Gesellschaftsspiele trotzen Wirtschaftskrise und digitaler Konkurrenz
4. Februar 2010DW-WORLD.DE: Ob auf dem PC oder auf den Spielekonsolen – die digitalen Welten des Computerspiels haben längst Einzug gehalten in die deutschen Kinder- und Wohnzimmer. Ist das klassische Brettspiel zum Aussterben verurteilt?
Bernhard Löhlein: Keineswegs, Brettspiele werden immer noch gespielt - und das mit größter Begeisterung. Mehr denn je, kann man sagen. Das hat jetzt auch wieder die "Fachgruppe Spiel" im Vorfeld der Spielwarenmesse in Nürnberg festgehalten: Vielleicht liegt es ja daran, dass wir momentan finanziell eine kleine Krise erleben. Viele Menschen können sich große Reisen nicht mehr leisten; sie suchen sich eine Freizeitbeschäftigung, bei der man miteinander zu Hause etwas machen kann. Und da ist das klassische Gesellschaftsspiel wieder ganz oben dran.
Was ist denn bei herausragenden "analogen" Spielen das Alleinstellungsmerkmal, der Mehrwert gegenüber einem Computerspiel?
Bei einem Brettspiel schlüpfe ich ja - ähnlich wie bei einem Computerspiel – in eine Rolle hinein: Ich bin entweder ein Ritter oder irgendeine andere fantastische Figur. Aber mein Gegenüber, das ist ein Bildschirm. Beim Brettspiel ist mein Gegenüber ein Mitspieler. Mit dem kann ich lachen, mich ärgern und muss Herausforderungen zum Teil gemeinsam meistern. Da passiert etwas, da hat man Spielstände zum Anfassen, da kullert eine Kugel runter, da lacht man miteinander. Das alles gelingt bei einem Computerspiel nicht. Das ist das eine. Und das andere ist, dass bei einem Brettspiel verschiedene Generationen zusammenkommen: die Mutter mit ihren Kindern, Großeltern mit ihren Enkelkindern, alle kommen zusammen und spielen am Tisch. Kein anderes Freizeitmedium schafft das.
Gibt es Berührungspunkte von digitalen und analogen Spielewelten?
Ins Computerspiel umgesetzt wird ja eigentlich alles, was erfolgreich ist. Ob das eine Fernsehsendung ist, Kinofilm, Buch – oder eben auch ein Brettspiel. Irgendwann wird es zum PC-Spiel, weil man sich da ja auch große finanzielle Erfolge erwartet. Dass PC-Elemente in ein Brettspiel gelangen, ist eher selten der Fall. Die Verlage versuchen das zwar seit einiger Zeit, richtig erfolgreich und gelungen aber erst mit dem "Kinderspiel des Jahres 2008": "Wer war’s?", da ist ein kleiner Computerchip dabei. Kinder werden hier durch ein Schloss geführt werden, wo sie Tiere finden und fragen müssen: "Wo brauche ich etwas, um etwas anderes wieder abgeben zu können?" Und das macht alles dieser kleine Computerchip. Aber das ist so nett und so interessant aufgearbeitet worden, dass richtig Spannung auf dem Spielbrett entsteht. Vor allem ist es ein kooperatives Spiel: Die Kinder spielen miteinander gegen die Schachtel, also gegen das Computerelement, und gewinnen gemeinsam. Oder verlieren eben gemeinsam.
Und dann können Brettspiele digital auf unterschiedlichen Internetseiten nachgespielt werden, allerdings eins zu eins; also nicht mit neuen Grafiken oder neuen Spielelementen. Man spielt dann einfach am Computer mit einem anderen Mitspieler im Internet. Man tauscht sozusagen den gemeinsamen Tisch gegen den Bildschirm.
Nun gibt es ja aus dem Etat des Kulturstaatsministers eine finanzielle Förderung für Computerspiele, aber nicht eben für analoge Brettspiele. Warum?
Das habe ich mit großem Schrecken festgestellt. Die Computerspielbranche wird nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ideell von der Politik gefördert. Wir, die Jury vom "Spiel des Jahres", fragen uns schon seit längerem, warum nicht das Original gefördert wird. Wenn man schon dafür sorgen will, dass Menschen im Umgang besser miteinander zurechtkommen, dann ist doch das klassische Gesellschaftsspiel das Aushängeschild dafür. Da sind wir jetzt tätig und in der Politik vorstellig geworden. Ein kleiner Teilerfolg ist uns gelungen, wir haben jetzt die Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Köhler als Schirmherrin gewonnen für die Verleihung des "Kinderspiel des Jahres" im August 2010. Das ist aber erst ein Anfang. Wir wollen hier weiter politisch aktiv werden und eine Förderung für das klassische Gesellschaftsspiel erreichen.
Das Gespräch führte Michael Gessat
Redaktion: Michael Borgers