Gewalt wegen Tempelöffnung für Frauen
28. Oktober 2018Nach mehrtätigen gewaltsamen Protesten gegen den Zugang von Frauen zu einem wichtigen Hindu-Tempel hat die indische Polizei Hunderte Gläubige vorläufig festgenommen. Seit Freitag kamen mehr als 3300 Demonstranten in Haft. Ihnen wurden widerrechtliche Versammlung und Randale zur Last gelegt, wie die Polizei im Bundesstaat Kerala mitteilte. Bis auf rund 120 Menschen seien die meisten wieder auf Kaution freigelassen worden.
Frauen ist der Zugang zu dem Sabarimala-Tempel im südlichen Bundesstaat Kerala erst seit Mitte Oktober erlaubt. Das Oberste Gericht Indiens hatte Ende September einen jahrhundertealten Bann des Hindu-Tempels für Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter gekippt. Das Verbot verstoße gegen die Verfassung, die eine Gleichbehandlung beider Geschlechter garantiere.
Frauen zwischen 10 und 50 Jahren waren vom Betreten des Sabarimala-Tempels ausgeschlossen, weil sie ihre Regelblutung haben könnten. Ihre Anwesenheit gefährde angeblich das Zölibat der Tempelgottheit Ayappa. Menstruierende Frauen gelten in der hinduistischen Tradition als unrein. In manchen Teilen Indiens werden Frauen für die Dauer der Monatsblutung aus der familiären und dörflichen Gemeinschaft ausgeschlossen.
Trotz Polizei-Eskorte kein Zugang
Nach dem historischen Urteil blockierten Tausende Menschen den Weg für Frauen zu dem auf einem Hügel gelegenen Heiligtum. Eine Aktivistin und eine Journalistin versuchten kurz nach dem Fall des Verbots in Schutzkleidung und mit Helmen den Sabarimala-Tempel zu erreichen. Rund 100 Polizisten mit Schlagstöcken und Helmen begleiteten die beiden Frauen. 500 Meter vor den Tempelstufen mussten sie aus Sicherheitsgründen den Rückzug antreten.
Wütende Hindu-Traditionalisten warfen in den vergangenen Wochen wiederholt Steine, warnten Taxifahrer davor, dass ihre Autos beschädigt würden, wenn sie Frauen entsprechenden Alters zum Tempel führen, kontrollierten Insassen von Fahrzeugen auf dem Weg zur heiligen Stätte und drohten sogar mit Selbstmord. Zu den Gegnern des Urteils gehören nicht nur Männer.
Mutmaßliche hinduistische Fundamentalisten griffen ein Hindu-Meditationszentrum an, dessen Gründer sich für den Zutritt von Frauen zu dem Tempel ausspricht. Die Angreifer setzten nach Polizeiangaben in der südindischen Stadt Thiruvananthapuram zwei Autos und einen Motorroller in Brand und hinterließen eine Hassbotschaft.
Öl ins Feuer
Die Kontroverse wird durch die Politik weiter angeheizt. Die Regierung des Bundesstaats Kerala hatte angekündigt, die Öffnung des Tempels für Frauen auch gegen den Protest durchzusetzen. Die konservative Regierungspartei BJP des Premierministers Narendra Modi wirft der linken Regierung in Kerala vor, die Gefühle gläubiger Hindus zu ignorieren. Kabinettsministerin Smriti Irani sorgte mit ihrer Bemerkung für Empörung, niemand würde "mit blutdurchtränkten Binden das Haus von Freunden" besuchen. Es gebe das Recht zu Beten, aber nicht das Recht zur Entweihung von Tempeln. In Indien wird nächstes Jahr gewählt.
Die meisten indischen Tempel erlauben allen Frauen den Zugang ohne Alterbeschränkung. Bereits zwei bekannte indische Religionsstätten haben in den vergangenen Jahren nach einem Gerichtsurteil Frauen zulassen müssen: Der muslimische Haji Ali Schrein und der hinduistische Shani Shingapur Tempel, beide im Bundesstaat Maharashtra, beugten sich der Richterentscheidung. Allerdings gibt es mehrere berühmte Tempel, die ein absolutes Frauenverbot aufrechterhalten.
Der dem Gott Ayyappa geweihte Sabarimala-Tempel gilt als eine der wichtigsten hinduistischen Pilgerstätten. Trotz seiner Abgelegenheit in den Bergen ist der Tempel eines der größten Wallfahrtsziele Indiens mit Millionen Pilgern jährlich.
ust/ml (dpa, afp, kna, epd)