Das Internet erforschen - dank Google
29. Oktober 2011Das Internet-Unternehmen Google hat in der jüngsten Vergangenheit des Öfteren erfahren, dass es noch viel über die Gesellschaften lernen muss, für die es Dienste bereitstellt. Besonders in Deutschland scheint großer Nachholbedarf zu bestehen. Immer wieder gibt es Zoff mit der Öffentlichkeit: Viele Deutsche stellten sich quer, als für Google Streetview Straßenzüge abfotografiert wurden. Deutsche Nutzer rebellierten auch, als sie bei einer Sozialplattform nur noch Klarnamen haben durften. Und immer wieder bemäkeln staatliche Datenschützer die Standards des Unternehmens aus Kalifornien. Da passt es ganz gut, dass Google gerade hier in Deutschland zum ersten Mal eine wissenschaftliche Einrichtung zur Erforschung des Internets initiiert.
Viereinhalb Millionen Euro stellt Google für das neue Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) an der Humboldt-Universität zu Berlin bereit. Die gute Tat löst bei den beteiligten Forschern Begeisterung aus. "Das ist eine tolle Idee", sagt Ingolf Pernice. Der Rechtswissenschaftler der Humboldt-Universität ist einer der vier Gründungsdirektoren des neuen Instituts. "Wir wollen verstehen, wie das Internet unsere Welt verändert, und hier können wir das interdisziplinär erforschen." Die Fragestellungen sind vielfältig und bei weitem noch nicht ausformuliert: Urheberrecht, politische Mobilisierung, der neuerliche Wandel der Öffentlichkeit. Gemeinsam sollen sich Juristen, Medien- und Politikwissenschaftler mit diesen Themen beschäftigen. "Zuerst müssen wir aber einmal lernen, uns gegenseitig überhaupt zu verstehen", stellt Pernice fest. An der Gründung sind neben der Humboldt-Universität (HU) die Universität der Künste (UdK) und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) beteiligt. Das Hamburger Hans-Bredow-Institut kooperiert mit dem HIIG.
Unabhängigkeit wird betont
Die Freude der Forscher ist verständlich, aber was treibt Google an, mehrere Millionen Euro zu stiften? Sicher, bei einem Quartalsgewinn von zuletzt 2,73 Milliarden Dollar kann das Unternehmen das aus der Portokasse bestreiten - aber: Streckt der gelegentlich als Datenkrake verunglimpfte Konzern seine Tentakel jetzt nach der freien Forschung aus? "Wir haben das Institut für Internet und Gesellschaft angeschoben und das Geld bereitgestellt", fasst Google-Sprecher Ralf Bremer trocken zusammen, "jetzt freuen wir uns auf die Forschungsergebnisse".
Bremer verneint die Frage, ob es Einflussnahme bei den Forschungsinhalten und -ergebnissen gebe. Auch Abmachungen über die Publikationen aus dem Institut seien nicht getroffen worden. "Wenn die hier Google-kritische Ergebnisse zu Tage fördern, dann ist das okay - wichtig ist der Dialog!" Schon jetzt darf sich Bremer darüber freuen, dass Google ein paar Tage positiv in die Schlagzeilen kommt.
Es ist auffällig, wie oft im Umfeld der Institutsgründung betont wird, dass die Unabhängigkeit der Forschung gewährleistet sei. Zur Sicherheit hat man gleich zwei getrennte Gesellschaften eingerichtet - eine Forschungsgesellschaft und eine Fördergesellschaft. Weitere Unterstützer werden gewünscht. "Wir beteiligen uns an der Suche", sagt Bremer.
Probleme mit privater Förderung
Es ist kein Einzelfall, dass die Wissenschaft in Deutschland mit dem Geld der Privatwirtschaft vorangetrieben wird. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft verzeichnet über 600 Professuren, die von Unternehmen bezahlt werden. Die Forscher sind geradezu angehalten, sich um Drittmittel zu kümmern. Diejenigen, denen es gelingt, haben ein gutes Standing in ihren Universitäten, aber auch häufig mit einem lästigen Grundverdacht zu kämpfen. Denn es gibt immer wieder Beispiele dafür, dass die Spender direkte Eigeninteressen verfolgen. Es sind Skandale wie zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort hatte sich die Deutsche Bank mit jährlich drei Millionen Euro bei einem Finanz-Lehrstuhl engagiert und sich weitreichende Rechte einräumen lassen. Sie betrafen die personelle Einflussnahme beim Lehrpersonal und die Mitsprache bei wissenschaftlichen Publikationen. Trotz massiver öffentlicher Kritik hielten Universität und Bank an der Aussage fest, dass die Unabhängigkeit der Forschung nicht angetastet worden sei.
Eine Soziologin des Internet-Instituts findet die Diskussion über die Freiheit von Google-geförderter Forschung überzogen. Sicher wird sie künftig an einem Arbeitsplatz sitzen, den der Suchmaschinengigant finanziert. Sie findet, dass das Unternehmen relativ transparent agiere und es doch wesentlich besser sei, als wenn das Geld von Facebook käme. Auch Instituts-Direktor Ingolf Pernice sieht möglichen Gefahren gelassen entgegen. "Wenn die Google-Leute eines Tages sagen, ihnen gefällt meine Arbeit nicht, dann beschäftige ich mich eben wieder mit Europarecht", sagt er. "Ich habe im Augenblick eher das Gefühl, dass ich Google ausnutze.”
Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Bernd Gräßler