Gesundheitssysteme im Vergleich
23. März 2010Nicht nur in Deutschland führt die Diskussion über eine Reform des Gesundheitssystems regelmäßig zu hitzigen Wortgefechten. Politische Ideologien treffen beim Streit um die Umsetzung aufeinander. Barack Obama hat am Dienstag (23.03.2010) seine Unterschrift unter das umstrittene Gesundheitsreformpaket gesetzt, das noch vom Senat beschlossen werden muss. Die Republikaner bezeichnen es als "sozialistisch" und wollen dagegen klagen.
Die konservativen Kritiker stören sich unter anderem an der Sondersteuer für Besserverdienende, die ab 2018 erhoben werden soll, um die immensen Kosten der Reform von geschätzten 940 Milliarden Dollar (knapp 700 Milliarden Euro) wenigstens etwas abzufedern. 32 Millionen Amerikaner konnten oder wollten sich bisher keine private Krankenversicherung leisten. Mit dem neuen Gesetz sind sie dazu verpflichtet, als Strafe droht ein Steuerzuschlag von bis zu 2,5 Prozent. Die privaten Krankenversicherer dürfen Kunden nicht mehr wegen Vorerkrankungen ablehnen. Der Staat gibt vor, dass Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern eine Gesundheitsvorsorge anbieten müssen. Tun sie es nicht, müssen 2000 Dollar pro Vollzeitarbeiter gezahlt werden. Und den Versicherern wird vorgeschrieben, den Großteil ihrer Einnahmen in die medizinische Versorgung zu investieren. Eine staatliche Krankenversicherung aber wird es vorerst nicht geben. Das US-Gesundheitssystem bleibt privat.
Auch frühe Vorreiter müssen nachbessern: Chile
Anfang der achtziger Jahre führte die Militärregierung in Chile ein zweigliedriges Krankensystem mit einem öffentlichen Gesundheitsfonds ein. In den FONASA (nationaler Gesundheitsfonds) zahlten alle Arbeitnehmer ein. Das Geld ging an die Kommunen, die eine Krankengrundversorgung sicher stellten. Daneben wurden private Krankenversicherer zugelassen. Dieses System war zwanzig Jahre später durch lange Wartezeiten und teure Behandlungskosten bei hoher Selbstbeteiligung untragbar geworden.
2005 trat der Plan AUGE in Kraft. AUGE steht für "Umfassenden Zugang mit ausdrücklichen Garantien". Der Plan passt das Gesundheitssystem aus den Achtzigern an die neuen Realitäten an. Er will die Behandlung einer Krankheit innerhalb von zwei Monaten nach der Diagnose garantieren. Auch eine Begrenzung der hohen Selbstbeteiligung sollte mit der Reform erreicht werden. Bisher beziehen sich diese Regelungen jedoch nur auf bestimmte Erkrankungen, die die Regierung in einer Liste zusammengefasst hat und die bis heute mehr als 65 Krankheiten einschließt. Krebserkrankungen und die Volkskrankheiten Diabetes und Bluthochdruck zählten von Beginn an dazu, hinzu kamen psychische Erkrankungen. Auch unter dem neuen Präsidenten Sebastian Pinera wird die Reform fortgeschrieben und die Liste erweitert werden müssen.
Indonesien und Südafrika: Die Krankenversicherung für alle noch in weiter Ferne
Der vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Infodienst Germany Trade and Invest gab Anfang des Jahres in seinem Branchenreport "Medizintechnik – Indonesien" bekannt, dass Mitte 2009 115 Millionen Indonesier am öffentlichen Krankenversicherungsprogramm für ärmere Bevölkerungsschichten teilnahmen. Es handelt sich um einen Fonds, in den der Staat pro Person und Monat 50 Cent einzahlt. Er legt zudem fest, welche Behandlungen damit finanziert werden. 115 Millionen Menschen - das entspricht der Hälfte der Einwohner des Inselstaates. Bis 2013 will die Regierung allen Einwohnern einen Krankenversicherungsschutz ermöglichen.
Noch gravierender ist die Situation in Südafrika. Nur etwa 13 Prozent der 49 Millionen Einwohner sind krankenversichert. Das berichtet der Infodienst Germany Trade and Invest in seinem Marktreport über das südafrikanische Gesundheitssystem. Das zuständige Department of Health (DoH) plane, Steuern in eine nationale Krankenversicherung fließen zu lassen, um damit eine bessere Versorgung für mehr Menschen herzustellen. "Die gegenwärtigen Probleme des Gesundheitssektors resultieren unter anderem daraus, dass es seit dem Ende der Apartheid 30 Millionen neue potenzielle Kunden gibt. Das auf maximal acht Millionen mögliche Patienten ausgerichtete System konnte das nicht verkraften", heißt es beim Außenwirtschafts-Informationsdienst.
Finanzierung mit großem Steueranteil in Schweden und Israel
In Schweden beschäftigen die Provinzregierungen sich fast ausschließlich mit einem Thema: Der Gesundheitsversorgung. Denn sie sind zugleich Träger und Betreiber der kommunalen Krankenhäuser und poliklinischen Gesundheitszentren. Die Gesundheitsausgaben belaufen sich im Königreich auf ungefähr neun Prozent des Bruttoinlandproduktes. Wie das staatliche Schwedische Institut in einer Infobroschüre zum Gesundheitswesen bekannt gibt, werden 71 Prozent aus Steuern finanziert, wobei die Provinziallandtage eine Einkommenssteuer von durchschnittlich elf Prozent erheben. Der Rest kommt über staatliche Beihilfen und Patientengebühren bei Arzt- und Krankenhausbesuchen zusammen.
Auch in Israel wir das Krankenversicherungssystem zu 71 Prozent über Steuern finanziert. Das geht aus der Publikation "Gesundheitspolitik in Industrieländern" der Bertelsmann Stiftung hervor. Das Nationale Versicherungsinstitut zieht eine Gesundheitssteuer ein, davon werden rund 25 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben bestritten. Hinzu kommen allgemeine Steuermittel, die das Versicherungsinstitut ebenfalls verwaltet. Es weist den vier öffentlichen Krankenkassen gemäß Anzahl, Alter und Geschlecht ihrer Versicherten Geldmittel zu. 70 Prozent der Israelis nutzen daneben die Zusatzangebote privater Anbieter. Bei Facharztbesuchen und bei einigen Medikamenten müssen sie außerdem zuzahlen.
Ein öffentliches System unter Kostendruck: Japan
Es "wächst auch in Japan der Druck, die zu mehr als 81 Prozent öffentlich finanzierten Gesundheitskosten einzudämmen", schreibt der Wirtschafts-Infodienst German Trade and Invest. Die Beratungsfirma McKinsey schätzt, dass die Gesundheitskosten bis 2035 auf 13,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ansteigen könnten. Das Land mit der höchsten Lebenserwartung verfügt über ein nationales Krankenversicherungssystem.
Arbeitnehmerversicherungen und kommunale Versicherungen sichern die Japaner ab. Sie bieten allen die gleichen Leistungen. Wie in Deutschland übernehmen Arbeitgeber 50 Prozent des Versicherungsbeitrags. Doch die Patienten zahlen rund ein Drittel bei stationärer oder ambulanter Behandlung und bei verschriebenen Medikamenten hinzu. Senioren tragen nur zehn Prozent der Behandlungskosten. Eigentlich müssten auch Kinder 20 Prozent zuzahlen, doch viele Städte und Kommunen übernehmen diese Kosten um Bürger anzulocken.
Das Gesundheitssystem der Niederländer: 2006 reformiert
Mit der Gesundheitsreform aus dem Jahr 2006 hat der niederländische Staat den privaten Gesundheitssektor gestärkt. "Staat: regelt nicht mehr alles", schreibt das Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport in einer Infobroschüre zur Reform. Der Staat legt lediglich die Rahmenbedingungen fest. So gilt für jeden Einwohner die Krankenversicherungspflicht, wer dagegen verstößt, muss mit einem Bußgeld rechnen.
Die Versicherer müssen Antragssteller in die Basisversicherung aufnehmen. Sie garantiert die medizinische Grundversorgung. Wer mehr absichern möchte, schließt Zusatzversicherungen ab. Versicherte mit niedrigem Einkommen, die die Krankenkassenbeiträge nicht zahlen können, haben die Möglichkeit, einen Versorgungszuschlag zu beantragen. Das Geld kommt aus einem Fonds. 6,5 Prozent des Einkommens, jedoch höchstens 2000 Euro jährlich, werden in den Fonds pro Angestelltem von den Arbeitgebern eingezahlt. Selbständige und Rentner müssen 4,4 Prozent aus eigener Tasche beisteuern.
Kein System gleicht dem anderen. Ähnliche Mechanismen werden mit unterschiedlichen Zielen angewandt. Doch eines ist allen vorgestellten Ländern gemein: die Tatsache, dass ein Gesundheitssystem immer wieder den Realitäten angepasst werden muss. Auch mit Reformen.
Autorin: Stefanie Zießnitz
Redaktion: Martin Schrader