Fangerfolg durch Fangverzicht
1. September 2015
Blue Ventures könnte an einer ganz großen Sache dran sein. Die gemeinnützige Organisation aus Großbritannien plädiert dafür, beim Meeresschutz immer auch die Bewohner der jeweiligen Küstenregionen mit ins Boot zu holen. Dieser Ansatz gibt den Bedürfnissen der Fischer ein ähnlich großes Gewicht, wie den geschützten Gebieten selbst. Und das ist entscheidend für den Erfolg.
Eigentlich, sagt Alasdair Harris, der Geschäftsführer von Blue Ventures, ist Naturschutz ein "rotes Tuch" für die Fischer an der Küste. Denn er nimmt ihnen die Lebensgrundlage für die Zeit, in der sich die Fischbestände erholen sollen. "Zwar gewinnen alle, wenn sich durch die Schutzgebiete im Meer die Fischbestände erholen", sagt Harris. "Die Herausforderung aber ist: Was tun wir in der Wartezeit?" Er hat lange nach einer Lösung gesucht.
Die Suche begann bereits 2001, als er nach Madagaskar kam. Inspiriert von Jacques Cousteaus Unterwasser-Expeditionen im Indischen Ozean, beschloss Harris, die Ökologie der Riffe zu untersuchen. Vor allem die Kraken, die im Riff leben, wurden sein Thema. Die Zahl der Tiere ging damals zurück, teils durch die Nachfrage nach frischen Meeresfrüchten in Südeuropa, teils durch die fischverarbeitende Industrie vor Ort.
Harris fiel auf, dass diese Art Tintenfisch sehr schnell erwachsen wird. Lässt man sie in Ruhe, können die Tiere innerhalb eines halben Jahres ihre Größe verdoppeln und ihr Gewicht sogar verdreifachen, so Harris. Dieses Wachstum würde es Fischern möglich machen, größere Tiere zu fangen und gleichzeitig seltener fischen zu müssen. Der Ertrag würde sich nicht verändern.
Mit diesem Gedanken wurde Harris 2003 einer der Gründer von Blue Ventures. Das Ziel der Organisation war klar: Sie wollte den Lebensraum Riff erhalten, aber genauso das Überleben der Menschen an den Küsten ermöglichen.
Am Anfang stand also die Idee, ein Schutzgebiet für Tintenfische einzurichten, mit der Hilfe der alteingesessenen Fischer. Also überredete Harris die Ältesten des Fischerdorfes Andavadoaka, 200 Hektar ihrer Fanggründe für einen Probezeitraum von sechs Monaten zur Verfügung zu stellen. Das war lange genug, damit sich die Population der Tintenfische erholen konnte. Am Ende der Zeit stand etwas, das Harris als "Riesenfang" beschreibt. Sowohl bezogen auf die Größe, aber auch auf die Menge der Tiere.
Die Nachricht des Erfolgs verbreitete sich rasch auf der gesamten Insel. Es gab Folgeprojekte. Und inzwischen schützen sogenannte LMMAs (Locally Managed Marine Areas) große Teile der Küste Madagaskars. Hunderte Dörfer sind beteiligt. Laut Harris sind deren Auswirkungen auch über die unmittelbare Umgebung hinaus zu spüren.
Um ihre Arbeit tatsächlich einschätzen zu können, hat Blue Ventures deren Auswirkungen gemessen. Über einen Zeitraum von acht Jahren stand die kurzzeitige Sperrung von 36 Standorten auf dem Prüfstand. Am Ende wurde die Wirtschaftsleistung der Gebiete mit anderen verglichen, die keine Fangverbote hatten.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht: Dorfgemeinschaften, die für einen Zeitraum von zwei bis sieben Monaten keine Tintenfische gefangen hatten, verdoppelten ihr Einkommen innerhalb von 30 Tagen nachdem das Fischen wieder erlaubt wurde. Sie hatten keinerlei Einkommensverluste durch das Fangverbot.
Eine grundlegende Veränderung
Harris nennt diesen Ansatz einen Katalysator für den Meeresschutz. "Kurzfristige Stilllegungen sind so etwas wie der Fuß-in-der-Tür geworden, für Community-basierte Schutzmaßnahmen in Madagaskar", sagte er.
Seit 2004 hat die Insel eine Reihe ähnlicher Umweltschutz-Initiativen erlebt, darunter auch eine größere Zahl zeitbegrenzter Stilllegungen von Mangroven-Sümpfen. Einige Programme sind inzwischen auch offiziell staatlich anerkannt. Tansania und Madagaskars Nachbar-Insel Mauritius haben ebenfalls angefangen, ähnliche Projekte durchzuführen.
Im April 2015, hat Harris den mit $1,25 Millionen Dollar (ca. 1,1 Millionen Euro) dotierten Skoll Award bekommen, der für soziale Innovationen verliehen wird. Sein Erfolgsrezept ist glasklar, so Harris. "Man muss darauf hören, was die Leute brauchen, um Lösungen gemeinsam mit ihnen zu finden. Umweltschützer müssen unternehmerisch denken und aus ihren Büros herauskommen."
Fischerei auf kleinem Raum hat Riesenbedeutung
Entlang der tropischen Küsten leben mehr als eine Milliarde Menschen. Für sie ist das Meer nicht nur die Hauptquelle für Nahrung, sondern auch Arbeitsplatz. Und hier liegen noch weitere Probleme. "Arbeit ist der wichtigste Faktor, um Nachhaltigkeit in den Entwicklungsländern voran zu bringen", sagt Yemi Oloruntuyi, ein Sprecher der Marine Stewardship Council.
Aus #link:http://www.sciencemag.org/content/314/5800/787:Studien# geht hervor, dass der Wildbestand von Meeresfrüchten in den nächsten Jahrzehnten zur Neige gehen könnte. Dagegen können nur umfassende Schutzmaßnahmen helfen. Je weiter die Fischbestände schwinden, desto größer würde der Wettbewerb zwischen den Fischern. Es gäbe zu viele Boote, die hinter immer weniger Fischen her wären.
Die aktuellsten Zahlen, veröffentlicht im Science-Magazin, machen deutlich, dass heute nur sieben Prozent der Fischerei in den Entwicklungsländern als nachhaltig zertifiziert werden kann.
Durch die Arbeit von Naturschutzgruppen wie Blue Ventures werden sich jedoch immer mehr Verbraucher darüber bewusst, wie es um die weltweite Fischerei steht. Mit diesem Bewusstsein geht die Forderung nach Verbesserungen einher. "Es gibt ein wachsendes Interesse an nachhaltiger Fischerei. Lieferanten wollen wissen, wo ihre Fische herkommen", sagt Oloruntuyi.
Harris jedenfalls will sein Blue-Ventures-Modell auch noch zu anderen Stellen Madagaskars bringen. Denn nur, wenn er auf die Hilfe der lokalen Bevölkerung setzen kann, werden auch die Fischbestände stabil bleiben.