Goethe-Medaille 2014
28. August 2014Robert Wilson betritt die Bühne, geht zum Rednerpult, legt die Hände darauf. Und steht da. Minutenlang. Füllt den Raum mit seiner Präsenz. Oder ist es die Zeit, die er füllt? Die Stille? Noch immer haben die Auftritte des 72-Jährigen etwas Magisches, so wie jetzt in Weimar, wo er nach seinem aufgeladenen Schweigen zu sprechen beginnt, über seine Arbeit, über Zeit, Licht und Raum und über den Klang jeder einzelnen Sekunde, der einzigartig und unwiederholbar ist.
Robert Wilson: Hypnotischer Sog
Dieses Sprechen hat Wilson zu einer Performance gemacht, die dem Zauber seiner Stücke nahekommt. Im Februar erst war er in Berlin mit seiner legendären Produktion "Einstein on the Beach" von 1976 zu Gast. Wer dabei sein konnte, erlebte eine Rückreise tief ins 20. Jahrhundert – und zugleich das Wunder eines Fünf-Stunden-Gesamtkunstwerks aus Licht, Musik, Tanz und Sprache, das nichts von seinem hypnotischen Sog verloren hat. Kein Zweifel, der Amerikaner hat das Theater nahezu ein halbes Jahrhundert lang verändert, verwandelt, geprägt – und das weltweit. "Der Grund, warum ich Künstler bin, ist, Fragen zu stellen", sagt er in Weimar, und das hat er zeit seines Lebens getan. Bald nach dem epochalen "Einstein"-Erfolg geht Robert Wilson nach Berlin, Köln, Hamburg: Immer wieder zieht es ihn nach Deutschland, wo er unter anderem Stücke des DDR-Dramatikers Heiner Müller befragt. Und er führt sie anders auf als die Deutschen: Müller, der düstere Dichter der Untergänge, beginnt zu lachen.
Auch dafür hat Wilson nun die Goethe-Medaille erhalten. Als offizieller Orden der Bundesrepublik Deutschland würdigt sie seine "neuen Lesarten deutscher Kultur", wie es in der Begründung heißt. Es war keine Liebe auf den ersten Blick, die Wilson mit Deutschland verbindet. "Als ich zum ersten Mal an die Berliner Schaubühne kam", erzählt er in Weimar, saß Peter Stein [Regisseur und Schaubühnen-Chef, Anm. d. Red.] drei Monate lang am Tisch und las Bücher, bevor er mit den Proben anfing. Mein Gott, drei Monate lang Bücher lesen! Ich fange gleich an etwas zu tun - Amerikaner haben da eine andere Art."
Krystyna Meissner: Leben fürs Theater
Kulturelle Gräben übersprang auch die polnische Theatermacherin Krystyna Meissner. Ihr Beitrag zum Kulturaustausch war bislang nicht auf dem großen internationalen Parkett zu sehen, sondern auf dem historisch belasteten, unwegsamen Gelände der polnisch-deutschen Beziehungen. Eine Herausforderung für die energiegeladene 81-Jährige, die mit herzhaftem Lachen und festem Händedruck ihr Alter sofort vergessen macht. Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt Meissner fürs Theater; für Produktionen aus Deutschland hat sie sich in Polen erstmals kurz nach dem Mauerfall engagiert. "Als sich Europa politisch veränderte, war ich überzeugt, dass wir mehr gegenseitiges Wissen brauchen", erinnert sie sich. "Wir mussten einen Weg finden, dieses Wissen zu vertiefen!"
Dass Polen später EU-Mitglied werden würde, war damals noch nicht zu ahnen. Doch Meissner brachte im Theater schon mal ihre eigene europäische Union auf den Weg. Erst mit einem Festival namens "Kontakt", später mit dem "Dialog"-Festival in Wroclaw, das Theatermacher mehrerer Länder einlud. Dass dabei, wie sie sagt, "deutsche Disziplin auf polnisches Chaos" traf, war für sie ein Energieschub. Ob deutsches Theater in ihrem Land nicht manchmal abgelehnt wird vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen in Polen? "Ich kann nicht für alle Polen sprechen", sagt sie, "aber ich denke nicht in diesen Kategorien. Ich bin stolz darauf, dass wir versuchen, uns näherzukommen und uns gegenseitig zu verstehen".
Gerard Mortier: Opernbetrieb entstaubt
Der belgische Opernintendant Gerard Mortier erfuhr noch vor seinem Tod im März, dass er die Goethe-Medaille erhalten sollte. Als "genialen Pionier" hatte man den damals 70-Jährigen wahrgenommen, der auch junge Leute für große Inszenierungen begeisterte. Tatsächlich hat Gerard Mortier das traditionsverliebte Opern-Business gründlich entstaubt - und dabei eine Menge Staub aufgewirbelt. Allen voran bei den Salzburger Festspielen, die unter dem Regime Herbert von Karajans in prunkvoller Langeweile erstarrt waren. Dass Mortier seit 1991 das Festival umkrempelte, trug ihm neben Bewunderung auch eine Menge Ärger ein. Doch der war eher eine Auszeichnung für den streitbaren Geist. "Theater machen bedeutet, die Routine des Alltäglichen zu durchbrechen, die Akzeptanz wirtschaftlicher, politischer und militärischer Gewalt als Normalität in Frage zu stellen", hatte Mortier noch kurz vor seinem Tod geschrieben. Ein Bekenntnis, das er zeit seines Lebens einlöste - in der Überzeugung, dass "die Welt besser sein kann als sie ist".