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Gold mit einem Zentimeter Vorsprung

Sarah Wiertz (dpa)9. September 2016

Sechs Medaillen hat das deutsche Team bereits vorzuweisen, davon eine goldene. Verantwortlich dafür: Niko Kappel, ein kleinwüchsiger Kugelstoßer, der zum ersten Mal überhaupt bei Paralympics dabei ist.

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Brasilien Niko Kappel Gold im Kugelstoßen
Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Sein Spitzname ist Bonsai, wie der Baum. "Weil ich ein kleiner Mann bin und für einen kleinen Mann so viel Kraft habe", sagte Niko Kappel und lachte dabei. Wie viel Kraft genau in einem nur 1,40 Meter kleinen Körper steckt, zeigte der Leichtathlet, als er am Donnerstagabend im Kugelstoßen die erste Goldmedaille für das deutsche Team bei den Paralympics in Rio de Janeiro gewann.

Seine Lieblingsdisziplin ist so ziemlich das Letzte, was man mit kleinwüchsigen Menschen in Verbindung bringt. Beim Kugelstoßen denkt jeder an große, massige Athleten. Doch im Olympiastadion von Rio trat der 21-Jährige in den Ring und entwickelte aus seiner schnellen Drehung eine derart explosive Kraft, dass die Kugel 13,57 Meter weit flog.

Kappel knackt persönliche Bestleistung

Das war erheblich weiter als seine bisherige persönliche Bestleistung (13,26). Und vor allem die entscheidende Winzigkeit von nur einem Zentimeter weiter als beste Versuch des Welt- und Europameisters Bartosz Tyszkowski aus Polen (13,56). "Das ist wahnsinnig geil. Ich kann das immer noch nicht glauben", sagte Kappel nach seinem ersten Wettkampf überhaupt bei paralympischen Spielen. "Ich wollte natürlich eine Medaille holen, klar." Aber Gold? Das schien selbst bis zur Hälfte dieses Wettbewerbs außerhalb seiner Möglichkeiten zu liegen, weil der Pole Tyszkowski in den vergangenen vier Jahren jeden EM- und WM-Titel gewann und auch diesmal zunächst klar in Führung lag.

Brasilien Paralympics Rio 2016 - Männer Kugelstoß Niko Kappel (Foto: © Reuters/J. Cairnduff)
Krönung einer kontinuierlichen Entwicklung: Kappel beim Gold-StoßBild: Reuters/J. Cairnduff

Doch dann steigerte sich Kappel, 13,38 Meter im vierten und 13,57 Meter im fünften Durchgang. "Ich wusste, wenn ich ihn unter Druck setzen kann, dann habe ich eine Chance. Denn das ist er nicht gewohnt", erklärte der Athlet des VfL Sindelfingen. "Er hat das Kugelstoßen bei uns über Jahre dominiert. Aber als ich an ihm vorbeigezogen war, konnte er nicht mehr kontern."

Niko Kappel und der Speerwerfer Mathias Mester sind so etwas wie die Stimmungskanonen im deutschen Team. Beide sind klein, beide haben Humor. Dazu gibt die erste Goldmedaille bei einem großen Sportereignis allen anderen auch immer noch einen zusätzlichen Schub. "Es waren heute so viele Kollegen hier und haben mich angefeuert", erzählte Kappel. "Jetzt will ich das umgekehrt genauso machen: Ins Stadion gehen, Stimmung machen, rumbrüllen."

Der Kugelstoßer ist erst 21 Jahre alt, aber er ist schon ausgebildeter Bankkaufmann, sitzt für die CDU im Gemeinderat seiner Heimatstadt Welzheim bei Stuttgart - und hat jetzt eine paralympische Goldmedaille. Bislang waren seine größten Erfolge jeweils Silber bei der WM 2016 und der EM 2015 gewesen. Und was kann jetzt noch kommen? "Es haben mir nur sieben Zentimeter bis zum Weltrekord gefehlt", meinte Kappel - der liegt bei 13,64 Metern. "Ich bin noch jung, habe seit 2015 eine super Entwicklung genommen - mal sehen, was meine Karriere noch alles bringt."

Silber für Sprinterin Nicoleitzik

Die ingesamt vierte deutsche Medaille für das deutsche Team lieferte die Leichtathletin Claudia Nicoleitzik. Im Sprint über 100 m der Klasse T36 lief die 26-Jährige die zweitschnellste Zeit. Nicoleitzik lief im Olympia-Stadion in 14,64 Sekunden persönliche Bestzeit und musste sich nach einem starken Rennen nur der Argentinierin Yanina Andrea Martinez (14,46) geschlagen geben. Martha Florian-Hernandez aus Kolumbien (14,71) holte Bronze.

"Als ich auf die Anzeigetafel geschaut habe, war ich sehr überrascht über die Zeit", sagte Nicoleitzik. Dabei hatte sie zur Hälfte des Rennens noch auf Platz vier gelegen. "Da dachte ich schon kurzzeitig: Keine Medaille, das ist schade. Aber dann habe ich mich reingekämpft und zum Ende lief es besser."

Für Nicoleitzik, die verschiedene Störungen der Bewegungskoordination hat, sogenannte Ataxie, war es bereits die fünfte paralympische Medaille. 2012 in London wurde sie Dritte über 100 und 200 m. In Peking 2008 hatte die 100-m-Weltmeisterin von 2013 über ihre beiden Strecken jeweils Silber gewonnen.

Zweimal Silber: Brussig-Zwillinge im Judo erfolgreich
Die Zwillinge Carmen und Ramona Brussig hatten zuvor mit jeweils Silber im Judo die ersten deutschen Medaillen bei diesen Paralympics gewonnen. Nach Doppel-Gold 2012 in London war das bereits der zweite spektakuläre "Sister Act" ihrer Karriere. Carmen Brussig unterlag in Finale der Klasse bis 48 Kilogramm der Chinesin Liqing Li. Nach dem Paralympics-Sieg 2012 und Bronze 2008 in Peking hat die 39-Jährige damit ihren Medaillensatz komplettiert.
"Ich bin überglücklich über die Silbermedaille und bin froh, dass ich die jetzt habe", sagte sie. Anschließend verlor ihre Schwester Ramona im Limit bis 52 Kilogramm gegen die Französin Sandrine Martinet. Nach den Siegen 2004 und 2012 sowie Silber 2008 war es für sie die vierte Medaille hintereinander bei Paralympischen Spielen.
Ebenfalls im Judo gewann Nikolai Kornhaß überraschend Bronze. Der 23-Jährige gewann in der Klasse bis 73 kg das kleine Finale gegen den Japaner Aramitsu Kitazono mit Ippon und machte so den größten Erfolg seiner Karriere perfekt.
Schwimmerin Grahl feiert größten internationalen Erfolg
Denise Grahl schlug über 50 m Freistil in 33,16 Sekunden als Zweite an, hinter der US-Amerikanerin McKenzie Coan (32,42) und gewann Silber. Für die 23-jährige Rostockerin ist es der größte Erfolg ihrer Karriere.