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"Mehr Hysterie als Flüchtlinge"

Elizabeth Schumacher / ch16. Juni 2016

Beim Thema Flüchtlinge haben sich viele Medien nicht gerade mit Ruhm bekleckert. In Bonn diskutierten Journalisten und Flüchtlinge über Defizite in der Berichterstattung und was sich künftig ändern muss.

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GMF 2016: Ammar Abo Bakr
Bild: DW / M. Müller

Deutschland ist zum Ziel einer beispiellosen Zuwanderung von Flüchtlingen geworden. Da lag es auf der Hand, dass auch das Global Media Forum einmal einen kritischen Blick auf die politische, journalistische und gesellschaftliche Verantwortung für den Umgang mit der Krise warf.

Immer wieder tauchte da der Vorwurf in den Diskussionen auf, die Medien hätten die Situation falsch dargestellt und wären damit sowohl ihren Nutzern als auch den Flüchtlingen nicht gerecht geworden. Während die Öffentlichkeit das Thema irgendwann satt hatte, schien Angstmache und Sensationslust die Berichterstattung zu bestimmen, die sich vor allem mit Gewalt und großen Zahlen statt mit der menschlichen Seite der Sache beschäftigte.

"Rede nicht über Flüchtlinge, rede mit ihnen, gehe zu ihnen, habe an ihrem Leben teil, sitze nicht einfach in deinem Büro, gib ihnen eine Stimme", sagte Jaafar Abdul-Karim, der für das Magazin "Der Spiegel" schreibt und für die Deutsche Welle die arabischsprachige Fernsehsendung "Shababtalk" moderiert.

DW-Moderator Jaafar Abdul-Karim im Libanon (Bild: DW)
Abdul-Karim hat Flüchtlinge in Deutschland und anderen Ländern besuchtBild: DW

"Unverzeihliches journalistisches Versagen"

"Wir haben nicht viele Flüchtlinge, aber wir haben eine Menge Hysterie." So beschrieb Milan Nic, Leiter der Denkfabrik GLOBSEC, in der Diskussionsrunde "Migranten gegen Einheimische" die Lage in Ostmitteleuropa und betont die gewaltige Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und der Wirklichkeit.

Es gehe nicht nur darum, dass die Zahl der Migranten falsch als Bedrohung dargestellt werde, fügte die Journalistin Caroline de Gruyter hinzu, es gehe auch um Sprache. "Wir haben keine Politik mehr, wir haben Werte", sagte sie und meinte eine Verschiebung der Rhetorik von politischen Lösungen zu einer angstfördernden Identitätspolitik, wie sie im gehäuften Gebrauch des Ausdrucks "europäische Werte" zum Ausdruck komme.

Kadri Gursel (Bild: privat)
Kadri Gursel, türkischer JournalistBild: privat

Doch so machten es nicht nur die westlichen Medien, ergänzte Kadri Gürsel, ein türkischer Journalist, dessen Kritik an der Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihn bereits seinen Job bei der Zeitung "Milliyet" gekostet hat.

Als Nachbar Syriens und mit so vielen Flüchtlingen innerhalb seiner Grenzen habe die Türkei eine besondere Verantwortung, sagte Gürsel. Doch "es wird zuwenig darüber berichtet, die türkischen Medien haben ihre Pflicht nicht getan". Und schuld daran sei nicht nur die Zensur der Regierung, auch wenn die Verfolgung der freien Presse Journalisten das Leben schwermache. Doch es gehe auch um eine Selbstzensur der Medien.

In die Türkei, so Gürsel, seien in den vergangenen vier Jahren mehr Flüchtlinge gekommen als in den vergangenen sieben Jahrzehnten zusammengenommen. Vor diesem Hintergrund finde er es "unverzeihlich", dass die meisten Menschen in der Türkei durch die Zurückhaltung der Medien Erdogans Politik gegenüber gar nicht wüssten, wie so viele Menschen im Land lebten.

Gürsel gab jedoch zu, nicht nur die Medien und die Regierung seien schuld daran, dass Fakten und Informationen fehlten. "Mangelndes Interesse ist ein weiteres paradoxes Problem."

Jenseits des Medienwirbels

"Es gibt eine Menge Worte, eine Menge Wirbel", sagte Michael Myer, Autor und Journalist, der auch als Redenschreiber für UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon tätig war. Myer, der die Diskussionsrunde "Migration: die Geschichte zweier Welten" moderierte, betonte besonders das Anliegen des Global Media Forum, nicht nur westliche, analytische Stimmen von hohen Funktionsträgern zur Flüchtlingskrise zu hören, sondern auch die Meinung derer, die ihr Leben riskieren, um nach Europa zu kommen.

"Ich bin kein Wirtschaftsmigrant. Mein Leben war in Gefahr", sagte der afghanische Journalist Suhrab Balkhi, der seine Heimat verließ, als er nicht nur von den Taliban bedroht war, sondern auch von Handlangern der Regierung, nachdem er über den Einfluss von Dschihadisten auf die Regierung in Kabul gesprochen hatte.

Sohrab Balkhi, Journalist aus Afghanistan (Bild: privat)
Sohrab Balkhi, Journalist aus AfghanistanBild: privat

Balkhi war es während der Diskussionen sehr wichtig, das vorherrschende Bild von Flüchtlingen zu korrigieren: dass sie nach Europa kommen, nur um zu nehmen und nichts zurückzugeben. Balkhi wollte unbedingt in Österreich, wo er angekommen war, arbeiten und sich integrieren, doch man erlaubte es ihm nicht. Obwohl er Beweise vorlegte, dass sein Leben in Afghanistan bedroht war, brachte er vier Jahre mit einem unklaren Aufenthaltsstatus zu, durfte weder arbeiten, noch an einem Deutschkurs teilnehmen.

"Europa ist nichts Besonderes"

Danach gefragt, ob er Europa auch andere Afghanen empfehlen könnte, antwortete er rundheraus: "Nein. Ich würde sagen, verlasst euer Land nicht, Europa ist nichts Besonderes." Prince Wale Sonyiki, der aus Nigeria geflohen ist, nachdem seine Stadt von Boko Haram attakiert wurde, lobte die europäische Kultur und Gesellschaft zwar in den höchsten Tönen, bestätigte aber Balkhis Gefühle.

Er lachte über die Annahme, dass Flüchtlinge eigentlich Wirtschaftsflüchtlinge seien. Er selbst hatte Asyl in Kroatien beantragt. "Warum sollte ich dann in einem Land bleiben, das Flüchtlingen zehn Euro im Monat gibt?" Doch die Medien müssten ihre Zeitungen verkaufen. Folglich bekämen Geschichten über Gewalt und Flüchtlinge, die das System ausnutzen, Vorrang, fügte er hinzu.

Alexandra Föderl-Schmid, die erste Chefredakteurin von Österreichs Tageszeitung "Der Standard" bot eine Lösung an. Es sei wichtig, den Lesern persönliche Geschichten zu erzählen und sie ergänzt: "Wir müssen auch die neagtiven Seiten aufzeigen, denn wir sind Journalisten, keine Aktivisten."