Gestresstes Königreich
5. Januar 2015Die Lungenentzündung ist behandelt worden, der Zustand des Monarchen hat sich wieder stabilisiert. Vorerst wird Abdullah bin Abdul Aziz al-Saud weiter an der saudischen Staatsspitze stehen. Doch wie lange wird der 90 Jahre alte König noch in der Lage sein, die Amtsgeschäfte de facto oder nominell noch zu führen? Die Nachfolgefrage steht jedenfalls im Raum - und fällt in eine Zeit, in der Saudi-Arabien vor gewaltigen innen- wie außenpolitischen Herausforderungen steht.
Da ist einmal das nationale Budget. Aufgrund des gefallenen Ölpreises sind die Einnahmen gesunken. Trotzdem will Saudi-Arabien seine Ausgaben erhöhen: Knapp 230 Milliarden US-Dollar will das Königreich dieses Jahr investieren. Das ist erheblich mehr als es bisherigen Schätzungen zufolge einnehmen wird - sodass Saudi-Arabien sich im laufenden Jahr einem Defizit von knapp 39 Milliarden US-Dollar gegenübersieht. Das Minus kann das Land aufgrund seiner gewaltigen Reserven zwar ohne größere Schwierigkeiten verkraften. Trotzdem ist es das größte Defizit in der saudischen Geschichte.
Folgen der Arabellion
Ein Großteil dieser Summe wird für Sozialausgaben verwandt. Seit dem Beginn der Arabellion in den Nachbarstaaten im Jahr 2011 gibt die saudische Regierung massiv Geld aus, um einen Volksaufstand im eigenen Land zu verhindern. Investiert wird in Programme, die Arbeitslose und die zu Teilen in prekären Verhältnissen lebende Mittelschicht zu unterstützen. Ebenso hat die Regierung die Bezüge der rund zwei Millionen direkt oder indirekt beschäftigten Staatsdiener angehoben.
Mit den massiven Investitionen kauft sich das Königshaus vor allem Ruhe im Inneren. Bislang gingen die Aufstände an Saudi-Arabien fast spurlos vorbei - nur wenige Bürger haben bislang Anlass, sich aus ökonomischen Gründen gegen die Monarchie zu wenden.
Dennoch gärt es in Saudi Arabien. Seit dem Frühjahr 2011 hat das Königshaus 60.000 Stellen im Sicherheitssektor geschaffen - ein Hinweis darauf, dass man Unruhen oder Anschläge zumindest für möglich hält.
Terroristische Herausforderung
Vor allem wappnet sich der Staat gegen Terror durch sunnitische Extremisten. In ihren Augen hat sich das saudische Königshaus durch die wirtschaftliche, mehr aber noch die militärische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von islamischen Prinzipien entfernt. Damit habe es auch seine politische Legitimation verspielt.
Kaum hatte sich der König erholt, musste er Anfang der Woche (05.01.2015) erfahren, dass Terroristen des "Islamischen Staats" von irakischem Gebiet aus zwei saudische Grenzbeamte getötet hatten. Und bereits am 3. November 2014 - dem Tag des allen Muslimen heiligen Ashura-Festes - hatten radikale Sunniten in der Kleinstadt Al-Dawah sieben saudische Schiiten getötet und rund ein Dutzend verletzt. So scharf wie nie hatte die saudische Staatsspitze darauf hin den Anschlag verurteilt. Sie fürchtet konfessionelle Spannungen.
Grund dazu hat sie. Denn zwei Wochen zuvor hatte ein saudisches Gericht den schiitischen Geistlichen Nimr Bakir al-Nimr zum Tode verurteilt. Ihm war vorgeworfen worden, zur Gewalt zwischen den Konfessionen aufgerufen zu haben. Das Urteil war international kritisiert worden. Es heize, so die Sorge, die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten zusätzlich an.
Konkurrenz durch den Iran
Außenpolitisch sieht sich das Königreich vor allem durch den Iran herausgefordert. Das Regime in Teheran hat seine regionale Machtstellung in den vergangenen Jahren systematisch ausgebaut - was auch bedeutet, dass es für die USA zu einem wichtigen Ansprechpartner geworden ist. Zwar existieren noch keine offiziellen Gespräche. Klar ist aber, dass die Regierungen Washington und Teheran ein starkes gemeinsames Interesse haben: nämlich den "Islamischen Staat" zurückzudrängen.
Dieses Anliegen teilen sie zwar mit der saudischen Führung. Doch während Saudi-Arabien seit Beginn der Aufstände in Syrien auf einen Sturz Bashar al-Assads hinarbeitet, ist der Iran einer von dessen treuesten Verbündeten. Die Führung in Teheran verfügt über beste Kontakte nach Damaskus. Dadurch ebenso wie durch die guten Beziehungen zur schiitischen Regierung im Irak kommt dem Iran im Kampf gegen den IS eine Schlüsselfunktion zu.
Saudi-Arabien - wo eine konservative Form des sunnitischen Islam Staatsreligion ist - sah sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, den sunnitischen Extremismus und Dschihadismus zumindest ideologisch gefördert zu haben. In diesen Verdacht konnte der schiitische geprägte Iran niemals geraten. Zwar fördert der Iran die von der EU zur Terrororganisation erklärte libanesische Hisbollah, die derzeit an der Seite Bashar al-Assads gegen die Aufständischen kämpft. Doch anders als der IS stellt die Hisbollah keine direkte Gefahr für die Sicherheit der westlichen Staaten dar. Zudem erhofft man sich von Iran einen mäßigenden Einfluss auf Hisbollah - was dessen Position zusätzlich stärkt.
Alte Partner, neue Prioritäten
Dies umso mehr, als sich im Westen derzeit die Prioritäten verschieben: Als wesentliche Gefahr gilt nicht mehr so sehr das Assad-Regime als vielmehr der globale Dschihad und an seiner Spitze der IS. An dessen Aufstieg mag das Regime Bashar al-Assads wesentlichen Anteil haben, indem es führende Dschihadisten zu Anfang des syrischen Aufstands aus dem Gefängnis entließ. Die Folge: Den größten Teil ihrer militärischen Energie konzentriert die Internationale Gemeinschaft nun darauf, den IS zu bekämpfen. Auf den Iran kann sie dabei kaum verzichten.
Der Umstand, dass der Iran außerdem erheblichen Einfluss auf die Schiiten in Bahrain und im Jemen hat, macht ihn für die Staatengemeinschaft zusätzlich interessant. All dies geht auf Kosten von Saudi-Arabien, das sich unter den arabischen Staaten bislang einer privilegierten Beziehung zu den USA erfreute. Die inzwischen wieder deutlich verbesserten Beziehungen zu Ägypten machen diesen Bedeutungsschwund kaum wett.
Saudi-Arabien sieht bewegten Zeiten entgegen. Kommt es zu einem Wechsel auf dem Thron in Riad, müsste sich Abdullahs Nachfolger seine Staatskunst an vielen Fronten zugleich beweisen.