"Eine Torchance kann alles verändern"
9. September 2017DW: Mario Gomez, wie würden Sie Mario Gomez beschreiben?
Mario Gomez: Auf dem Fußballplatz: impulsiv, ehrgeizig. Neben dem Platz: gelassen, zufrieden, glücklich.
Bei Medien und Fans hatten Sie in Ihrer langen Karriere schon viele Beinamen. Welche davon sind hängen geblieben?
Es hat angefangen - natürlich aufgrund meines Vornamens - mit Super-Mario. Dann folgten Torrero, Chancentod, Stolperer, Weltklassestürmer, richtiger Neuner, Strafraumstürmer, Tanker (lacht). All das war ich bestimmt schon mal. Das bin alles ich.
"Ich war ein two-face Gomez"
Zu Beginn Ihrer Karriere wurden Sie zum Super-Mario. War es schwer damals bei dem ganzen Hype um Sie nicht den Boden unter den Füßen verlieren?
Das war gar nicht so kompliziert. Wissen Sie, ich komme aus einem ganz kleinen Dorf in Oberschwaben (Riedlingen in Baden-Württemberg, Anm. d. Red.). Dort ist man bodenständig und so bin ich groß geworden. Meine Familie, meine Freunde, meine besten Freunde sind alle auch von dort. Ich habe immer noch den gleichen Freundeskreis, natürlich die gleiche Familie und es gab nie für mich Grund irgendwie anders zu sein. Ich habe mich auch nie aufgrund des Jobs oder des Erfolgs verändert. Natürlich lernt man viele andere Leute kennen, auch viele mit denen ich heute sehr gut befreundet bin, aber der Kern meines Freundeskreises ist immer noch derselbe wie zu Kindertagen. Für die immer noch der Mario und ich fühle mich in dem Kreis auch wie der ganz normale Mario und nicht wie der Fußballer.
Sie mussten in Ihrer Karriere auch einige Rückschläge hinnehmen. Beispiel EM 2008: Damals wurden Sie plötzlich zum "Chancentod". Warum?
Das ist ganz einfach: Vor 2008 war ich so etwas wie der Hoffnungsträger im DFB-Team und wurde von vielen Experten als der kommende Star gehandelt, übrigens auch von vielen Fans. Und dann kam die EM. Wir haben echt gut angefangen. Wir haben gegen Polen gewonnen, alles war okay. Und dann kam das dritte Vorrundenspiel gegen Österreich und es passierte, was jedem Stürmer mal in seiner Karriere passiert: Der Ball titscht unglücklich vorm Fuß auf und ich treffe ihn nicht richtig, er springt einfach in die Luft und ich versenke ihn nicht. Das war der blödeste Moment überhaupt, die ganze Welt hat da zugeschaut. Dementsprechend gab es Gelächter. Die Szene wird rauf und runter gespielt und das ist das Bild, das dann erst mal jeder von mir im Kopf hatte. Ich habe eigentlich eine ganze Karriere gebraucht, um zu zeigen, dass dieser Fehler einmalig war. In der Nationalmannschaft hatte ich ein Jahr lang Probleme, wieder in die Spur zu kommen. Im Verein beim VfB Stuttgart habe ich in dieser Saison aber trotzdem 24 Tore gemacht. Ich war ein two-face Gomez.
"Die Nationalelf hat mir gefehlt"
Was hat diese Erfahrung mit Ihnen gemacht?
Mit 22 Jahren everybodys darling und plötzlich der Sündenbock. Ich hatte ein bisschen daran zu knabbern, warum plötzlich alle Leute, die für einen waren, nun gegen einen sind. Aber danach hatte ich wieder Erfolg. Und heute bin ich viel weiter und weiß auch, dass Fußball letztendlich von diesen Diskussionen lebt und jeder seine eigene Meinung haben darf und ich auch jede Meinung respektiere und akzeptiere. Jeder darf über mich sagen, was er für richtig hält. Ich denke mir dann: Ich bin privilegiert, ich habe einen Traumberuf, ich verdiene wahnsinnig viel Geld, kann mir meine Wünsche und Träume erfüllen. Ich will mich nicht beschweren.
Sie sind irgendwann auf Abstand gegangen, auch räumlich: ins Ausland nach Florenz. Sie sagten: Um loszulassen. Was haben Sie los gelassen?
Ich bin nach vier extremen Jahren bei Bayern München, die aus meiner Sicht mega erfolgreich waren, aus Sicht anderer vielleicht aber nicht so sehr, von den Bayern weggegangen mit dem Bewusstsein: Ich will einen Step zurück. Ich will nicht in eine Mannschaft, mit der ich immer gewinnen muss. Ich wollte das Training wieder ein bisschen genießen und deswegen nicht zu Real, Juve, Barcelona oder eben Bayern München. Ich wollte zu einer Mannschaft, die nach oben will, dort aber noch nicht ist. Erst lief es hervorragend, dann habe ich mich aber gleich verletzt, war sieben Monate raus, habe dadurch die WM verpasst dann gemerkt, ich bin nicht mehr dabei und irgendwie komplett außen vor. Deutschland wurde Weltmeister. Ich lag verletzt zu hause und habe mir gedacht: Diese Mannschaft fehlt mir wirklich. Ich habe dann alles dafür getan, um wieder dabei zu sein.
Wie hat Sie Ihre Station bei Beşiktaş Istanbul geprägt?
Es war ein Abenteuer. Zumindest hat es so begonnen. E wurde dann zum besten Jahr meiner Karriere. Ich war abgeschrieben und kam zurück in die Nationalmannschaft – das war für mich ein absoluter Gewinn. Und ich habe dort festgestellt, das man Dinge erst selbst erleben muss, bevor man sich eine Meinung dazu bildet. Es wird so viel Schlechtes über die Türkei in Deutschland geredet. Ich habe die Türkei als unfassbar gastfreundliches Land empfunden. Es wurde immer geholfen. Auch Familie oder Freunde waren alle so begeistert. Ich bin ein großer Fan der Türkei geworden.
Mario Gomez begann seine Profikarriere beim VfB Stuttgart, mit dem er 2007 Deutscher Meister wurde. Von 2009 bis 2013 spielte Gomez für den FC Bayern München, mit dem er unter anderem die Champions League gewann. Nach einem zweijährigen Gastspiel beim AC Florenz wechselte der Stürmer Ende Juli 2015 auf Leihbasis zu Besitkas Istanbul und wurde Meister und Torschützenkönig. Seit August 2016 steht er beim VfL Wolfsburg unter Vertrag und ist seit Sommer 2017 Kapitän des VfL.
Das Interview führte Kamilla Jarzina