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Gewaltwelle nach Schrein-Anschlag im Irak

23. Februar 2006

Die Gewalt zwischen den Religionsgruppen im Irak eskaliert. Allein in Bagdad wurden bislang 80 Tote gezählt. Regierung und UN rufen zur Ruhe auf.

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Bewaffnete Iraker in einem Trauerzug in BagdadBild: AP
Dschalal Talabani Präsident von Irak
Dschalal TalabaniBild: AP

Nach dem Bombenanschlag auf die Goldene Moschee in Samarra ist es im Irak zu den schwersten Auseinandersetzungen zwischen den Religionsgruppen seit dem Sturz von Staatschef Saddam Hussein gekommen. Landesweit wurden am Donnerstag (23.2.2006) zahlreiche durch Schüsse getötete Zivilisten gefunden, die vermutlich Opfer von Vergeltungsaktionen waren. In das Leichenschauhaus von Bagdad wurden seit Mittwochnachmittag mindestens 80 von Kugeln durchsiebte Leichen eingeliefert, wie dessen stellvertretender Leiter sagte.

Bewaffnete töteten 47 Arbeiter einer Ziegelfabrik. Die Täter stoppten drei Busse bei Nahrawan, 20 Kilometer südlich der Stadt Bakuba, zwangen die Arbeiter zum Aussteigen und schossen sie nieder, wie ein Mitglied des Provinzrates von Dijala, Dhari Thuban, mitteilte. Bei einem Anschlag auf einem Markt starben in Bakuba zuvor mindestens zwölf Menschen. Am Morgen waren die Wächter einer sunnitischen Moschee in der 60 Kilometer nordöstlich von Bagdad gelegenen Stadt erschossen worden. Unbekannte ermordeten bei Samarra, 125 Kilometer nördlich von Bagdad, drei Journalisten des arabischen Fernsehsenders Al-Arabija.

Warnung vor einem Bürgerkrieg

Im südirakischen Basra wurden am Mittwochabend mindestens elf Gefangene aus einer Haftanstalt geholt und später erschossen. Bei den Opfern soll es sich um Sunniten gehandelt haben. Zuvor gab es in der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Hafenstadt gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen beiden religiösen Gruppen. Dutzende sunnitische Moscheen im ganzen Land wurden angegriffen und in Brand gesetzt.

Extremisten sprengen Heiligtum der Schiiten im Irak in die Luft
Das zerstörte Heiligtum in SamarraBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Die irakische Regierung weitete am Donnerstag die Ausgangssperren im Land aus und versetzte ihre Sicherheitskräfte in höchste Alarmstufe. Übergangspräsident Dschalal Talabani warnte am Mittwoch im Fernsehen vor einem "verheerenden Bürgerkrieg". Der Kurde Talabani rief seine Landsleute zur Ruhe auf. Alle müssten zusammenarbeiten. Den Anschlag auf die "Goldene Moschee" in Samarra nannte Talabani ein "hässliches neues Verbrechen". Er rief führende Vertreter aller Seiten zu einem Krisengespräch zusammen. Die größte Partei der Sunniten unterbrach wegen der Übergriffe die Gespräche zur Regierungsbildung mit Schiiten und Kurden. Die Gespräche blieben eingefroren, bis es eine Entschuldigung für die Übergriffe gebe, hieß es.

Sicherheitsrat verurteilt Anschlag

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Sprengstoffanschlag auf eines der wichtigsten Heiligtümer der irakischen Schiiten scharf. Die Täter wollten damit die Spannungen zwischen den Muslimen weiter anheizen, sagte der amerikanische UN-Botschafter und amtierende Ratspräsident John Bolton. Er rief alle Iraker dazu auf, "den Tätern durch Besonnenheit und Einheit zu trotzen". UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte, der Anschlag solle "Frieden und Stabilität im Irak weiter untergraben". Er sei "tief schockiert und traurig" über die Tat. US-Präsident George W. Bush sagte, die Gewalt spiele nur den Terroristen in die Hände. Auch die EU verurteilte den Anschlag und die anschließenden Übergriffe. "Die Gewalt im Irak muss jetzt aufhören", erklärte EU-Chefdiplomat Javier Solana am Donnerstag.

Die Explosion in der nordirakischen Stadt Samarra hatte die imposante Goldkuppel des als "Goldene Moschee" bekannten Askari-Schreins zum Einsturz gebracht. Ein Mensch starb, zwei weitere wurden nach Polizeiangaben verletzt. Bereits unmittelbar nach dem Anschlag in Samarra hatte es zahlreiche gegen Sunniten gerichtete Vergeltungsaktionen gegeben. Die schiitische Regierung lastete das Attentat sunnitischen Rebellen an, die mit der Al-Kaida im Irak verbündet sind.

Dreitägige Staatstrauer

Zerstörte Moschee in Bagdad
Ein Iraker besucht am Donnerstag die zerstörte MoscheeBild: AP

Nach Angaben von Augenzeugen hatten bewaffnete Männer, die Uniformen einer Einheit des Innenministeriums trugen, am frühen Mittwochmorgen die Wachmänner vor dem Schrein überwältigt und gefesselt. Dann hätten sie drei Sprengsätze in der Moschee platziert, hieß es. Der nationale Sicherheitsberater, Muwaffak al-Rubai, sagte dem Sender Al-Arabija, zehn Verdächtige seien festgenommen worden. Im US-Sender CNN machte er das Terrornetz El Kaida im Irak des Jordaniers Abu Mussab al-Sarkawi für den Anschlag verantwortlich. Übergangsministerpräsident Ibrahim al-Dschafari sagte: "Es gibt Leute, die die Sicherheitskräfte unterwandert haben." Dschafari ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Das geistige Oberhaupt der Schiiten im Irak, Großajatollah Ali al-Sistani, rief zu friedlichen Kundgebungen auf.

Der Askari-Schrein beherbergt die letzte Ruhestätte zweier von den Schiiten verehrter Heiliger, die des Imam Ali Ibn Mohammed al-Hadi und die seines Sohnes Imam Hassan al-Askari. Das Mausoleum zieht jedes Jahr tausende Pilger aus aller Welt an. Da auch zwei weibliche Angehörige der Familie des Propheten Mohammed in dem Schrein begraben sind, pflegen dort auch sunnitische Gläubige zu beten. Samarra liegt 125 Kilometer nördlich von Bagdad im so genannten sunnitischen Dreieck, in dem es die meisten Aktivitäten von Aufständischen und islamistischen Extremisten gibt. (stu)