Das WM-Wunder bleibt aus
6. Dezember 2013Es ist die brasilianische Vorstufe zum Paradies. Im Badeort Costa de Sauipe ist der Sand weiß und weich, und der Himmel und das Wasser tiefblau. Ein Idyll, in dem sich das Schwellenland Brasilien von seiner tropischen Seite zeigt. Und - ein Ort der Entscheidung: Hier wurden am Freitag die Gruppen für die Endrunde zur Fußball-Weltmeisterschaft ausgelost.
Doch im vermeintlichen Paradies herrscht alles andere als Harmonie. Die Verzögerung beim Bau der WM-Stadien ist nur eines von vielen Problemen, die im Luxusresort von Costa de Sauipe die Tagesordnung bestimmen.
"Es herrscht ein Klima des Misstrauens zwischen der brasilianischen Regierung und der FIFA", sagt der brasilianische Sportjournalist Juca Kfouri im Gespräch mit der DW. Als Beispiel führt Kfouri den jüngsten Streit über die Aufwendungen für Telekommunikation am Strand von Sauipe an. Die brasilianische Regierung wollte nichts davon gewusst haben, dass die Kosten für die weltweite Übertragung der Gruppenauslosung von ihr übernommen würden. Schließlich sah sich die FIFA dazu gezwungen, die Rechnung für Glasfaserkabel und Tele-Infrastruktur im Luxushotel zu begleichen.
Pessimistische Prognosen
Der Kolumnist der brasilianischen Tageszeitung "Folha de Sao Paulo" ist alles andere als optimistisch. "Die FIFA scheint die WM-Vergabe an Brasilien zu einem gewissen Grad zu bereuen", erklärt Kfouri. "Und wenn es wieder zu Massendemonstrationen kommt wie beim Confed-Cup, wovon ich ausgehe, dann wird Blatter es richtig bereuen".
Die Sorgen scheinen nicht ganz unberechtigt: Von den insgesamt zwölf WM-Stadien sind bisher erst sechs komplett fertiggestellt. Zu den positiven Beispielen gehören das Maracana in Rio de Janeiro sowie die Stadien in Belo Horizonte, Fortaleza, Salvador, Recife und Brasília. Schon jetzt ist somit abzusehen, dass die von der FIFA festgelegte Übergabe der WM-Stadien am 5. Januar 2014 nicht bei allen Spielorten eingehalten werden kann.
Am vergangenen Mittwoch (27.11.2013) ereignete sich ausgerechnet im WM-Eröffnungsstadion "Itaquerao" in Sao Paulo ein tragischer Unfall. Zwei Arbeiter kamen ums Leben, als ein Baukran beim Anheben eines 500 Tonnen schweren Metallgitters umstürzte. Auch Teile der Dachkonstruktion und der Tribüne wurden stark beschädigt. Dennoch soll die Arena rechtzeitig zum Eröffnungsspiel fertig werden, versicherten sowohl FIFA-Chef Joseph Blatter als auch Brasiliens Sportminister Aldo Rebelo tags darauf in der Presse.
"Die Braut kommt immer zu spät"
"Alle Stadien werden im Januar der FIFA übergeben", versicherte Rebelo am Mittwoch (5.12.2013) auf einer Pressekonferenz im Costa de Sauipe. Es gebe nichts, was die Ausrichtung der WM gefährden könne, stellte er klar - und bot einen Vergleich an: "Ich war noch nie auf einer Hochzeit, auf der die Braut pünktlich erschien, aber ich habe auch noch nie gesehen, dass deswegen jemals eine Trauung abgesagt worden wäre".
Der Architekt Valter Caldana macht für die Verzögerungen beim Bau der Stadien die häufige Übernahme von Ideen und Technologien aus dem Ausland verantwortlich. "Ein großer Teil der Pläne wurde von großen internationalen Projektbüros entworfen und musste erst einmal an die brasilianischen Gegebenheiten angepasst werden", erklärte der Professor für Architektur und Urbanismus an den Mackenzie Universität in Sao Paulo. "Ich finde es falsch, dass der brasilianische Staat dies erlaubt hat".
Caldana verwies darauf, dass beim WM-Eröffnungsstadium Itaquerao in Sao Paulo die Tragekonstruktion des Dachs von dem deutschen Ingenieurbüro Werner Sobek aus Stuttgart entwickelt wurde. Auch der umgestürzte Kran stamme aus Deutschland. Das Amazonas-Stadion in Manaus, bis jetzt zu 89 Prozent fertig gestellt, wird ebenfalls mit deutscher Hilfe errichtet: Die Pläne für die Urwald-Arena, die wie ein Strohkorb anmutet, stammen von Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner (GMP) aus Hamburg.
Verkehrprojekte verschoben
Schon jetzt hat sich der Bau der WM-Stadien zu einer enormen finanziellen Belastung für die brasilianischen Steuerzahler entwickelt. Nach Angaben des Sportministeriums in Brasília summieren sich die Kosten für die Spielstätten auf mittlerweile rund 2,6 Milliarden Euro, eine Milliarde mehr als noch 2010 angenommen. Im Gegenzug wurde die Anzahl der 50 geplanten Projekte zur Verbesserung der urbanen Mobilität zurückgefahren.
Neue Schnellstraßen und Schienennetze, Ausbau und Modernisierung von Flughäfen, schnellere und bessere Verkehrsverbindungen innerhalb der Metropolen und Investitionen in die öffentliche Sicherheit - all diese Maßnahmen zur WM sollten die wirtschaftliche Entwicklung des aufstrebenden Schwellenlandes insgesamt vorantreiben. Doch die dafür eingeplanten öffentlichen Gelder in Höhe von 3,5 Milliarden Euro sind mittlerweile auf rund 2,2 Milliarden Euro zusammengeschmolzen.
"Es ist ein methodischer Irrtum anzunehmen, dass Großveranstaltungen automatisch eine Modernisierung der städtischen Infrastruktur bewirken", erklärt Architekt Valdana. Mega-Events seien nur für Städte wie zum Beispiel Barcelona interessant, die bereits über konkrete Projekte zum Ausbau ihrer Infrastruktur verfügten. "Großveranstaltungen wirken dann wie ein Katalysator", erklärt der Architekt. "Wo dies nicht der Fall ist, läuft man der Zeit hinterher".