte man zumindest über Texte reden. Von ihm erfahre ich, dass es im Jemen kein Verlagswesen gibt, keinen Vertrieb. Alle Romane, Erzählungen, Lyrikbände erscheinen im Selbstverlag.
"In Deutschland ist es leicht, mit Literatur viel Geld zu machen", sagt Said. Da muss ich leider widersprechen. Die Konferenz fand schließlich doch statt, kleiner als geplant, dafür wurde umso intensiver diskutiert. Ein guter Anfang.
Guy Helminger, geboren 1963, ist luxemburgischer Schriftsteller, der vornehmlich auf Deutsch schreibt. Im Rahmen des 'LiteraturenTreffen – Symposiums' 2009 und mit Unterstützung der Deutschen Botschaft Sanaa und des Goethe-Instituts war der deutsch-luxemburgische Schriftsteller Guy Helminger vom 28.12.2008 - 27.01.2009 zu Gast beim Deutschen Haus Sanaa und Aden – dem deutsch-jemenitischen Kulturzentrum. Bereits 2007 reiste Helminger im Rahmen des Projektes West-östlicher Diwan nach Teheran. Über seinen Aufenthalt dort bloggte er für die Deutsche Welle. Sein letzter Roman ist bei Suhrkamp unter dem Titel "Morgen war schon" erschienen.