Gewaltsam sterilisiert in Peru
30. Oktober 2015"Zwei Nachbarn kamen zu ihrem Haus und sagten, es gebe eine Gesundheitskampagne. Dann brachte eine Ambulanz die Frau, ihren Mann und ihren Sohn zum Krankenhaus. 'Der Mann und das Kind müssen draußen bleiben', sagten sie, brachten die Frau hinein und anästhesierten sie. Als sie wieder herauskam, war sie operiert." So berichtet die Parlamentarierin Hilaria Supa über die Sterilisation einer Frau namens Micaela.
Der Fall von Micaela ist nur einer von hunderttausenden "Freiwilligen Chirurgischen Empfängnisverhütungen", wie die Regierung des Diktators Alberto Fujimori in den 1990er Jahren dieses Instrument ihrer nationalen Familienplanung nannte. Der peruanische Ombudsrat spricht von 272.028 Frauen und 22.004 Männern, denen zwischen 1996 und 2001 die Fruchtbarkeit operativ entzogen wurde. Die große Mehrheit von ihnen stammt aus entlegenen Bergregionen.
Supa, die selbst indigene Wurzeln hat, saß im peruanischen Parlament und ist heute Abgeordnete im supranationalen Andenparlament. Sie gehörte zu den ersten, die den Opfern halfen, formelle Klagen zu erheben. Doch lange wollte sich der peruanische Staat nicht mit früheren Zwangssterilisationen befassen.
Nun hat sich erstmals ein peruanischer Regierungsvertreter zur Aufarbeitung bekannt: Botschafter Juan Jiménez Mayor kündigte vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (IAKMR) die Einrichtung eines Registers für die Geschädigten an.
Kampagnen für Entschädigungen
Damit geht Jiménez, bis 2013 peruanischer Premierminister, auf eine zentrale Forderung der Kampagne "Contra su voluntad" ("Gegen ihren Willen") von Amnesty International Peru ein. Die feministische Organisation DEMUS fordert zudem die Einsetzung einer Wahrheitskommission, umfassende Entschädigungen für die Opfer sowie ein Verfahren gegen Fujimori wegen Menschenrechtsverletzungen. Wahrscheinlich eine eher symbolische Forderung, denn der 77-jährige Ex-Diktator verbüßt bereits eine jahrzehntelange Freiheitsstrafe unter Hausarrest.
"Der zentrale Gedanke ist, die Solidarität der Bevölkerung zu gewinnen: dass die Menschen an der Seite der Opfer auf die Straße gehen und die Regierung auffordern, die Übereinkunft mit der IAKMR umzusetzen", erklärt DEMUS-Koordinatorin María Ysabel Cedano im Gespräch mit der DW.
Fahrlässigkeit oder Vorsatz
Die IAKMR hat die Wiederaufnahme mehrerer Verfahren gefordert. Anstoß dazu gab der Fall einer Frau, die 1998 kurz nach dem Eingriff verstorben war. Dreimal hatten die peruanischen Behörden die Akte geschlossen, bevor Nichtregierungsorganisationen den Fall vor die internationale Instanz brachten.
"Die ersten Ermittlungen wurden unter anderem eingestellt, weil sie nicht als Menschenrechtsverletzung, sondern als fahrlässige Tötung oder Körperverletzung bewertet wurden und demnach bereits verjährt waren", erklärt Yván Montoya, Leiter des Anti-Korruptionsprojektes am Institut für Demokratie und Menschenrechte an der Katholischen Universität von Peru.
Freiwilligkeit in Unwissenheit
Noch wichtiger für die Einstellung der Verfahren war laut Montoya allerdings die Einschätzung, dass es eine zumindest stillschweigende Zustimmung zu den Sterilisationen gegeben habe.
Betroffene - wie Micaela - berichten aber etwas anderes: Manche von ihnen seien mit Gewalt in die Operationssäle gebracht, andere einfach sterilisiert worden, ohne dass man sie vorher über den Eingriff aufgeklärt habe. Wieder andere seien bedroht oder sogar erpresst worden.
"Man drohte ihnen zum Beispiel mit dem Entzug von Sozialleistungen, wenn sie die Sterilisation verweigern würden", erklärt Montoya. "Die Staatsanwaltschaft schätzte das jedoch nicht als glaubhafte Drohung ein." Und das, obwohl viele Betroffene kaum verstehen konnten, wozu sie da angeblich ihr Einverständnis gaben. Denn die meisten von ihnen gehören zu indigenen Bevölkerungsgruppen aus entlegenen Bergregionen, die ihre eigenen Sprachen sprechen und ohne spanischsprachige Schulbildung aufgewachsen sind. "Die Urteile offenbaren eine enorme Unwissenheit über die Realität in den Anden", so Montoya.
Die Aufarbeitung des Bürgerkriegs (1980-2000) durch die peruanische Regierung Anfang der 2000er Jahre gilt international als beispielhaft. Mit diesem Teil der peruanischen Zeitgeschichte haben sich allerdings drei Regierungen nicht auseinandergesetzt. Nun hofft die Parlamentarierin Hilaria Supa, dass es endlich so weit sein könnte: "Ich glaube, dass die aktuelle Regierung die Opfer entschädigen wird." Die Akten sind zumindest wieder geöffnet. Die ersten Entscheidungen werden Anfang 2016 erwartet.